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Anne Schmitz – Missbrauchsbeauftragte im Bistum Fulda (bis Mai 2018)

Kameras sind unerbittlich. Aber sie zeigen nur das, was „vor den Kulissen“ passiert. Was er mit seinen Gästen „hinter den Kulissen“ und „abseits der Kameras“ erlebt hat, erzählt Moderator Klaus Depta hier. Zum Beispiel mit
Anne Schmitz – Missbrauchsbeauftragte im Bistum Fulda (bis Mai 2018)

Über einen Menschen nichts oder nur wenig sagen zu können, klingt im Medienzeitalter auf den ersten Blick wenig verlockend. Denn schließlich haben wir gelernt, dass über jeden ohne Probleme Informationen verfügbar sind. Manchmal aber ist es sogar gut, wenn über einen Menschen kaum etwas in den Medien zu finden ist. Zeigt das doch, dass er eher zurückhaltend agiert, wenig daran interessiert ist, im Mittelpunkt zu stehen oder „sich einen Namen zu machen“. Anne Schmitz habe ich so kennengelernt: Über sie selbst gibt selbst das weltweite Netz nur wenig her. Und das ist auch gut so für die Aufgabe als Missbrauchsbeauftragte – ein Amt, dass sie von November 2003 bis zum Mai 2018 wahrnahm. In diesem Amt, also als Missbrauchsbeauftragte des Bistums Fulda, war sie auch Gast bei „Talk am Dom“.

Was könnte es für eine Missbrauchsbeauftragte besseres geben, als – zumindest in den Medien – ein eher „unbeschriebenes Blatt“ zu sein? Vielleicht ist das überhaupt die zentrale Voraussetzung, die Grundlage dafür ist, den Aufgaben einer Missbrauchsbeauftragten nachkommen zu können. Diskretion ist mehr als Ehrensache. Sie ist unbedingt notwendig für diese Aufgabe. Eine gewisse Distanz zu den Medien ist dabei hilfreich, um überhaupt Vertrauen zu gewinnen. Gut zuhören können, scharf analysieren, erkennen, in welcher Situation welche Hilfestellung die passende ist – das sind vielleicht die wesentlichen Fähigkeiten, über die eine Missbrauchsbeauftragte verfügen muss. Anne Schmitz hat diese Fähigkeiten schon früher als Mitarbeiterin beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) entwickelt. Vielleicht hat sie sie sogar schon dahin mitgebracht.
In beiden Aufgaben muss sie eine Menge aushalten. Der Missbrauchsbeauftragten wird besonders viel abverlangt, weil sie Informationen sammeln muss und dabei die Wucht der Emotionen zu spüren bekommt, wenn das Leid von missbrauchten Menschen unter Tränen und Schmerz neu lebendig wird. Damit muss sie umgehen können, muss mitleiden, ohne die notwendige professionelle Distanz zu verlieren. Aushalten kann man das wohl nur über einen begrenzten Zeitraum.

Anne Schmitz ist eine Diplom-Theologin, die ich – durchaus im positiven Sinn – als wertkonservative Verfechterin der Katholischen Kirche wahrgenommen habe. Lange Jahre war sie Persönliche Referentin des Fuldaer Bischofs Heinz Josef Algermissen. Wenn man so will, dann bedeutet das sicherlich auch, so etwas wie eine persönliche Vertraute zu sein, ein potenzielles Korrektiv vor Meinungsäußerungen, vor der Veröffentlichung von Positionen, vielleicht sogar von Predigten. Ganz sicher eine Position mit hoher Verantwortung, bei der manch vorsichtiger Schritt sinnvoller ist als ein übereilter. Ähnlich vertrauensvoll arbeitet sie mit dem Fuldaer Weihbischof Karlheinz Diez zusammen. Um die Situation einmal mit einer alten Weisheit auf den Punkt zu bringen: „Wenn du willst, dass dir der König zuhört, musst du versuchen, seinen Minister zu überzeugen.“ Falls Sie eine Quelle für „diese alte Weisheit“ suchen möchten, und sie nicht finden: Vielleicht wurde sie ja erst für diesen Text hier geboren.
Anne Schmitz musste in ihrer Aufgabe als Missbrauchsbeauftragte Vieles in einer neuen Tiefe lernen, musste viel hören: über das Versagen von Verantwortlichen, darüber, dass Aussagen von Kindern und Jugendlichen lange Zeit nicht ernst genug genommen wurden. Auch darüber, dass den Betroffenen lange viel zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen stattdessen lange Zeit die Täter. Viel zu lange. Die meinte man wegen ihres Fehlverhaltens maßregeln und bestrafen zu können – danach wäre alles in Ordnung. So wie man das im Priesterseminar mit einer klaren Betonung von Anweisung und Gehorsam gepflegt und gelernt hatte. Dabei hatten die Verantwortlichen lange Zeit verkannt, dass sexueller Missbrauch und Machtmissbrauch jeglicher Art nicht durch Anordnungen verhindert werden. Wenn einem Verhalten geistige Fehlentwicklungen zugrunde liegen, machen Verfehlungen auch vor der Priesterweihe nicht halt. Und sie sind erst recht nicht durch den geschuldeten und eingeforderten Gehorsam zu stoppen. Sich genau das eingestehen zu müssen, nahm aber auch denen, die das Mittel des Gehorsams über Jahre praktiziert und eingefordert haben, nicht nur ein Teil ihrer Illusionen, sondern auch Teile ihrer Macht.

Dass Mitglieder der Kirche, die ihr Leben auf derselben Theologie aufgebaut haben wie Anne Schmitz selbst, schlimmste Verfehlungen begangen haben, dürfte etwas sein, was auch an den Grundfesten des eigenen Glaubens rütteln kann. Und am Vertrauen in Menschen. Denn zumindest einen Teil der Täter, das darf man annehmen, hat sie aufgrund ihres bisherigen Berufs persönlich gekannt. Natürlich wie das immer so ist: ohne irgendetwas geahnt zu haben.

Wie befreiend muss da der 2003 in Angriff genommene Akt der Aufklärung von Missbrauchsfällen

selbst für eine Missbrauchsbeauftragte sein. Ohne auf das Ansehen der Institution Kirche zu achten, was schmerzlich sein kann, Betroffenen zuzuhören, Täter, Schuldige, wie es im kirchlichen Jargon treffender heißt, zur Rechenschaft zu ziehen und eine Konzeption zu entwickeln, die eine neue Achtsamkeit in kirchlichen Einrichtungen nicht nur zulässt, sondern sogar initiiert, um Missbrauch in Zukunft möglichst zu vermeiden – wer diese Dinge zu seinem „täglich Brot“ macht, muss – noch einmal – selbst eine Menge wegstecken können.
800 Akten wurden im Bistum Fulda „aus dem Keller geholt“ und von einer Forschungsgruppe, darunter ein Mitglied mit Befähigung zum Richteramt, akribisch durchgearbeitet. Akten, bei denen es vor allem darauf ankam, Fälle mit noch lebenden Tätern aufzudecken, damit diese rechtlich belangt werden konnten. Wem nützen tote Täter, die man nicht ihrer gerechten Strafe zuführen kann?
Die rund 800 Akten brachten 29 Täter zutage – für eine Institution mit der Größe des Bistums Fulda verhältnismäßig wenig. Aber im Fall von Missbrauch gilt: Eine einzige Tat ist schon eine zu viel!
In 17 Fällen konnte eine Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden gestellt werden, sieben davon stellte die Missbrauchsbeauftragte. In allen anderen Fällen waren die Beschuldigten bereits verstorben, die Taten verjährt oder Betroffene wollten nicht, dass eine Strafanzeige gestellt wurde. Was machen solche Befunde mit dem Menschen, der in seiner beruflichen Beschäftigung mit derartigen Gräueln konfrontiert wird? Dieselbe Frage, die man einem Kommissar, einem Richter oder einem Staatsanwalt stellen kann, soweit sie mit Offizialdelikten zu tun haben.

Inwieweit Anne Schmitz von ihren Eindrücken als Missbrauchsbeauftragte belastet war, hat sie nie explizit zum Ausdruck gebracht. Im Gegenteil: Bei offiziellen Anlässen war sie die Ruhe in Person, vermied es in jedwede Richtung zu dramatisieren, blieb stets ruhig und überdeckte eventuell vorhandene Empathie mit betonter Sachlichkeit, betonte Distanz. Eine Frau, die gut zuhören kann, der man auch gern zuhört, die aber nur das preisgibt, was für den Sachverhalt notwendig und sinnvoll ist. Ein Mensch, der stets abwägt, welche Aussage hilfreich, zielführend und sinnvoll ist und dabei jegliche Effekthascherei vermeidet. Auch das dürfte für die Aufgabe als Missbrauchsbeauftragte nicht nur hilfreich, sondern absolut notwendig sein.

Bevor Anne Schmitz zur Missbrauchsbeauftragten ernannt wurde, arbeitete sie, wie bereits angesprochen, für den Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Hierhin geht sie, wenn auch in anderer Funktion, ab Juni 2018 wieder zurück. Eine Beschäftigung mit wiederum hohen Anforderungen.

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