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John, Elton & Spears, Britney – Hold Me Closer

Ist das nicht eine wunderbare Fügung des Schicksals? Oder für den, der nicht an das Schicksal glaubt: Ist das nicht einer der wunderbaren Zufälle, die in dieser Weise nur das Leben schreiben kann? Ach was, einer? Zwei! Oder vielleicht sogar drei!

Erweckungsmoment


Fangen wir vorne an: Da gibt es eine gewisse Tanu Muino, im Moment 32 Jahre alt. Die hat so etwas wie einen Erweckungsmoment: In dem Augenblick nämlich, als sie das Video zu „I’m A Slave 4 U“ gesehen hatte, wusste sie: Sie wird Regisseurin für anspruchsvolle Musikvideos. Was sie dann auch tatsächlich umgesetzt hat, wie man an wirklich guten Musikclips für den Rapper Lil Nas X und One Direction-Frontman Harry Styles gut ablesen kann. Bleibt nachzutragen, dass „I’m A Slave 4 U“ von niemand anderem als Britney Spears stammt. Also genau jener Frau, die in den letzten Jahren mehr durch Drogen- und Alkoholeskapaden und ihre Scheidungen aufmerksam machte als durch ihre Musik.

Ende der Vormundschaft

Allen voran der Streit um die Vormundschaft, die der Vater der mittlerweile 40jährigen in den letzten Jahren mit strengem Regiment innehatte und von der Britney so gerne losgekommen wäre – was zwar erst neuerdings der Fall ist, aber jahrelang für ein regelmäßiges Rauschen im Blätterwald der Yellow Press sorgte. Musikalisch war nämlich bei Britney zuletzt nicht mehr allzu viel zu holen: Im Vergleich zu der Popularität, die Britney Spears um die Jahrhundertwende innehatte und die sie zu einer der erfolgreichsten Musikerinnen dieser Zeit machte, waren die beiden letzten Studioalben „Britney Spears“ (2013) und „Glory“ (2016) regelrechte Flops. Nicht schlecht, aber bei weitem nicht so erfolgreich wie alles, was Britney vorher veröffentlicht hatte.

Regie für Britney und Elton

Bevor ich mich verplaudere: Ist es nun Schicksal, Zufall oder was auch immer, dass ausgerechnet jene Tanu Muino 21 Jahre nach der Veröffentlichung von „I’m A Slave 4 U“ beim aktuellen Videoclip von Britney Spears Regie geführt hat. (Himmel, was mir gerade erst auffällt: Als der Song, der Tanu Muinos Leben veränderte, herauskam, war sie erst zwölf Jahre alt!) Schicksal, Zufall oder was auch immer, also – in einem Krimi würde der Kommissar jetzt sagen: „Ich stelle hier die Fragen!“ Und Sie müssten antworten. Was hier bedeutet: Ich kann mich zurücklehnen und über den nächsten Zufall sinnieren.

Sir Elton und „sein Dichter“

Und der hängt mit Elton John zusammen. Der erblickte vor 75 Jahren im englischen Pinner als Reginald Kenneth Dwight das Licht der Welt, veröffentlicht seit 1969 Platten – mathematischen Genies wie mir hilft der Taschenrechner weiter: Das sind tatsächlich über 53 Jahre! – hat die meisten seiner Songs mit dem Texter Bernie Taupin geschrieben, was dem Brillenfreak Elton John den Ruf einbrachte, sich einen eigenen Dichter zu halten. Na ja, lassen wir das mal so stehen, auch wenn sich allen

Woke-Fanatisten der Magen umdrehen wird. Das Duo funktionierte so gut, dass Queen Elizabeth II. kurzerhand Elton John in den Ritterstand erhob und der sich – wie Paul McCartney, Cliff Richard und ein paar andere, die sich nicht nur um die Kunst des Vereinigten Königreichs verdient gemacht hatten, sondern auch als fette Devisenbringer gelten – folglich Sir Elton nennen darf.

Einfluss des Ehemanns

Und nein, Bernie Taupin ist nicht der Ehemann von Sir Elton. Das ist David Furnish – und das sage ich an dieser Stelle nur, weil Letzterer später noch einmal wichtig wird. Kurzum: Einer der Songs von Elton John, die sich unauslöschlich in die Gehörgänge festsetzen und selbst operativ wohl nicht mehr zu entfernen sind, ist „Tiny Dancer“. Dass sich Elton John über diesen Song gegenüber von Bob Dylan mit einem ziemlich rüden sexuellen Vergleich geäußert haben soll – dieses Wissen verdanke ich neuerdings Wikipedia. Aber es spielt hier keine Rolle. Viel wichtiger – und jetzt schließt sich der Kreis allmählich – ist, dass besagte Britney Spears 2014 von Elton John zu einer AIDS-Gala eingeladen wurde und einige Zeit später twitterte, wie viel ihr der Song von der kleinen Tänzerin bedeutete.

Twitter, Corona und neue Wege

Auch wenn Sie den Rest selbst zusammenbringen, will ich Sie nicht allein Ihrer Phantasie überlassen, sondern helfen: Elton John nahm das Gezwitschere der mehr in Klatsch und Tratsch verwickelten Künstlerin natürlich zur Kenntnis. Aber wie schon die Bibel richtigerweise sagt: Alles hat seine Zeit. Und so gingen ein paar Jährchen ins Land, das zwischenzeitlich von Corona überschwemmt wurde und Elton John zu seinen „Lockdown Sessions“… na ja, ob „zwang“ jetzt das richtige Verb ist, mag einmal dahingestellt bleiben. In jedem Fall arbeitete Sir Elton in dieser Zeit mit einer ganzen Reihe von jungen und alten Künstlerinnen und Künstlern zusammen, darunter immerhin die Fleetwood Mac-Sängerin Stevie Nicks, Pearl Jam-Shouter Eddie Vedder, Soul-Ikone Stevie Wonder, DJ Charlie Puth, Rapper Little Nas X, Miley Cyrus, Brandie Charlie, Micki Ninaj und Dua Lipa.

Aus alt macht neu

Wobei „Cold Heart“, die Collabo mit Dua Lipa, besonders erfolgreich war. Sie wissen schon: Auszüge aus ein paar Elton-John-Songs, geschickt miteinander verwoben, die Zeilen von einer weiblichen Stimme statt von Sir Elton gesungen und das Ganze mit neuer Musik unterlegt – fertig ist die Laube. Und die funktionierte extrem gut. Nicht zuletzt wohl auch, weil sich im Sommer 2021 viele Hörerinnen und Hörer bereits nach dem ersten oder zweiten Hören fragten, warum sie eigentlich so textsicher seien. Dass es alte Songs im neuen Gewand sind – darauf muss man erst mal kommen.

Und noch mal der Ehemann

Stichwort „kommen“: Jetzt kommt nämlich Sir Johns Ehemann, David Furnish, ins Spiel: Der schlug nicht etwa vor, nach demselben Muster mit ein paar anderen alten Songs noch mal richtig dick Kasse zu machen. Hinweg, ihr Gedanken, die immer nur das Schlechte im Leben – in diesem Fall die Kohle – sehen. Nein, der gute David soll vorgeschlagen haben, das erfolgreiche Konzept noch einmal anzuwenden, um der bedauernswerten Britney Spears nach einer „traumatischen Zeit“ das Selbstbewusstsein zu stärken. Der gute David!

Hilfe für die Pop-Ikone

Bei Sir Elton traf er damit auf offene Ohren. Denn der hält Britney Spears ohnehin für eine Pop-Ikone und einen der größten Popstars aller Zeiten. Ja, das hat der gute Elton wirklich gesagt. Und er hat ja Recht! Ganz so viele Stars gibt es ja nicht, die in den letzten vier Jahrzehnten, also den 1990er, 2000er, 2010er UND 2020er, Top Ten Hits landen konnten. (Genau genommen gab es vor Britney Spears nur 11 Interpretinnen bzw. Interpreten, die das geschafft haben.) Wobei der gute Sir Elton sich wohl ziemlich sicher war, dass „Hold Me Closer“ Britney Spears eben wieder in die Top Ten katapultieren würde. Und ihn gleich mit…
Möglich wurde das Ganze übrigens vor allem deshalb, weil Britney im November 2021 per Gerichtsbeschluss die volle Kontrolle über ihr Leben zurückerhielt – nach 13 langen Jahren der Vormundschaft. Wer weiß, ob das Projekt zustandegekommen wäre, wenn Britneys Vater hätte entscheiden müssen…

Tanz gegen Aufruhr und Chaos

Jetzt aber machen wir die Sache wirklich rund: Regie beim Videoclip zu „Hold Me Closer“ hat also besagte Tanu Muino (siehe oben!), für die das Ganze wohl so etwas wie das Highlight des Lebens sein muss. Wohl nicht nur deshalb geht es im Clip richtig zur Sache: Nicht etwa Britney und Elton, sondern Tanzprofis erzählen die Geschichte von „Hold Me Closer“ auf eindrucksvolle, sehr emotionale Weise, nutzen das Mittel des Tanzes um „ein grenzenloses Gefühl der Intimität wunderschön [einzufangen], das in der Welt durch den Aufruhr und Chaos der letzten Zeit so vermisst wurde“, wie es im Waschzettel des Clips so anrührend heißt. Und tatsächlich: Die Tänzerinnen und Tänzer kämpfen, fallen, richten sich gegenseitig wieder auf und liegen sich in den Armen. Gerade so als ginge der sehnsüchtige Wunsch „Hold Me Closer“ in Erfüllung.

Aus drei macht eins – und das mit Sinn

Womit wir uns langsam aber sicher dem Inhalt des Songs nähern. Und damit der Frage: Kann denn ein Lied, das aus Passagen von drei verschiedenen alten, unabhängig voneinander entstandenen Songs besteht, überhaupt Sinn machen, kann solch eine Mischung überhaupt eine Geschichte erzählen? (Sorry, bei der Beschreibung des Videos habe ich gespoilert. Die Antwort lautet also:) Ja, sie kann. Und sie tut es. Und das, obwohl der Schwierigkeitsgrad noch höher war als beim Remake „Cold Heart“ mit Dua Lipa: Denn da waren es lediglich zwei Songs von Sir Elton; bei „Hold Me Closer“ kommen mit „Tiny Dancer“, „The One“ und „Don’t Go Breaking My Heart“ gleich drei erfolgreiche Songs zusammen. Gepaart mit einer extrem ausgelassenen Dance-Hymne verwandeln Britney und Elton den alten balladesken Stoff in einen modernen Electropop, bei dem selbst Tanzmuffel wohl kaum stillsitzen können.

Auf und Ab einer Beziehung

Und die Geschichte selbst? Der Song beginnt mit Zeilen aus „The One“ und beschreibt ein wunderschönes Wesen, das am Strand herumläuft:

„Ich sah dich auf dem Ozean tanzen,
schnell über den Sand rennen.
Ein Geist, geboren aus Erde und Wasser
(und ich sah) Feuer aus deinen Händen fliegen.“

Das war schon damals, 1992, im Original von „The One“ wunderschöne Pop-Poesie, die den Beginn einer großen Liebe beschreibt. Der Refrain hat den Text und die Melodie von „Tiny Dancer“. Er beschreibt die Gefühle eines Menschen, der darauf wartet, dass Partnerin oder Partner endlich wieder zu ihm kommen:

„Halt mich näher, kleine Tänzerin,
zähle die Scheinwerfer auf der Autobahn.
Lege mich in Laken aus Leinen nieder.
Du hattest heute einen anstrengenden Tag.“

Und wenn der Alltag einkehrt…

Vielleicht handelt es sich um einen anstrengenden Arbeitstag, vielleicht um irgendein Erlebnis, das verarbeitet werden muss. Hier bleibt der Text offen – nicht zuletzt deshalb, weil er gar keine reale Schilderung des Alltags vornehmen möchte, sondern die Liebe der beiden Protagonisten auf künstlerisch-literarische Weise beschreibt.

Leider hält die Harmonie zwischen den beiden nicht dauerhaft an.

„Es gibt Karawanen, denen wir folgen,
betrunkene Nächte in dunklen Hotels, Baby.
wenn Chancen zwischen der Stille atmen,
wo Sex und Liebe nicht mehr zusammenpassen.“

Freude auf die nächste gemeinsame Phase des Lebens

Traurig, aber wahr… und alltäglich: Das Leben ist eben nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen, sondern es gibt auch Rückschläge, schlechte Tage, Tiefpunkte. Und so gibt es auch in der Liebe Aufs und Abs. Drei Songs, eine Geschichte von Höhepunkten und Tiefpunken und eine beeindruckende Botschaft, die aus all dem folgt: Ja, es gab Höhepunkte, die wir genossen haben. Und ja, wir haben Rückschläge durchlebt. Jetzt gibt es eine neue Phase unserer gemeinsamen Lebensgeschichte: Selbst wenn es so aussieht, als sei das Beste vorbei, sind wir immer noch zusammen. Wir sind weiterhin füreinander da und gehen auf eine Entdeckungsreise durch die nächste Phase unseres Lebens.

Neue Phase für Elton John

Wie kann diese Phase aussehen? Elton John scheint mittendrin zu sein. Dass er, der alles erreicht hat, nach über 50 Jahren nun mit vielen Interpretinnen und Interpreten zusammenarbeitet und selbst aus alten Songs neue schafft, ist sicher auch für ihn eine spannende neue Phase, vielleicht sogar ein neuer Höhepunkt irgendwo auf der Zielgrade seines Schaffens.

Neuanfang für Britney Spears

Britney Spear scheint ohnehin an einem kompletten Neuanfang zu stehen: Das musikalische Comeback ist das Eine. Vielleicht noch wichtiger ist die Tatsache, dass die Sängerin nicht mehr unter der Vormundschaft ihres Vaters steht, selbst wieder über sich und ihr Leben bestimmen darf. Und das tut sie: 2016 lernte sie beim Dreh für den Videocliop zu Britneys „Slumber Party“ den iranisch-amerikanischen Schauspieler und Fitnesstrainer Hesam „Sam“ Asghari kennen. Bereits im letzten Jahr verlobte sich das Paar.

Hochzeit, Fehlgeburt… und trotzdem optimistisch

Im Juni dieses Jahres heirateten die Beiden, nachdem Britney ohnehin schon immer von Sam als ihrem Ehemann gesprochen hatte.
Schon im April letzten Jahres gaben die beiden bekannt, dass Britney schwanger sei – für Asghari sollte die Vaterrolle „der wichtigste Job, den [er] jemals machen werde“ werden. Aber im Mitte Mai musste das Paar einen schlimmen Rückschlag hinnehmen: Britney hatte in der noch frühen Phase der Schwangerschaft das gemeinsame Kind verloren. Ein herber Schlag, zumal für die Kinder aus Britneys erster Ehe, der 16jährige Sean und den 15jährigen Jayden, das Sorgerecht bei ihrem Ex-Mann Kevin Federline liegt. Aber wie in „Hold Me Closer“ wird es weitergehen: Den Wunsch nach gemeinsamen Kindern würden Britney und Sam nicht aufgeben, so Britney Spears via Instagram.

Ende der Bühnenkarrieren?

Was die Fortsetzung der Karriere anbelangt, richten sich sowohl Sir Elton wie auch Britney Spears auf ein Ende ihrer Karriere ein: Nach über 300 Millionen verkauften Platten befindet sich Elton John auf seiner Farewell Yellow Brick Road-Tournee, seiner letzten Welttournee, wie der Sänger, Pianist und Komponist verlauten ließ. Genug ist eben irgendwann genug.
Und Britney Spears hat unlängst verkündet, dass sie nicht mehr auftreten werde. Zu sehr sei sie durch die Zeit im Rampenlicht traumatisiert worden. Auf dem Gipfel des Pop-Olymps ist es wohl ziemlich einsam, wie schon viele Superstars, die sich plötzlich im Sumpf von Alkohol, Drogen und exzessivem Verhalten wiederfangen, schmerzlich erfahren mussten.

Überragend: Das Miteinander

Was bleibt also von „Hold Me Closer“ abgesehen davon, dass es ein schönes aktuelles Popstück ist? Vielleicht ist es das Menschliche zwischen den beiden Superstars: Britney Spears erklärte vor der Veröffentlichung des Songs, dass es „ziemlich cool sei, mit einem der klassischsten Männer unserer Zeit zu singen“, insgesamt „eine große Sache“, bei der sie sich „überfordert“ fühle. Und Elton John hoffte, dass der Erfolg des Stücks der Künstlerin viel mehr Selbstvertrauen gebe. Und dass sie erkenne, dass es Menschen gebe, die sie wirklich lieben und wollen, dass sie glücklich sei. Er habe während des gesamten Produktionsprozesses ihre Hand gehalten und ihr versichert, dass alles in Ordnung sei. Und Britney sei phantastisch gewesen, habe ihren Part in nur zwei Stunden brillant eingesungen, so Elton John.

“Den Arsch abgesungen“

Der Dank: Binnen 24 Stunden stürmte „Hold Me Closer“ in über 40 Ländern die Pole Position der Charts. Nicht nur, weil es sich um ein hochpoetisches Liebeslied handele, sondern, so Produzent Andrew Watt, weil sich Britney „den Arsch abgesungen habe“ – wohl ein Lob der besonderen Art.

Respekt und Achtung

Was also wirklich bleibt ist der Respekt, den sich der 75jährige Elton John und die 40jährige Britney Spears gegenseitig entgegenbringen. Respekt, Achtung, das Bemühen füreinander da zu sein und gemeinsam einen spannenden Schritt ihres musikalischen Lebens gemeinsam zu gehen. Sich, wenn man so will, ganz nahe zu kommen, sich Halt zu geben und dadurch Großartiges zu erreichen. Gemeinsam geht also eine ganze Menge. Was das für die Zukunft bedeutet – wir werden sehen.
Elton John & Britney Spears – Hold Me Closer.

Der bei Radio Salü gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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