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Harley, Steve – Nice, Stephen Malcolm Ronald

Ob manch ein Künstler unter seinem Geburtsnamen ähnlich bekannt geworden wäre wie unter seinem Pseudonym? Wer weiß. Beispiel: Harley, Steve

Was für eine abgedrehte Stimme, war für eine durchgequirlte Art zu singen. Schon als ich das erste Mal Musik von Steve Harley und seinen Cockney Rebel höre, bin ich hin und weg. Das Ganze ist schon so lange her, dass ich mich ganz langsam wieder daran erinnern würde, wenn ich es denn jemals vergessen hätte. „Sebastian“ lief damals

bei Feten unserer Jugendgruppe. Niemand wusste, um was es bei diesem Song ging. Niemand ahnte, dass der Song später einmal genauso als Schwulenhymne gelten würde wie Gloria Gaynors „I Will Survive“ oder Jimmy Somervilles, mit Bronski Beat eingespielter Song „Smalltown Boy“. Aber die für damalige Verhältnisse, erst recht für eine Single unglaublich lange Version von rund sieben Minuten forderte beim Klammerblues auf der Tanzfläche den ganzen Mann. „Sebastian“ war die erste Auskopplung aus dem Debutalbum von Steve Harley & Cockney Rebel, aus „The Human Menagerie“. Damit scheint diese neue Band dort weiterzumachen, wo David Bowie und Roxy Music die Leitpfosten eingerammt haben. Irgendwie konsequent bekommt eine liebe Freundin wenig später „The Best Years Of Our Lives“ zum Geburtstag – in Zeiten, in denen es noch keine CDs oder anderweitig digitale Musik gab, ein nicht ganz uneigennütziges Geschenk.

Live erlebe ich dann Steve Harley etliche Male. Erinnern kann ich mich noch an ein Konzert in Dortmund, weil wir auf der Rückfahrt auf der Autobahn an einem brennenden Lkw vorbeifuhren. Und weil meine Freundin immer dann, wenn Barry Wickens die elektrische Violine spielte, völlig erstarrt in Richtung dieses unglaublich guten Sideman blickte. Auch ein Konzert in Montabaur ist mit einem eindrucksvollen persönlichen Erlebnis verbunden: Am Abend vorher hatten wir Sir Paul McCartney in Frankfurt erleben dürfen. Nach den dritten oder vierten Stück wurden Paulchens Haare immer länger, immer nasser. Formvollendet, auch wenn – zumindest nach meiner Erinnerung – der Ex-Beatle damals noch gar nicht geadelt war, nahm McCartney ein schneeweißes Handtuch und tupfte sich behutsam den Schweiß aus den nassen Locken im Nacken.
Anders am nächsten Abend Steve Harley in Montabaur: Abgesehen einmal davon, dass mit uns eine Viertelstunde vor Konzertbeginn insgesamt sechs Personen in der Stadthalle waren – „Die Leute kommen hier immer erst kurz bevor es losgeht!“ Aha! – bauten sich dann direkt bei Konzertbeginn fünf oder sechs Brecher direkt vor uns auf. Konzerte sind eben nichts für Zwerge! Also orientierten wir uns ein paar Schritte zurück, konnten so die ganze Bühne sehen. Die Violine spielte an diesem Abend jemand anders, weit weniger gutaussehend als Barry Wickens. Wie am Vorabend Paul McCartney kam auch Steve, damals mit fast schulterlangen Haaren und einer „Pläte“, die an eine übergroße Mönchstonsur erinnerte, schnell ins Schwitzen. Ein weißes Handtuch stand wohl nicht zur Verfügung. Also schüttelte Steve energisch den Kopf – die vorderen Reihen waren geduscht. Den Brechern, die sich uns in die Optik gestellt hatten, sei Dank.

Für einen Musikfan, der Journalist ist (oder soll ich sagen: für einen Journalisten, der Musikfan ist?), bietet der Beruf immerhin die Gelegenheit, mit den „Helden der Jugend“ livehaftig zusammenzutreffen. Mikrophon, Aufnahmegerät und die Möglichkeit, zumindest Teile des Interviews zu senden, machen es möglich. Für jemanden, der sowohl im öffentlich-rechtlichen wie im privaten Rundfunk zu hören ist, bleibt das nicht immer konfliktfrei. Dank einer lieben Bekannten beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der Steve Harley für eine Art Rocknacht eingeladen hatte, bekam ich einen Slot für ein Interview, obwohl die Kollegin wusste, dass ich damit einen Sendeplatz bei einem Privatsender füllen würde. „Wehe, du packst einen Windscreen mit dem Logo von **** aufs Mikro – dann werfe ich dich raus!“ Habe ich nicht.

Mit Steve allein sitze ich dann in seiner Garderobe. Der ist lockerer als ich, irgendwie ein Clown. Nichts zu sehen von dem früheren Großmaul, als dass er eine Zeitlang bei Journalisten verschrien war. Wie das nun mal so ist: Wenn du die Leute im eigenen Job – Steve hatte sich früher selbst einmal als Journalist versucht – angehst, sind die dir später auch nicht unbedingt wohlgesonnen. In der frühen Phase der Band kam hinzu, dass Steve nicht nur fast alle Stücke schrieb und arrangierte, sondern damals schon der Taktgeber, der Kopf, der Chef im Ring war. Er sagte, wo es langging. Basta. Was ihm den Vorwurf einbrachte, ein Egomane zu sein. Dass er eigentlich Stephen Nice hieß, dass ich ihn mehrfach live gesehen hatte, Jahre zuvor in Montabaur auch seinen jüngeren Bruder an den Keyboards erlebt hatte – das alles ist natürlich kein Thema. Wie er auf „Steve Harley“ gekommen sei? Irgendwie blockt er ab, fragt stattdessen, wie ich seine Haare fände? Seit der Haartransplantation fühle er sich wie ein anderer Mensch. Gefällt mir, steht ihm, erwidere ich. Und denke nur für einen ganz kurzen Augenblick an Montabaur, wo seine lange Haare den Schweiß katapultartig unters Publikum verteilten…
Die üblichen Fragen zur neuen CD, dann dreht Steve den Spieß um. Und eh ich mich versehe, hat er aus mir herausgelockt, dass ein Bekannter knapp 300 Kilometer, nämlich aus Bochum, zum Konzert angereist sei. Steve findet sichtlich Gefallen am Namen der Stadt, wiederholt mehrfach „Bochum“, lässt sich bei der Aussprache korrigieren und lacht. Als er dann erfährt, dass die Konzertveranstaltung ganze zwölf Euro kostet, ist er aus dem Häuschen. „Fucking twelve Euro?“ Ja, genau. Unglaublich.

Wenig später steht Steve auf der Bühne. Nach drei oder vier Songs grüßt er einen Fan, der extra aus „Bokkum“ angereist sei. Und mokiert sich ein über das andere Mal, dass dieses Konzert wirklich nur „fucking twelve Euro“ koste? Unbelievable! Fucking twelve Euro!
Übrigens: ein geiles Konzert. So wie alle Shows, die ich vorher mit Steve gesehen habe und später mit ihm sehen werde. Immer dabei die gesamte Palette an Hits, natürlich „Make Me Smile (Come Up And See Me)“, „Judy Teen“, „Mr. Soft“, der Beatles-Klassiker „Here Comes The Sun“ und „The Best Years Of Our Lives“. Allerdings ist es jedes Mal das legendäre „Tumbling Down“, dass auch in Deutschland die Fans endgültig zum Kochen bringt. Außerdem: Vor allem bei Konzerten bei uns im Land wird Steve nicht müde davon zu erzählen, dass sein früherer Bassist Paul Jeffreys beim Flugzeugattentat in der Nähe der schottischen Kleinstadt Lockerbie 1988 ums Leben kam – ein verachtungswürdiger Terrorschlag, so Steve. Und meistens erzählt er, dass sein großartiger Schlagzeuger Stuart Elliott sogar für Paul McCartney gespielt habe – der Einzige, der Steve in all den Jahren die Treue gehalten hat und immer und immer wieder auf seinen Alben erscheint, sich lediglich bei „kleinen Konzerten“ aufgrund anderer Verpflichtungen vertreten lässt. Ach ja, fast vergessen hätte ich, dass auch Barry Wickens nach unterschiedlichen Engagements (Tipp: unbedingt mal die Aufnahmen der „Immaculate Fools“ mit ihm hören!) zu Steve zurückgefunden hat. So schließt sich der Kreis, auch wenn Barry heute weitaus weniger Wirkung auf meine damalige Freundin hat als früher…

Als ich Steve wenige Jahre später in Aschaffenburg (noch ein Tipp: Besuche im Colos-Saal in der Aschaffenburger Fußgängerzone lohnen, egal welche Künstler dort auftreten!) zum erneuten Interview treffe, braucht Steve beim Soundcheck länger als erwartet. „Hi, I’m Steve“, begrüßt er mich händeschüttelnd, gleichzeitig mit einem fragenden Gesichtsausdruck. Ich wisse, wer er sei, erkläre ich ihm grinsend und nenne meinen Namen, schließlich hätten wir in Frankfurt vor ein paar Jahren schon einmal miteinander gesprochen. Ah, deshalb käme ich ihm so bekannt vor. Fucking twelve Euros? Steve scheint sich wirklich zu erinnern. Ob ich auch ein Glas Weißwein wolle? Nein, danke. Und dann reden wir über seine damals aktuelle CD „Stranger Comes To Town“. Als Steve über „For Sale. Baby Shoes. Never Worn“ spricht, läuft er zu Topform auf. Ob ich die Story rund um Ernest Hemingway kenne? Sage ich ja, wird er nicken. Sage ich nein, wird er sie mir erzählen. Ich aber will unbedingt den O-Ton. Also verneine ich. Steve kann es nicht fassen. Und erzählt wie Hemingway (angeblich) eine Wette gewann, weil er

gegenüber Schriftstellerkollegen behauptete, er könne die kürzeste Kurzgeschichte der Welt schreiben. „For Sale“ fungiert als Einleitung, „Baby Shoes“ ist der Hauptteil, „Never Worn“ ist der Schluss. Hemingway gewann. Mit nur sechs Wörtern! Und mir wird klar, warum Songs von Steve Harley tatsächlich „sophisticated“, also anspruchsvoll sind.
Und wie er arbeitet. Hat er mir nicht damals, in Frankfurt, erzählt, dass er in den Nachrichten gesehen habe, wie ein junger Bankräuber festgenommen (oder gar erschossen?) wurde und dessen Mutter lamentierte, er habe doch nur einmal in seinem Leben ein Star sein wollen. „Dino – Star For A Week“ wurde bei Steve daraus – ein großartiger Song. Sophisticated, eben.

Beim Interview in Aschaffenburg kommt er auch zu „This Old Man“ ins Reden. Dass er den Song seinem Vater gewidmet habe. Als Kind war Steve wegen Kinderlähmung lange und immer wieder im Krankenhaus. Auch heute noch humpelt er ein wenig. Mehr zurückgeblieben ist von dieser Erkrankung nicht. Außer Steves Erinnerung an eine Ordensschwester mit großer Haube, die seinem Vater gesagt habe, er, Steve, würde es wohl nicht schaffen. Es so gesagt habe, dass der Junge im Krankenbett es hören konnte.
Wenn die Psychiater dieser Welt auch nur im Ansatz recht haben, dann kann in solch einem Erlebnis der Grund liegen, warum ein Mensch später sehr verletzlich ist. Und sich, um eben nicht verletzt zu werden, mit einer Mauer umgibt, gerne auch einmal das Großmaul mimt und nicht so schnell jemanden an sich heranlässt. Meine Gedanken schlagen Purzelbaum. In die Realität komme ich zurück, als Steve erzählt, wie sein Vater sich an sein Bett gestellt habe: „Du bist ein Boxer! Du schaffst das! Du stehst wieder auf!“ Oder so ähnlich. Na ja, und Steve ist wieder aufgestanden. Ist zum Star geworden. Im Krankenhaus habe er die ganze Bibel gelesen. Von vorne bis hinten. Und Shakespeare und Goethe. Was Papst Johannes Paul II. da gemacht habe, dass sei gut gewesen. Dem seien wohl das Tauwetter in Osteuropa und die Wiedervereinigung Deutschlands zu verdanken. Gut fand er diesen Papst, auch wenn der nicht sein Chef gewesen sei. Er und seine Familie seien ja Anglikaner…

Apropos Vater: Seiner sei ja nicht im Krieg gewesen. Und ich sei viel jünger als er. Wie denn mein Vater über den Krieg gesprochen habe? Da ist es wieder wie in Frankfurt: Steve vertauscht geschickt die Rollen von Interviewer und Interviewtem. Als ich mich für einen Moment auf dieses Spiel einlasse und sage, dass ich ja nun auch nicht sooooo viel jünger sei als er, habe ich verloren. Steve fragt, ich komme nicht mehr zum Interview zurück. Und irgendwann ist die Zeit, eh schon weit überzogen, endgültig vorbei – er muss sich noch einsingen, entschuldigt er sich. Beim anschließenden Konzert hat er übrigens nichts erzählt, weder von seinem Vater noch von meinem. Und von den „fucking twelve Euros“ auch nicht. Das hätte ja auch nicht gepasst.

Am 27. Februar ist Stephen Nice, vollständig übrigens Stephen Malcolm Ronald Nice, aka Steve Harley 70 Jahre alt geworden. Ein Geburtstagsgeschenk hat er sich bereits im letzten Jahr selbst gemacht: Außer von eingefleischten Fans eher unbemerkt hat er ein Album mit Coversongs aufgenommen – Songs von Bob Dylan, den Beatles, David Bowie, den Rolling Stones, Hot Chocolate und anderen, allesamt akustisch eingespielt mit den besten Musikern, so Steve, die er für die Aufnahmen zur Verfügung hatte. Songs, die ihn in seinem Leben begleitet haben. Tolle Songs, die er in seiner ganz persönlichen Art und Weise interpretiert. Seit dem zweiten Hören gefällt mir die CD. Obwohl ich ja lieber neue Songs, geschrieben von Steve selbst, hören würde. Meinetwegen auch über „fucking twelve Euros“…

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