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Walpurgisnacht (30. April)

Bei uns im Dorf gab es an jedem 30. April genau drei Gruppen von Menschen: die, die bereits nachmittags durch ihren Garten gingen, alles, was nicht niet- und nagelfest war, in einen Schuppen schlossen und ein dickes Vorhängeschloss am Gartentor anbrachten. So, als wäre das Übersteigen des Gartentörchens eine höhere Hemmschwelle, als wenn

man es lediglich aufklinken musste. Dass diese Leute auch ihren Garten sorgsam mit Bewegungsmeldern gesichert hatten, versteht sich von selbst.

Dann gab es die, die fast schon militant waren: Die räumten zwar auch alles beiseite, was nicht niet- und nagelfest war. Aber sie legten sich auch mit einem – meistens nur sprichwörtlichen – Knüppel auf die Lauer und warteten auf die, die zur dritten Gruppe gehörten.

Tja, und diese dritte Gruppe bestand aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die durch die Straßen zogen, in die Gärten eindrangen und dort das machten, was sie als Bestandteil einer Hexennacht ansahen: die bestehende Ordnung gewaltig zu stören, alles in ein anständiges Durcheinander zu verwandeln.

Schabernack in der Hexennacht

Wobei man sich über die Grenzen natürlich streiten kann. Gartenstühle und Sonnenschirme zweier Nachbarn auszutauschen, ist sicher ein harmloser Schabernack. Die Abfalltonne mit Toilettenpapier einzuwickeln, sicherlich auch. Aber die Gartenstühle gleich im Gartenteich zu versenken, ist nicht mehr feierlich. Und demjenigen, der seinen Garten fest verriegelt und verrammelt hat, die Klinke der Gartentür mit Exkrementen einzuschmieren, geht gar nicht. Ebenso wie den Inhalt der Abfalltonnen an die Grundstücksgrenze zu kippen. Sorry, Leute, aber das sprengt alle Grenzen. Das ist nicht witzig, das ist nicht mehr komisch. Das ist einfach eine Sauerei.

Um allerdings der Wahrheit die Ehre zu geben: Lachen musste ich schon, als ich vor ein paar Jahren ein Foto in der Zeitung sah: Da hatten ausgerechnet „unsere Dörfler“ mit vereinten Kräften einen Kleinwagen auf das gemauerte Wartehäuschen einer Bushaltestelle gehievt. Im „besoffenen Kopp“ denkt man ja nicht darüber nach, was da alles hätte passieren können. Und, ganz nebenbei, auch passiert ist: Denn der Besitzer des Kleinwagens ließ aus lauter Verzweiflung für teures Geld eine Art Kran kommen, der den Wagen dann wieder vom Dach des Wartehäuschens hievte. Dem Auto ist nichts passiert. Aber das Wartehäuschen wurde noch am selben Tag gesperrt und wenige Tage später abgerissen. Ganz so gut hatte es dann wohl das Gewicht des Fahrzeugs doch nicht verdaut. Als Gag war die Sache nicht schlecht. Aber die Folgekosten hoben die ganze Angelegenheit dann schon auf eine Ebene von blindem Vandalismus.

Ursprünge der Hexennacht: Beltane

Feiern und feiern sind eben zwei paar Schuhe. Seinen Ursprung hat der Schabernack in der sogenannten Hexennacht in der keltischen Mythologie: Nach alter keltischer Tradition war der 1. Mai der Beginn des Sommers, lange

Zeit sogar der Beginn des neuen Jahres. Die Nacht vom 30. April auf den 1. Mai feierten die alten Kelten also entsprechend ausschweifend – das kennen wir ja von unserer Silvesternacht. Allerdings hieß diese Nacht bei den alten Kelten Beltane. Als Name für eine Gottheit gibt es diesen Namen erst in späterer Zeit. Abgeleitet zu sein scheint er von der Gottheit Belenus, eine Art keltische Entsprechung für den Frühlingsgott Apoll der alten Griechen und Römer. Eine Alternative: Der Name stammt vom mythischen Ahnherrn walisischer Adelsgeschlechter Beli Mawi. Allerdings gilt dieser Name auch schon als von Belenus abgeleitet. Wirklich gesichert ist das alles aber nicht, selbst wenn es gut passen würde: Denn die Kelten verehrten an Beltane, dem Fest des Belenus, Bäume, sahen in ihnen das Abbild des Lebens. So gibt es Hinweise darauf, dass die Kelten gerade an Beltane Bäume mit Bändern besonders schmückten – ein Brauch, der sich in unseren Maibäumen wiederfindet. Das keltische Ritual, an Beltane an einem besonders geschmückten Baum ein Blutopfer darzubringen, ist allerdings zum Glück verloren gegangen.

Ausräuchern oder Rauchopfer?

Gesichert scheint, dass die Kelten allerlei Räucherungen vorgenommen haben – wahrscheinlich um die Wintergeister zu vertreiben oder aber um die Fruchtbarkeitsgöttin Beltane, wie sie später heißt, milde zu stimmen. Die Ähnlichkeit zum Weihrauch in den katholischen Gottesdiensten scheint auf den ersten Blick frappierend. Mit Wohlgerüchen die Gottheit gnädig zu stimmen – viele Religionen und Praktiken des Aberglaubens kennen diese Art des menschlichen Einflussversuchs auf etwas, was sich unter normalen Umständen dem menschlichen Zugriff entzieht.
Möglicherweise ist der starke Rauch aber auch einfach eine Art Nebenwirkung der Beltane-Feuer. Und selbst für die könnte es eine sehr banale Erklärung geben: Denn auch die alten Kelten wussten sehr wohl, dass Asche ein guter Dünger für den Boden ist. Also flämmten sie größere Flächen ab, um neues Wachstum zu fördern. Brandrodung unter kultischem Aspekt – auch nicht schlecht! Und gleichzeitig eine Vernichtung von Schädlingen aller Art. Leider auch eine Natur- und Umweltzerstörung besonderen Ausmaßes!

Feuer als reinigende Kraft

Dem Feuer wird seit alten Zeiten ohnehin eine reinigende Kraft zugesprochen. Darum brannte man ja früher, vor der Erfindung von Desinfektionsmitteln, Wunden auch gerne aus. Wobei das mit dem „Gerne“ von Seiten des Betroffenen wohl so eine Sache war. Eher ungern. Aber ungemein hilfreich! Was praktisch funktioniert, funktioniert auch im nicht-sichtbaren Bereich: Deshalb packten Hexenjäger in unserer finsteren Vergangenheit vermeintliche Hexen, also Frauen, die sich angeblich mit dem Teufel eingelassen hatten, auf den Scheiterhaufen: Das Feuer sollte die unsterbliche Seele reinigen. Woher die Herrschaften wussten, dass dazu das Fegefeuer nicht ausreicht, entzieht sich meiner Kenntnis…

Rauschhafte Zustände: Bilsenkraut vs Maibowle

Aber bevor ich mich hier verrenne, lieber noch das hier: Wirft man die eine oder andere Pflanze – bitte jetzt nicht mit den Harzen des Weihrauchs verwechseln – ins Feuer, löst dies anregende Düfte aus. Manchmal auch halluzinogene! Bei den keltischen Beltanefeiern spielte das Bilsenkraut, lateinisch Belenuntia – ein deutlicher Hinweis auf die Gottheit Belenus! – eine wichtige Rolle – ein Kraut, das, wenn man es zu sich nimmt, starke Halluzinationen hervorrufen kann. Für mich ein klarer Vorläufer der Maibowle. Die löst bei mir traditionell auch rauschhafte Zustände aus – verbunden mit üblen Kopfschmerzen am nächsten Morgen… obwohl der enthaltene Waldmeister ja als Tee gerade gegen Migräne und Kopfschmerzen helfen soll. Na gut, dann liegts eben am Sekt in der Bowle…

Sexualität

Womit wir zusammenfassen können: Maibowle zum Vorglühen, Feuer (vielleicht auch in Form von Temperament und Leidenschaft), ausgelassener Tanz um den Maibaum – (am liebsten würde ich jetzt schreiben: das ist wahrer Rock ‚n‘ Roll. Aber stattdessen schreibe ich:) das alles als Reminiszenz an die angeblichen Hexentänze, auch wenn Besen, Mistgabeln und schwarze Katzen heute fehlen.
Dass die alten Hexen in großem Kreis mit dem Rücken zum Feuer tanzten, erklärt sich möglicherweise auch von dem „Perversen“ im ursprünglichen Wortsinn, dem Verdrehten.
Dass manch eine der Maitänzerinnen dem Teufel in Mannsgestalt den Hintern oder was auch immer küsst, kommt angesichts von Maibowle auch heute immer wieder vor… (Na gut, während der Corona-Pandemie vermutlich weniger…) Aber immerhin hätten wir hier eine Weiterführung der altbekannten sexuellen Ausschweifungen in der Beltanenacht.

Wobei die Geschichte mit dem Hexenbesen als Phallussymbol bestenfalls einfältiger männlicher Fantasie entspringt. Vielleicht sollte man die „sexuellen Ausschweifungen an Beltane“ viel banaler deuten: Will man als alter Kelte unbedingt Nachwuchs in die Welt setzen, der irgendwann beim Bestellen des Feldes helfen kann, eignet sich kaum eine Nacht besser als die, die unter besonderem Schutz der Fruchtbarkeitsgöttin steht…

Goethes Faust und die Walpurgisnacht

Wie ich ja schon im Zusammenhang mit den Bräuchen zum Frühlingsbeginn geschrieben hatte: Erst durch Johann Wolfgang von Goethes Faust wird die Walpurgisnacht als Nacht mit den berüchtigten Hexentänzen so richtig populär. Übrigens nicht nur auf dem Harzer Brocken, sondern auch an den Externsteinen im Teutoburger Wald und an vielen anderen Stellen, die in alter Zeit als Kultstätten verwendet wurden. Dass heutzutage moderne Kurzzeit-Hexen und Hexenmeister einen Grund zum Feiern suchen und ihn hier finden, ohne jemals den Faust gelesen zu haben, ist eine ganz andere Sache.

Walpern mit der heiligen Walburga

Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Weil man meinte, dass die Hexentänze mit gewissen Zaubern verbunden wären, brauchte es natürlich einen Gegenzauber. Am besten schon prophylaktisch. Modern gesprochen sind das die Rentner, die mit dem Knüppel in der Hand hinter der Tür stehen und die Jugendlichen aus unserem Dorf schon im Vorfeld davon abhalten, auf ihrem Grundstück hexennacht-artigen Blödsinn durchzuführen. In früheren Zeiten nannte man die Durchführung von Gegenzaubern „Walpern“ – ein Wort, das wie die Walpurgisnacht auf die heilige Walburga zurückzuführen ist. Die Heiligsprechung dieser englischen Äbtissin am 1. Mai kommt nicht von ungefähr. Denn als Patronin gegen Tollwut (!) und andere Krankheiten ist die fromme Frau die „maßgeschneiderte Gegenspielerin“ all des Unwesens, was mit der Hexennacht in Verbindung gebracht wird – zumindest wohl nach alter kirchlicher Vorstellung.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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