Auftrittsgenehmigung verweigert. Kurz vor der Wende gibt’s den Lappen. Christoph & Claudius Kießig – Band „Patchwork“
Kameras sind unerbittlich. Aber sie zeigen nur das, was „vor den Kulissen“ passiert. Was er mit seinen Gästen „hinter den Kulissen“ und „abseits der Kameras“ erlebt hat, erzählt Moderator Klaus Depta hier. Zum Beispiel mit
Christoph & Claudius Kießig – Band „Patchwork“ (Brandenburg)
Katholikentag Mainz 1998. Ich würde mich doch mit Pop- und Rockmusik beschäftigen. Ob ich Lust hätte, beim Katholikentag in Mainz auf einer großen Bühne Bands zu präsentieren? Kleiner Talk zum Einstieg, danach ein Konzert, Pause, nächste Band. Warum nicht? Also sage ich zu.
Als ich das Programm für „meine Bühne“ bekomme, bin ich enttäuscht. Neues Geistliches Lied, Gruppen mit Kinderliedern, Bewegungsspiele für den Kindergarten, fromme Geschichten musikalisch verpackt. Auch wenn Kirchenvertreter das als modern bezeichnen – mit dem, was ich in die breite Schublade von Rock- und Popmusik hineinpacke, hat das alles überhaupt nichts zu tun. Das weiß ich, als ich das damals noch schlecht
Schwer enttäuscht
bestückte Internet nach Informationen zu den einzelnen Gruppen durchwühle und kaum etwas finde. Das bewahrheitet sich, als ich schließlich auf der Bühne stehe. Überhaupt keine Frage: Alle, die dort auftraten, waren gut. Jeder in seinem Bereich absolut hörenswert. Nur waren das kaum die Schlagworte, mit denen ich mich hatte ködern lassen. Einen Moment zweifele ich. Schon im Vorfeld hatte ich gedacht: Ob ich dafür tatsächlich der richtige Moderator bin? Kurz davor abzusagen, beschließe ich: Augen zu und durch. Das Beste daraus machen, was zu machen ist. Gott sei Dank! Denn bei einer Absage hätte ich die Musiker der Gruppe Patchwork wahrscheinlich nie kennengelernt.
Ein Patchworker als Lebensretter
Mit Patchwork verbinde ich gleich ein zweites Gott sei Dank: Als die Gruppe in Mainz an der Reihe ist, stürmt es gewaltig. Ich trommele die Jungs zusammen, gehe vor der Band eine kleine Treppe zur Bühne hoch. Irgendein Bandmitglied ruft mir etwas nach, ich halte inne, drehe mich um… und genau in diesem Augenblick kracht eine Plexiglasscheibe aus der Dacheinfassung der Bühne unmittelbar vor meinen Füßen in die Treppe. Wären meine Füße fünf Zentimeter weiter vorn gewesen, hätte ich künftig meine Schuhe ein paar Nummern kleiner kaufen können. Unglaublich, was so eine Plexiglasscheibe für eine Wucht haben kann, wenn sie ein paar Meter senkrecht nach unten stürzt. Und Gott sei Dank, dass irgendeiner der Patchworker noch irgendeine Frage hatte. Hätte er mich nicht „aufgehalten“ – die Platte hätte mich glatt zerlegt.
Tolle Musik… und die Sache mit dem Lappen
Was die Jungs auf der Bühne machen, gefällt mir. Deutsche Texte, tolle Beobachtungen, musikalisch in einer unglaublichen Vielfalt umgesetzt. Patchwork eben, von jedem ein bisschen. Großgeworden sind die Jungs in der Stadt Brandenburg. Zu DDR-Zeiten alles andere als einfach für eine Gruppe, die sich als christliche Band versteht. Im Klartext bedeutete dies nämlich: Eine Auftrittsgenehmigung außerhalb von Kirchen gab es nicht. Trotz mehrmaliger Anträge. Erst 21 Tage nach der Grenzöffnung, kurz vor dem Anschluss der ehemaligen DDR an die Bundesrepublik, gab es auf einmal den höchstoffiziellen Lappen, mit Stempel und Unterschrift. „Der hängt seitdem bei uns im Probenraum“, berichtete Sprecher Christoph Kießig schon damals in Mainz. Notwendig war die Genehmigung nicht mehr.
Unglaublich liebenswerte Menschen
Was mich besonders fasziniert: Die Patchworker sind unglaublich liebenswerte Menschen. Andreas Schalinski, Christoph, Claudius und Clemens Kießig, Frank und Raymund Menzel und Soundmann Christian Decking – ja, die sind wirklich fast alle miteinander verwandt. Vor allem aber sind sie alle wahnsinnig liebenswerte Kerle. Das gilt auch für die mittlerweile nächste Generation, vertreten durch die beiden Lichttechniker Florian Menzel und Richard Schalinski. Die sind aber in Mainz noch nicht dabei. Herzliche, erfrischende, einfach liebenswerte Menschen.
Im Laufe der Jahre veranstalte ich eine ganze Reihe von Konzerten mit der Band, leider allesamt mit mäßigem Erfolg. Da im Westen kaum jemand den Namen kennt, lassen sich immer nur verhältnismäßig wenige Zuschauer bewegen, sich die Band einmal live anzuhören. Außer beim Stadtfest in Fulda 2018. Da ist der Museumshof voll. Aber da müssen wir das Konzert wegen einer Unwetterwarnung und nachfolgendem Starkregen mit Gewitter abbrechen.Große Konzerte auf großen und kleinen Bühnen
Weitaus erfolgreicher sind die Konzerte der Band bei den Weltjugendtagen in Paris, Rom und Köln, bei etlichen Evangelischen Kirchen- und Katholikentagen, beim Besuch von Papst Benedikt XVI. im vollbesetzten Berliner Olympiastadion, regelmäßig bei den Treffen der Sternsinger und der Bundeskanzlerin, auf vielen kleinen und großen Bühnen vor allem im Osten der Republik. Na, wenigstens das. Denn das hat sich die Band verdient. Mehr Wissenswertes und Interessantes zu lesen und natürlich alle bisherigen CDs zu kaufen gibt’s auf der Webseite der Band.
Unvergesslich
Ein paar „Kleinigkeiten“, die ich nie vergessen werde:
– Das äußere Cover der ersten CD ist eine Stoffhülle – die haben die Patchwork-Frauen eigenhändig genäht. Jede ein Unikat.
– Ebenfalls einzigartig wohl der „Tourkalender“ der Band: An einem Wochenende im Monat (Freitag – Sonntag) gibt sie Konzerte, die übrigen Wochenenden gehören den Familien.
– Einzige Ausnahme: Als Frontmann Christoph Kießig zwischen 2006 und 2013 in Mexiko lebt, kommt er viermal pro Jahr für je zwei Monate nach Deutschland. In dieser Phase spielt die Band, was das Zeug hält. Aber ganz nebenbei: Welche Band hält das schon aus? Die Patchworker haben diese Zeit unbeschadet überstanden. Phänomenal!
– Ein paar Konzerte finden im Umfeld meines damaligen Wohnortes statt. Anschließend steht bei uns zu Hause der größte Topf mit Chili con Carne auf dem Tisch, der je bei uns gekocht wurde. Spätabends sind alle müde. Ich verkrieche mich in mein Bett, die Patchworker richten sich auf unserem Dachboden ein Lager ein. Außer Frank: Der diskutiert bis zum Morgengrauen mit meiner Frau in unserer Küche. Über Gott und die Welt. Worüber auch sonst? Mehr gibt’s ja nicht.
– Zum 25. Bandjubiläum erlaube ich mir einen Spaß: Gemeinsam mit meiner Frau reise ich nach Brandenburg. Lediglich Schlagzeuger Raymund weiß, dass wir beim Jubiläumskonzert anwesend sein werden, macht aber seine Bandkollegen vorab ziemlich heiß: „Da kommt wer extra angereist…“ Wer das ist, sagt er nicht. Na ja, viel Rauch um nichts. Aber trotzdem ein Riesenspaß! Am Vorabend dürfen meine Frau und ich dann bei Raymund in der guten Stube sitzen, seine ebenfalls unglaublich liebenswerte – sorry, ich habe kein anderes Wort! – Frau kennenlernen und uns einfach nur wohlfühlen. Am nächsten Tag verstecken wir uns vor der Band, gegen alle Patchwork-Regeln übernimmt Raymund zum Erstaunen seiner Bandkollegen die Ansage… und holt uns auf die Bühne. Ein T-Shirt haben wir mitgebracht, Aufschrift „25 Jahre Patchwork“. Vielleicht hängt das ja mittlerweile neben dem Lappen im Probenraum. Alles in allem, wie gesagt, ein großer Spaß.
Patchwork und „der blaue Klaus“
– Ach ja, fast vergessen: Für die Patchworker bin ich seit Mainz 1998 „der blaue Klaus“. Weil ich ein so giftig-blaues Sakko getragen hätte, so die Begründung der Band über Jahre. Dass ich steif und fest behaupte, ich hätte ein giftgrünes Sakko getragen, interessiert so lange nicht, bis ich irgendwo ein Foto von dem Sakko finde. Die Erklärung für die Sinnestäuschung entdecke ich anlässlich des 25jährigen Bandjubiläums in Brandenburg: Denn diese Stadt ist die Heimat von Vicco von Bülow, alias Loriot. Seiner Zeichenfeder entstammen Hund Wum, Elefant Wendelin… und ein Außerirdischer in seiner fliegenden Untertasse. Genau: der blaue Klaus.
Bei „Talk am Dom“ sprechen wir über die Entstehung der Band, die Bandgeschichte und vieles mehr. „Wir“ sind in diesem Falle Frontmann Christoph Kießig, der sich bei den Musikstücken von seinem Bruder Claudius am Keyboard begleiten lässt, und ich. Die ganze Band für diesen kurzen Talk nach Fulda zu holen – ich hätte das gern gemacht. Aber Aufwand und Nutzen hätten in keinem Verhältnis gestanden. Und Christoph ist ja auch sonst der Sprecher der Band… sogar wenn er ein paar Jahre in Mexiko lebt.
Nachtrag: Wer einen unglaublich breiten Mix an musikalischen Richtungen gepaart mit intelligenten Texten und einer unglaublichen Spielfreude mag, kann Patchwork notfalls sogar bei Spotify hören. Dennoch sollte er die Band am besten live erleben. Termine gibt’s auf der Webseite.
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