Böttcher, Jens – Steiner. Oder: Die merkwürdige..
Autor: Böttcher, Jens Die gescheiterte Existenz Steiner begibt sich zwecks Sinnsuche in eine Klinik und durchlebt seine Vergangenheit. Von Musiker und Comedian Jens Böttcher (Erstlingsroman).
Jens Böttcher, Steiner. Oder: Die merkwürdige Lebensweise eines möglicherweise zurechtverrückten Gemüts auf dem Weg zu einem unbekannten Ziel, an dessen Erreichen sich nicht geringe Hoffnungen knüpfen. Brendow Verlag + Medien, 2007, 16,95 EUR.
Natürlich könnte man sagen: Die gescheiterte Existenz Steiner begibt sich auf eine Sinnsuche, vor deren Erfüllung er seine gesamte Vergangenheit durchlebt. Damit wäre die Katze aus dem Sack, der Inhalt des Romans trefflich wiedergegeben, so dass man eigentlich nur noch hervorheben müsste, dass es ein Genuss ist nachzuvollziehen, wie Jens Böttcher mit der Sprache spielt. Aber das alles griffe viel zu kurz. Deshalb etwas ausführlicher.
Eigentlich will Steiner nur eins: Tiefe Freude empfinden können, die nicht gleichzeitig schmerzt, weil stets der Stachel des persönlichen Getriebenseins in ihr enthalten ist. Oder anders ausgedrückt: Mensch sein, endlich Mensch, etwas, wonach er sich zeitlebens gesehnt hat.
Dazu weist sich Steiner dank entsprechender finanzieller Möglichkeiten selbst in eine therapeutische Klinik ein, gelangt dort an den seinerseits „mehr als seltsamen“ Professor Rückert, der ihn für die angesetzte Gesprächstherapie bittet, sein gesamtes Leben aufzuschreiben. Womit bereits nach dem Eingangsgespräch feststeht: Steiner wird eine ganze Weile in der Klinik verbringen.
Gleich der Einstieg stellt Steiner vor ein Problem: Denn während Rückert ihn bittet, sein Leben „als eine Art Außenseiter, der von außen ins Leben reinschaut“ Revue passieren zu lassen, empfindet sich Steiner selbst allenfalls als „Außenseiter, der von außen aus dem Leben rausschaut“. Und so wird dem aufmerksamen Leser bereits nach den ersten Seiten klar, dass es die feinsinnig gesetzten Wortspiele sind, die sprachlichen Sottisen, auf die es in Böttchers Debütroman ankommt. Dabei erweist sich Böttcher als sprachlicher Jongleur, dem es gelingt, gerade durch scheinbare Gegensätze den vielen philosophisch anmutenden Schlüsselstellen seines Romans eine besondere Tiefe zu geben, den Leser zu fesseln und ihn zum Nachdenken zu zwingen, ja, sogar zum eigenen Psychologisieren anzuregen. Dabei erweist sich die Gestalt des Protagonisten Steiner als Schlüssel zum eigenen Lebensverständnis, als Korrektiv und / oder Leitfaden, je nachdem aus welcher persönlichen Lebenshaltung sich der Leser dem dargebotenen Stoff nähert.
So wird dem Leser offenbar, dass Steiner bereits als Kind Steiner die zweifelhaften Lebensweisheiten seiner Eltern beherzigt hat, dass der Sumpf des Lebens leichter zu durchwandern sei, wenn man sich beizeiten die passenden Gummistiefel dafür besorge (Vater), bzw. dass er nur aus Katastrophen lerne, weshalb er für jeden kleinen Fehltritt angemessen dankbar sein und für jeden großen auf demütig die Knie fallen solle (Mutter). Die schrittweise enthüllten Lebensstationen Steiners dienen nicht nur dem entwicklungspsychologischen Nachvollziehen des erzählenden Ichs, dessen Therapie jahrelang keine Fortschritte zu machen scheint, sondern Böttcher legt es mit ihnen vor allem darauf an, dem Leser einen Spiegel vorzuhalten und seine Selbstreflexion anzuregen. Der Protagonist Steiner aber kommt zu dem Ergebnis, dass er weiterhin ein „Suchender, ein Getriebener, ein Geist (bleibt), der darauf hoffte, dereinst mehr über die Menschen und sich selbst erfahren zu dürfen.“ Welcher Leser kann sich von dieser Sehnsucht völlig freisprechen?
Anfangs ziellos, später konsequent begibt sich Steiner auf die Suche nach sich selbst, nach einem Zuhause, nach dem Urgrund des Seins und dem Sinn in seinem Leben, um immer wieder festzustellen, dass er an seiner eigenen Existenz leidet. Erst spät lässt Böttcher ihn erkennen, dass Weltkritik und Enttäuschung zu einer Mauer werden, die dem Protagonisten die Luft zum Atmen genommen hat, so dass er „der eigenen Unfähigkeit, sich der Welt zu stellen, zum Opfer gefallen“ war. Hier liegen die Gründe, die Steiner daran hindern, uneingeschränkt und aufgeschlossen an seine tatsächliche Sinnsuche, seine Sehnsucht nach Annahme, Geborgenheit und Liebe heranzugehen. Konsequent kommt es daher auch zu einer Thematisierung der Gottesfrage, die, vom Therapeuten negiert, sich langsam verstärkt und bis hin zu einem Therapiegebet entwickelt. Dass Gott letztlich Liebe ist, wird Steiner feinsinnig ausgerechnet durch einen der kranken Mitbewohner des Sanatoriums offenbart. Letztlich erhält der Roman durch die Gottesfrage auch philosophisch – theologische (Be-) Züge, ohne das Genre zu irgendeinem Zeitpunkt zu sprengen.
Steiner, der das Leben und daher anfangs auch die Mitbewohner des Sanatoriums, allesamt skurril, bizarr und extrem gezeichnet, flieht, erfährt in den Begegnungen mit ihnen eine Bereicherung und letztlich auch die Katalysatoren, die es ihm ermöglichen, schließlich die Selbstisolation zu verlassen. Initialzündung dazu ist die Pensionierung des ihn behandelnden schrulligen Professor Rückert, zu der Steiner sogar selbstlos beiträgt: Er ermöglicht es dem Therapeuten durch eine großzügige Schenkung, einen Wunschtraum, nämlich die Nachbildung einer Eisenbahnstrecke über die Alpen, zu verwirklichen. Der Leser mag seine eigenen Phantasien freien Lauf lassen, wie die beiden, die im Verlauf der mehrjährigen Therapie zu einem freundschaftlichen Verhältnis gefunden haben, nun wohl weiterleben werden.
Dass Steiner am Ende durchströmt wird von der Güte Gottes, wirft die Frage auf, inwieweit der Autor autobiographische Züge hat einfließen lassen. Um auch dies schnell zu sagen: Die Frage bleibt unbeantwortet. Aber die Homepage des Autors bietet reichlich Futter zu Spekulationen: Die Tatsache, dass vor dem Abitur die Flucht aus der Schule gelang, der Zivildienst mit einer vorzeitigen Entlassung endete und das Brötchenschmieren und Kabeltragen am Set in eigene Produktionen mündete, wirkt ebenso schillernd wie die, dass der christliche Musiker (Jens Böttcher; Rosenbrock + Böttcher) seine größten Erfolge als Comedian (Sat 1, NJoy / NDR, WDR) feierte. Aber sie verblasst gegenüber dem Eingeständnis, ein melancholisch Suchender gewesen zu sein, der zum bekennenden Christen wurde und „nach abenteuerlichen Glaubenserlebnissen in einer Hotelzimmerbadewanne getauft wurde.“
Wer jetzt noch fragen hat, sollte schnellstens auf Böttchers Homepage klicken und vor allem „Steiner“ lesen.
Infos:
http://www.amazon.de/Steiner-oder-merkw%C3%BCrdige-m%C3%B6glicherweise-zurechtverr%C3%BCckten/dp/3865061818/ref=sr_1_1?ie=UTF8&s=books&qid=1208282079&sr=8-1
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