Buchanan, Roy – The Messiah Will Come Again
Von Kansas bis Virginia, von Texas bis Florida – die südlichen Bundesstaaten der USA gelten als besonders religiös. Und wie immer liegt die Schuld beim amerikanischen Bürgerkrieg. Vor dem amerikanischen Bürgerkrieg, also bis etwa vor 170 Jahren, waren die Südstaaten weniger religiös geprägt als der Norden. Die Niederlage des Krieges aber veränderte vor allem den Süden: Privilegien fielen, wirtschaftliche Veränderungen setzten ein und in ihrer Folge auch gesellschaftliche.
Der Süden: Hochburg der Republikaner
Was dazu führte, dass sich die Menschen dort immer stärker der Religion zuwandten. Immer mehr Gotteshäuser, immer mehr freie, unabhängige christliche Kirchengemeinden, eine immer stärkere biblisch-orientierte Lebenshaltung bei der Mehrheit der Bevölkerung – diese Kennzeichen ließen das Wort vom „Bible Belt“ entstehen. Neben der Religion haben auch hier die US-amerikanischen Konservativen ihre Hochburg. Der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter gilt als letzter Demokratische Präsidentschaftskandidat bzw. Präsident, der hier einigermaßen punkten konnte – wohl hauptsächlich, weil Carter viele Jahre lang in einer Baptistengemeinde als Diakon tätig war.
Zwischen Religion und Blues bzw. Rock ’n’ Roll
Von hier, aus dem Bible Belt, trat auch die traditionelle US-amerikanische Countrymusik ihren Siegeszug durch die USA und „die große weite Welt“ an. Viele der US-amerikanischen Country-Stars beschwören in ihren Liedern ein gottgefälliges Leben und eine entsprechende Lebens- und Geisteshaltung.
Jerry Lee Lewis, Little Richard, Son House und Al Green, um nur einige wenige zu nennen, gehören zu den Rock ’n’ Roll- bzw. Bluesmusikern aus den Südstaaten, die ihr Leben lang den Zwiespalt zwischen ihrer musikalischen, weltlichen Seite und ihrer religiös-spirituellen Prägung heftig zu spüren bekamen.
Jerry Lee Lewis, im richtigen Leben wie musikalisch ständig auf der Jagd nach Sex, sang immer wieder fromme Gospelsongs;
Al Green: eigene Kirche
nachdem Al Green den Heiratsantrag seiner Freundin abgelehnt hatte, verbrühte die ihm den Oberkörper und erschoss sich. Green versuchte dieses Trauma durch die Gründung einer eigenen Kirche zu kompensieren. Dort, in der „Church Of The Full Gospel Tabernacle“, wurde er zum Prediger und veröffentlichte in der Folge eine Reihe von mehr oder weniger frommen Alben.
Blues-Legende Blind Willie McTell (, von dem sich Streets of London-Sänger Ralph McTell vor lauter Verehrung seinen Künstlernamen entlieh,) spielte seine Songs vor allem in Räumen der lokalen Kirchen; Charlie Patton, einer der Väter des Delta Blues, taumelte zwischen Alkoholexzessen, tiefer Reue und intensiven Bibellesungen hin und her. Son House, verurteilter Mörder und Pfarrer, versuchte lange, professioneller Bluesmusiker und gleichzeitig Pfarrer zu sein. Letztlich gewann zwar die Musik diesen Kampf. Aber der Song „Preachin‘ The Blues“ offenbart eindrücklich, wie intensiv die inneren Kämpfe gewesen sein müssen.
Ausnahmemusiker Roy Buchanan
Grobe Trunksucht und Religion – zwischen diesen beiden Polen wurde letztlich auch der Musiker Roy Buchanan zermahlen. Ein Mann mit einem Gitarrensound so einmalig wie der von Carlos Santana oder Queen-Gitarrist Brian May. 1988 saß Buchanan im Gefängnis und nahm sich selbst das Leben – an der offiziellen Version „Selbstmord“ des damals 48jährigen zweifelten etliche Zeitgenossen. Wem 35 Jahre danach der Name nichts oder nur wenig sagt: Jeff Beck, sicherlich alles andere als ein an der Gitarre unbeschriebenes Blatt, soll ein großer Bewunderer Buchanans gewesen sein. Und hartnäckig hielt sich das Gerücht, dass Roy 1974 bei den Rolling Stones als Nachfolger des gerade ausgestiegenen Mick Taylor gehandelt worden sei…
Exzessive Lebensweise
Menschen, die Roy Buchanan näher kannten, beschreiben ihn als äußerst liebenswürdig. Das war die eine Seite dieses Gitarrenvirtuosen. Berührte man aber einen eher verborgenen Teil von ihm, konnte das schnell in einem Eklat enden. Einer der Gründe: Roy machte nahezu alles in seinem Leben mit Hingabe. Auch wenn er trank, tat er das exzessiv. Was nicht immer ohne Probleme verlief. Und was ihn selbst in große Gewissensnöte trieb:
Auf der Suche nach Erlösung
Die Familie Buchanan war sehr arm, dafür umso religiöser. Stark ausgeprägt war der Glaube an Himmel und Hölle: Menschen, so die Überzeugung, waren Sünder und dem Untergang, der lebenslangen Verdammnis geweiht. Sünder jedoch, die inständig ihr Tun bereuten, hatten eine berechtigte Hoffnung auf Vergebung. Eine Hoffnung – mehr nicht. Wegen seines Alkoholkonsums fühlte sich Buchanan ständig schuldig – befand sich also emotional wohl in einem ständigen Auf und Ab, vielleicht besser: Hin und Her. Wer kann das auf Dauer aushalten? Egal, was er tat, egal, wo er auch suchte: Hoffnung und Erlösung, nach der er sich so sehr sehnte, hat Roy Buchanan in seinem Leben wohl nie gefunden. Ja, es klingt pervers, aber es entspricht auch einer gewissen Logik: Schon 1986 unternahm der Meister der Töne einen Selbstmordversuch, der ihm damals aber nicht gelang. Dass er 1988 erhängt mit dem eigenen Hemd in seiner Gefängniszelle gefunden wurde, ist aber nichts, was aus heiterem Himmel erfolgte.
Bestimmt vom Christentum
Unbestritten ist, dass der Mann aus dem Bible Belt die zentrale Botschaft des Christentums kannte, sich daran selbst maß … und sie auch musikalisch verarbeitete. Kurzfassung: Jesus Christus, der Sohn Gottes, wird in das Elend der Welt hineingeboren. Dieser Gott hebt nicht die Welt und ihre Naturgesetze aus den Angeln, sondern dieser Gott leidet mit seinen Geschöpfen. Bis zu einem grausamen, qualvollen Tod. Doch der Sohn Gottes wird vom Vater auferweckt, besiegt also den Tod und geht zu seinem Vater zurück. Irgendwann wird er auf diese Welt zurückkehren und Gericht halten: Wer ein guter Mensch war, in seinem Leben also die „Spielregeln Gottes“ befolgte, wird in der Nähe Gottes weiterleben; wer die „Spielregeln“ nicht befolgt hat, bekommt die Rote Karte: Der lebt sein jenseitiges Leben fern von Gott.
The Messiah Will Come: ein Glaubensbekenntnis
In „The Messiah Will Come Again“ fasst Roy Buchanan seinen Glauben und seine eigene Lebenswirklichkeit zusammen. Dort SAGT er:
„Nur ein Lächeln, nur ein Blick
Der Fürst der Finsternis – er ist gerade vorrübergegangen.
Eine Menge Leute haben so einiges (dazu) erzählt.
Aber diesmal erzähle ich es auf meine Art:
Es war einmal eine Stadt, eine seltsame kleine Stadt, sie hieß „Die Welt“.
Das war eine sehr einsame kleine Stadt,
bis eines Tages ein Fremder erschien.
Ihre Herzen freuten sich und die traurige kleine Stadt war wieder glücklich.
Aber es gab einige, die zweifelten.
Sie waren ungläubig. Deshalb verhöhnten sie ihn.
Und der Fremde ging fort.
Nun ist die traurige kleine Stadt, die gestern noch traurig war,
heute noch viel trauriger.
Ich ging an viele Orte, wo ich besser nie gewesen wäre.
Aber ich weiß, dass der Messias wiederkommen wird.“
Anspielung auf Leben und Sterben Jesu
Mit dieser Einleitung spielt Roy Buchanan auf das Leben und Sterben Jesu Christi an. Anschließend nimmt er seine Zuhörer mit auf eine Reise voller Melancholie, Verzweiflung, aber auch Erlösung. Und Hoffnung auf „Auferstehung für alle“, die Christen mit dem Glauben an die Auferstehung Jesu an Ostern feiern. Buchanans Gitarre ist dabei einzigartig – lediglich der in Nordirland geborene Gary Moore kommt ihm mit Emotion und Technik gleich.
Coverversion von Gary Moore
Der Gary Moore übrigens, der als fromm evangelisch in Belfast aufwuchs, in den 1990er Jahren keinen Auftritt ohne ein großes Kreuz um seinen Hals absolvierte. Der Buchanans „The Messiah Will Come Again“ coverte – und damit dem Albumtitel „After The War“ eine persönliche Hoffnung entgegensetzte. Die den Song einleitenden Worte Buchanans ließ Gary Moore übrigens weg. Etwas mehr als der zweifelnde US-Amerikaner aus dem „Bible Belt“ vertraute Moore da auf die Wirkung seiner Gitarre.
Roy Buchanan und „The Messiah Will Come Again“.
Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.
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