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Nazareth – Hair Of The Dog

Als Nicht-Muttersprachler neigt man schnell dazu, die Formulierung „Hair of the dog“ mit „Haar des Hundes“ oder noch simpler mit „Hundehaar“ zu übersetzen. Kann man machen. Aber den wahren Sinn dieses Idioms erfasst man damit nicht. Und erst recht nicht die Bedeutung, die dieser Ausdruck im gleichnamigen Song der Band „Nazareth“ hat.

Tierisches Konterbier

Briten mit einer gewissen Neigung für Sprache und Sprachgeschichte fügen dem Begriff „Hair of the dog“ die drei Wörte „that bit you“ hinzu. Gemeint ist damit das bei uns als Gegenmittel gegen einen ausgesprochenen Kater beliebte Konterbier: Wer anständig einen über den Durst getrunken hat, kommt seinem Brummschädel am besten dadurch, indem er am nächsten Morgen mit genau dem Getränk startet, mit dem er in der Nacht zuvor aufgehört hat. Blanker Unsinn, wie man heute weiß. Denn der berühmt-berüchtigte Kater wird in der Regel durch Flüssigkeitsmangel hervorgerufen, dem wiederum durch ein einfaches Glas Wasser – und wer es braucht: zuzüglich aufgelöster Kopfschmerztablette – am besten beizukommen ist. Zudem lässt diese antiquierte Vorstellung des Konterbieres völlig offen, was der Kater mit dem Hund, auf den man allenfalls gekommen ist, der „dog“ also, zu tun hat.

Hair of the dog that bit you

Das Dictonary of Phrase and Fable eines gewissen E. Cobham Brewer hilft da schon eher weiter. Das stellte nämlich schon 1898 fest: Wer von einem Hund gebissen wurde („… dog that bit you“), möge etwas von diesem gemeinen Tier in seine Wunde einbringen. Wissenschaftlich bewiesen sind derartige Effekte zum Beispiel vom grünen Tee: Die enthaltenen Polyphenole, allen voran das Epigallocatechingallat, haben nachweislich sowohl eine anti-oxidative, anti-entzündliche und anti-bakterielle Wirkung. Und können daher erheblich zur Wundheilung beitragen. Bei Hundehaare ist eher das Gegenteil anzunehmen: Wer die tatsächlich in eine Wunde schmiert, kann von Glück sagen, wenn er ohne lebensgefährliche Entzündung davonkommt.

Schottischer Aberglaube

(Und wenn die doch auftritt, hat das natürlich nichts mit der falschen Wundversorgung, sondern mit dem „giftigen“ Biss des Hundes zu tun, ist doch klar, oder?) Obwohl die alten Briten keinerlei Erfahrungen gesammelt haben dürften, das Hundehaare nachweislich positiv zu einer Wundheilung beitragen, wanderte die Behauptung in einen tiefverwurzelten Aberglauben und damit auch umgangssprachlich (zumindest) in das schottische Englisch.

Nazareth wegen „The Weight“

Jetzt endlich kommen wir zur Band Nazareth: Deren Name hat nichts mit dem Heimatdorf des lieben Jesuleins zu tun. Stattdessen grübelten „The Shadettes“, wie sich Dan McCafferty und Co noch 1970 nannten, in einer Hotelbar über ihren neuen Bandnamen nach. Wie der Zufall es wollte, tönte aus den Lautsprechern mit „The Weight“ ein Song von „The Band“. Die Textzeile „I pulled into Nazareth, was feelin‘ about half past dead“ löste bei Pete Agnew einen Reflex aus, so dass der bei „Nazareth“ als neuen Bandnamen hängenblieb. Das Ganze spielte sich am Heimatort der Band ab, also im schottischen Dunfermline. Wo der Ausdruck „Hair of the dog“ nicht nur bekannt, sondern auch verbreitet war und ist.

Kommt im Song gar nicht vor

Ganz schön viel Vorrede für ein Idiom, das zwar den Namen und den Titelsong des 1975er Nazareth-Albums bildet, aber im gleichnamigen Song nicht ein einziges Mal enthalten ist. Wer sich den Inhalt genauer anschaut, kommt ohnehin zu dem Schluss: Die Bedeutung „Haar des Hundes“ geht am Thema vorbei. Richtiger wäre wohl „Erbin des Hundes“. Denn im Song geht es um eine unehrliche, verschlagene junge Frau, die, so die Botschaft, an jemanden gerät, der ihr zumindest ebenbürtig ist. Einen „Son of a bitch“, einen Hurensohn, der zumindest genauso verschlagen ist wie sie. Und so wäre auch „Son of a bitch“ der logische und konsequente Songtitel gewesen – hätten nicht die Allgewaltigen der Plattenfirmen entsetzt die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Immerhin schrieb man das Jahr 1975. Und damals war mit einem derartigen Titel alles zu bekommen, nur ganz sicher kein Airplay.

Hair Of The Dog

Im Song heißt es:

„Herzensbrecher, Seelenschüttler!
Man hat mir von dir erzählt,
Dampfwalze, Mitternachtsschulter!
Was sie gesagt haben, muss wahr sein,
Glühendheiße Mutter, du samtweiche Verführerin:
Es ist an der Zeit, deine Schulden zu begleichen.
Jetzt legst du dich mit einem Hurensohn an.
Ich spreche von giftigem Efeu.
Du wirst dich nicht an mich klammern
Mannesmann, Knochenfresser
Ich bin nicht so blind, dass ich nicht sehen kann.
Heißblütige Mama, samtweicher Charmeur.
Die Zeit ist gekommen, deine Schulden zu bezahlen.“

Giftiger Mensch

Interessant die Anspielung auf die Kletterpflanze Efeu: Die schlingt sich um alles, was ihr in den Weg kommt. Auf diese Weise von Efeu besiedelte Bäume sterben – zumindest dem Volksglauben nach – unweigerlich angeblich ab, was dem Efeu das Prädikat „Baumwürger“ eingebracht hat. Ganz davon abgesehen, dass Efeu in allen Bestandteilen für den Menschen giftig ist. Einen Menschen also als giftigen Efeu zu bezeichnen, ist kaum noch zu übertreffen.

Batman und Poison Ivy

Vielleicht aber nahmen Nazareth die Begrifflichkeit „poison ivy“ aus einer ganz anderen Schublade: Im Sommer 1966 erhielt Comic-Held Batman plötzlich eine gefährliche Gegenspielerein: eine Frau, die mit Hilfe von bestimmten Pflanzen Menschen ihrem Willen unterzuordnet. Selbst gegen nahezu alle Gifte immun, ist sie in der Lage, Pheromone zu produzieren, also Lockstoffe, mit denen sie andere Menschen bezüglich Sympathie, sozialen Kontakten und vor allem Sexualität manipuliert und ihrem Willen unterwirft. Der Name dieser Batman-Gegenspielerin: Poison Ivy, giftiger Efeu.

Manipulative Frau

„Hair Of The Dog“ handelt von einer ähnlich manipulativen Frau. Nazareth koppelten lediglich bei uns in Deutschland diesen Titel als Single aus. Vermutlich würden sie dies heute, fast 50 Jahre später, nicht mehr tun. Zu sehr bedient „Hair Of The Dog“ das Macho-Gehabe des alten Dunfermline, wo ein Großteil der Bevölkerung in den Kohleminen arbeitete und auch außerhalb ihrer Schicht mit knallhartem Gehabe zu imponieren versuchten.

Gegen Sex als Waffe

„Midnight Shoulder“, „Red Hot Mama“, „Velvet Charmer“ und „Mantaker“ – bewusst singt Dan McCafferty herabsetzend über diese Frau, stellt sie als verachtenswert hin, disst sie. Denn er hat erkannt, dass sie ihre Sexualität dazu benutzt, um Männer auszubeuten. Bei ihm aber, so die Warnung, gerät sie an die falsche Adresse: Denn weil er zumindest genauso schlecht ist wie sie, kann er sie durchschauen, kann er hinter die Fassade der charmanten, flirtenden, aber männerverschlingenden Frau blicken. Deshalb die unmissverständliche Warnung: Leg dich besser nicht mit mir an. Im Kampf gegen mich versagen deine bisher erfolgreichen Waffen.

Ausstieg von Dan McCafferty

Vor zehn Jahren, im August 2013, gab Dan McCafferty seinen Ausstieg bei Nazareth bekannt. Nach 43 Jahren als Leadsänger spielte die Gesundheit nicht mehr mit. Das Raubein mit Reibeisenstimme hatte wegen eines geplatzten Magengeschwürs und wegen plötzlicher Atembeschwerden mehrere Konzerte nicht beenden können. Eine chronische Lungenerkrankung, COPD, verschlimmerte sich stetig. In ein Studio zu gehen und eine Platte einzusingen – das konnte McCafferty noch. Aber eine Garantie, die zahlreichen Konzertbesucher zufriedenstellen zu können, konnte er immer weniger geben. So sang er zwar den 2014er Longplayer „Rock ’n’ Roll Telephone“ noch mit seinen Bandkollegen ein, ging aber nicht mehr mit auf die anschließende Tour.

Letztes Album: Last Testament

2019 veröffentlichte Dan McCafferty ein letztes Album, das er, seine angegriffene Gesundheit wahrnehmend, programmatisch mit „Last Testament“ betitelte. Am 8. November 2022 verstarb der charismatische Sänger 76jährig. Seine 43jährige Karriere als Leadsänger wurde übrigens nur durch ein Datum übertroffen: Mit Mary Ann war Dan McCafferty 53 Jahre lang verheiratet – treu, ohne Groupies auf den Tourneen. Und damit war der Frontman von Nazareth genau das Gegenteil von dem, was er in einem seiner erfolgreichsten Songs zu sein behauptete: ein „Son of a bitch“, wie dieser Song eigentlich heißen sollte: Nazareth und „HairOf The Dog“.

Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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