Von Ben Hur, Quo Vadis, Jesus Christ Superstar bis Passion of The Christ (27. März)
Keine Frage: Wenn es um Jesusfilme, entsprechende Musicals und dazugehörige Soundtracks geht, bietet sich die Zeit unmittelbar vor Ostern geradezu dafür an. Aus gutem Grund zeigen auch die einschlägigen Fernsehsender allseits Bekanntes in der – gefühlt – 1000. Wiederholung, hieven Monumentalfilme mit dem Hinweis auf ihre aufwendige Rekonstruierung noch einmal ins Programm. Oder wiederholen zumindest, was es über das Turiner Grabtuch seit Jahren zu berichten gibt. Selbstverständlich ist die Zeit
unmittelbar vor Ostern auch eine geeignete Phase, um Neuveröffentlichungen zum Thema Jesus – oder in den letzten Jahren noch aktueller: allgemein zu biblischen Themen – vorzustellen. Was die Jesusfilme anbelangt: Mit denen gab es in der Vergangenheit oft genug kräftigen Zoff statt froher Ostern. Denn immer enthalten die Werke, die sich mit dem Leben und vor allem dem Leiden und Sterben dieses Jesus von Nazareth beschäftigen, ein paar Elemente, die der eine oder andere ganz anders sieht. Im schlimmsten Fall: durch die sich Menschen in ihrem persönlichen Glauben verletzt fühlen. Die sind da – warum auch nicht – empfindlich. Und sie reagieren entsprechend: eben empfindlich.
Blick zurück: Die ersten Jesusfilme sind gerade einmal knapp 125 Jahre alt. Gemessen am Christentum keine besonders lange Zeit. Der banale Grund: Erst im Februar 1895 lassen die Brüder Lumière ihren Kinematographen patentieren. Erst seitdem gibt es das, was wir heute Film nennen. Zu einer ersten Kinovorführung laden die Gebrüder Lumière, und zwar Louis Jean und der fast acht Jahre jüngere Auguste Marie Louis Nicolas – ja, soviel Zeit, die vollständigen Namen dieser beiden Filmpioniere zu nennen, muss sein – am 28. Dezember 1895 in Paris ein. Die gezeigten Filme haben im auslaufenden Jahr 1895 nicht die Spur mit der Filmlänge zu tun, wie wir sie aus standardisierten Formaten wie dem „Tatort“ etc. kennen, sind also keine 90 Minuten lang, ja erreichen noch nicht einmal die Längen der aus dem Vorabend bekannten Formate von (2 mal) 22 Minuten. Tatsächlich zeigen die Gebrüder lediglich kurze Clips, nicht viel länger als ein heutiger Werbespot im Fernsehen. Allerdings genügt diese Länge gekoppelt mit dem neuen Medium Film, um das Ganze zu einem Phänomen zu machen, das seinen Siegeszug um die Welt antritt. Vor allem aber gilt: Jetzt, wo es die Kinematographen gibt, muss Futter für die Maschinen her.
Erste Jesusfilme Ende des 19. Jahrhunderts
Gleich sechs Jesusfilme erblicken in den ersten Tagen des Kinofilms das Licht der Welt. Die sind zwar schon deutlich länger als die ersten Spots, aber noch weit davon entfernt, abendfüllend zu sein:
– „La passion du Christ“ von Hermano Basile, erschienen im Jahr 1897, ist immerhin schon fünf Minuten lang.
– Die Gebrüder Lumière bringen es im selben Jahr bei „La vie et la passion de Jésus-Christ“ immerhin auf zehn Minuten und veröffentlichen damit den längsten Film, den die beiden Brüder je drehen werden. Er besteht aus 13 Szenen im Leben Jesu, beginnt bereits beim neugeborenen Jesus und der Anbetung durch die Heiligen Drei Könige und endet nicht etwa bei der Kreuzigung, sondern erst mit der Auferstehung. Die Rolle des Jesus übernimmt dabei der französische Schauspieler Bretteau, von dem wir heute abgesehen von seinem Künstlernamen lediglich wissen, dass er auch 1901 im ersten Kriminalfilm aller Zeiten mitspielt.
– In Italien erscheint, ebenfalls 1897, unter der Regie von Luigi Topi „La passione di Gesu“,
– in den USA ein Jahr später Henry C. Vincents „The Passion Play“, immer noch ein Kurzfilm, wenn auch aus mittlerweile 24 einzelnen Szenen bestehend. (Bitte nicht verwechseln mit dem Album „A Passion Play“ der Prog-Rocker Jethro Tull von 1973, selbst wenn auch dieses von Wiedergeburt und ewigem Leben handelt und somit irgendwie mit dem
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Hinzunehmen muss man zur Liste der ersten Jesusfilme unbedingt noch die beiden französischen Produktionen
– „Vie du Christ“ (Regie: Alice Guy) und
– „Le Christ marchant sur les eaux“ (Regie: Georges Méliès) von 1899.
Die Produktion von Georges Méliès beschließt nicht nur den Reigen von sechs frühen Jesusfilmen Ende des 19. Jahrhunderts – sie ist auch deshalb besonders wichtig, weil es ohne diesen Film nicht möglich wäre, darauf zu verweisen, dass David Mallett fast 100 Jahre später, nämlich 1995, in seinem Videoclip für „Heaven For Everyone“ der Rockband Queen aus gleich drei verschiedenen Filmen von George Méliès Sequenzen verwendet, nämlich – in chronologischer Reihenfolge – „Le voyage dans la lune“ (1902), „Le voyage à travers l’impossible“ (1904) und “L’éclipse du soleil en pleine lune“ (1907). Da das aber den Rahmen der Betrachtungen von Produktionen im Zusammenhang mit Jesus sprengen würde, lasse ich diese Randbemerkung an dieser Stelle dann doch lieber weg…
Zumindest zu „The Passion Play“ gibt es eine klare Rückmeldung: Der Film wird sechs Monate in Folge im New Yorker Eden Musee gezeigt und von Geistlichen sowie – nennen wir es einmal – „religiösen Aufsichtsbehörden“ als äußerst lehrreich empfohlen. Kein Wunder, dass innerhalb kürzester Zeit (legale!) Kopien des Films in den gesamten USA bei kinematographischen Vorführungen (Darf man zu dieser Zeit schon von Kinos sprechen?) zu sehen sind.
Besonders schön und bemerkenswert: Eine uralte Filmaufnahme zeigt 1898 Papst Leo XIII., der ein Filmteam und ihre Kamera segnet. Die Kirche hat mit dem neuen Kommunikationsmittel also von Anfang an ihren Frieden gefunden.
Na ja, Friede, Freude, Eierkuchen? Anfangs vielleicht. Aber nicht auf Dauer. Dazu sind die nachfolgenden Jesusfilme vielleicht auch zu viele, als dass man nichts finden würde, woran man Anstoß nehmen könnte. Denn bis heute sind über 250 Filme gedreht worden, bei denen die Passion Jesu im Vordergrund steht. Zählt man alle anderen Filme mit, in denen Jesus irgendwie eine Rolle spielt – ja, dazu gehören dann auch Zeichentrickfilme wie die Simpsons und South Park genauso wie Monty Pythons „Das Leben des Brian“ – , dann dürften die Zahl der Filme, in denen Jesus vorkommt, sich langsam der Zahl von 1000 annähern.
Kein Wunder also, dass es aus kirchlichen Kreisen auch negative Worte gibt, dass man Anstoß nimmt, auch genereller Natur. So reagieren die deutschen Bischöfe 1913 in einem Hirtenbrief mit dem Titel „Zum Schutz der christlichen Familie“ und bemängeln „Schädigungen der Jugend“, nicht nur im körperlichen Sinne durch das „Flimmerlicht“ verdorbene Augen, sondern auch die „Lichtbildbühne“ als „Schaubühne der Unzucht“. Was aus Sicht der Bischöfe durchaus nachvollziehbar ist: Da entsteht ein Medium, über dessen Wirkung man noch wenig weiß, was vielem, das von der katholischen Lehre abweicht, Tür und Tor öffnet und was eine größere Anziehungskraft zu haben scheint als das, was in den Kirchengemeinden und den noch existierenden geschlossenen katholischen Milieus gelebt wird. Da muss man einfach – völlig legitim – auf besondere Vorsicht drängen, zumal man über die Wechselwirkung von Form und Inhalt damals weitaus weniger wusste, als wir aufgeklärten Geister aus der Rückschau wissen und deshalb bequem zu mehr Gelassenheit aufrufen können.
„Quo Vadis“ und „Ben Hur“
1951, in Deutschland 1954, folgt dann ein Monumentalwerk, bei dem Jesus allerdings eher eine Nebenrolle übernimmt: In „Quo vadis“ verliebt sich ein römischer General in eine christliche Geisel, Peter Ustinov singt als Nero schauerlich zur Lyra, während Rom niederbrennt und die Verfolgung von Christen die Rahmenhandlung bildet. Die Frage Jesu an Simon Petrus, „Wohin gehst du“, direkt vor den Toren Roms, hatte Henryk Sienkiewicz schon für seine Romanvorlage als Titel vorgesehen.
Mindestens ebenso monumental will es 1959 Ben Hur mit dem größten Wagenrennen der Filmgeschichte. Ein Film über Liebe und Intrige, über verratene Freundschaft und, natürlich, über moralisch einwandfreies christliches Handeln, bei dem auch die Geburt Jesu (im Prolog) wie auch seine Kreuzigung eine gewisse Rolle spielen. Schließlich geht es um das heldenhafte frühe Christentum.
Beides sind Filme, die ganz nebenbei zeigen, zu welch aufopferungsvollem und hilfreichem Handeln christliches (Nächsten-) Liebe befähigen kann und wie widerwärtig viele handeln, die anderen Götzen, nämlich dem Reichtum, dem schnöden Mammon dienen und sich in den Fallstricken der Macht verfangen – eine Formulierung, bei der man auf den leicht ironischen Zug des ach-so absolut Gesetzten vielleicht besser explizit verweisen sollte.
Frühe Aufreger: „Jesus loves you more than you will know“ und „Jesus Christ Superstar“
Jetzt aber endlich zu den Aufregern. Dass ausgerechnet in dem Film „The Graduate“ – mit Dustin Hofmann glänzend besetzt, im Deutschen mit „Die Reifeprüfung“ großartig zweideutig betitelt – 1967 zum ersten Mal in einem Popsong „Jesus“ eine Rolle spielt, hätten sich wahrscheinlich weder besungene „Mrs. Robinson“, an die die Zeile „Jesus loves you more than you will know“ gerichtet ist, noch Simon & Garfunkel träumen lassen. Ein Song über Jesus und seine Liebe in einem Film, in dem der Ehebruch zum Programm gegen die Spießigkeit der US-amerikanischen Gesellschaft erhoben wird? Die Kritik am offen dargestellten Tabubruch bezog sich so sehr auf die Filminhalte, dass für die Musik kaum mehr Kritik übrigblieb.
Anders dagegen beim Musical „Jesus Christ Superstar“, das 1971 am Broadway uraufgeführt wurde und bis heute ein Dauerbrenner ist. Denn selbst über 40 Jahre später konnten die Bad Hersfelder Festspiele, immerhin in der Ruine einer alten Stiftskirche aufgeführt, mit „Jesus Christ Superstar“ zwei Spielzeiten hintereinander ausverkaufte Vorstellungen verbuchen. In Würzburg und anderen Städten war die Rockoper noch 2017 im Theater zu sehen. Und wären wir nicht alle Gefangene von Corona, könnte man auch in diesem Jahr irgendwo in der Republik nach entsprechenden Aufführungen googlen.
Was heute immer noch für volle Häuser sorgt, wurde Anfang der 1970er Jahre auch mit viel Kritik bedacht: In Belarus, damals im Sprachgebrauch noch Weißrussland, verbot man die Aufführung von vornherein – bereits im Vorfeld hatten sich angeblich, ohne das Stück gesehen zu haben, fromme orthodoxe Christen beschwert und gegen die Verletzung ihrer religiösen Gefühle protestiert.
Auch andernorts protestieren fromme Christen: Den einen ist das Ganze viel zu viel Woodstock, Hippietum und Flower-Power-Ästethik, anderen schreit Deep Purple-Shouter Ian Gillian als Jesus auf eine Weise, die dem historischen Jesus doch seine Würde nähme. Wieder andere nehmen – und jetzt wird es wirklich theologisch – Anstoß daran, dass Judas Iscariot in Jesus zwar gern einen Anführer für einen Aufstand gegen die Römer sähe, aber in Sachen „mein Reich ist nicht von dieser Welt“ nichts begriffen hat, kurz: dass der Judas der Rockoper Jesus gar nicht als Sohn Gottes anerkenne. Das geht ja nun wirklich nicht.
Und was ist da mit den mehr oder weniger geheimen Gedanken, die Maria Magdalena, die Prostituierte im Gefolge Jesu, bewegen? Die Rockoper legt nahe, was Dan Brown und viele andere immer wieder gerne auskosten: Dass Maria Magdalena bis über beide Ohren verliebt ist in diesen Jesus und sich nur die eine Frage stellt: Wie kann ich ihn mit meiner Liebe so konfrontieren, dass es auch funktioniert? Das aber empfanden manche fromme Christen in den 1970er Jahren als Tabubruch, ja als Blasphemie. Wohlgemerkt: weder vom handelnden Jesus noch von der Figur der Maria Magdalena, sondern von Tim Rice und Andrew Lloyd Webber, die das Stück so geschrieben, so angelegt hatten.
Nein, ein theologisch-spirituelles Glaubensbekenntnis ist „Jesus Christ Superstar“ ganz sicher nicht, weder auf der Bühne, erst recht nicht in der Film-Adaption. Das Rockmusical wirft lediglich Fragen auf – manche Fragen, deren Antworten fromme Christen vielleicht heute noch stören. Aber wo eigentlich steht geschrieben, dass – nennen wir es allgemein – Texte, die sich mit Jesus von Nazareth, seinem Leiden, seinem Sterben und seiner Auferstehung beschäftigen, immer nur Antworten geben müssen? Sind Fragen, die sich auch der kritische Betrachter in Adaption der Rockoper stellen und um deren Beantwortung er sich bemühen kann, nicht sinnvoller, als wenn er vorformulierte Glaubenssätze nachspricht? Zumindest die Pädagogik dürfte bezüglich des Vorgehens, wie man sich am nachhaltigsten einen Stoff erarbeitet, da klare Antworten geben.
Ironie der Geschichte: Wenn fromme Christen heute zur Gabenbereitung aus dem Gotteslob „Nimm, o Herr, die Gaben, die wir bringen“, singen, singen sie die Melodie mit einem Subtext zum Song „Last Supper“ eben aus jener Rockoper. Und „Last Supper“ hat irgendwie dann ja doch auch mit Gründonnerstag, Einsetzen des Messopfers und Gabenbereitung zu tun. Gar nicht so weit weg, also.
„Das Leben des Brian“ (Monty Python) / „Jesus von Montreal“ (Denys Arcand)
Steckenpferd eines meiner Religionslehrer war übrigens, uns vor Ostern zuerst „Das Leben des Brian“ von Monty Python von 1979 zu zeigen, anschließend den Film „Jesus von Montreal“ (1989). Wahrscheinlich hätten wir darauf kommen sollen, wie in der Komödie der Briten durch die Überzeichnung mittels ihres schwarzen Humors die biblischen Aussagen über Jesus gebrochen werden und wie viele Parallelen es in dem kanadischen Jesusfilm zwischen der Hauptfigur, Daniel, und Jesus gibt. Mir ging es so wie vielen meiner Mitschülerinnen und Mitschüler: Was unseren Lehrer begeisterte, schreckte uns eher ab. Auch wenn ich großen Respekt vor allen habe, die mit diesen beiden Filmen mehr anfangen können als grotesk zu lachen oder in Ehrfurcht zu erstarren: Ich hatte nicht erst in dem Moment, in dem Daniel auf dem Sterbebett seine Arme ausbreitet wie Jesus am Kreuz, den Kaffee längst auf.
„The Last Temptation of Christ“ / „Die letzte Versuchung Christi“ (Martin Scorcese)
Aber gehen wir einen Schritt weiter, bei dem ich gleich mit einem Bekenntnis beginne: Wann immer ich mich hingesetzt (oder oftmals auch hingelegt) habe, um in Ruhe die Musik des Ex-Genesis-Frontmanns Peter Gabriel zu „The Last Temptation of Christ“ zu hören: ich bin eingeschlafen. Dumpf meine ich mich zu erinnern, noch Rhythmen gehört zu haben, die mich an Kamele im Wüstensand erinnerten – alles natürlich nur eine Einbildung, die sich mit meinen anderen Vorstellungen und eigenem Erleben vom Nahen Osten verbinden. Aber dennoch sollte man gleich zu Anfang würdigen, dass Peter Gabriel ein Vorreiter in Sachen Weltmusik ist. Und auch damals, 1988, unbekannte Künstler aus Afrika und dem Nahem Osten zur Produktion der Filmmusik eingeladen hatte. Einer der ersten, wenn nicht der erste, der die Musik aus anderen Teilen der Welt gegenüber dem damaligen Bewusstsein bei uns aufgewertet hat, der uns als Musikhörer für andere Kulturkreise aufgeschlossen und damit zu einer Aufwertung der Menschen eben dieser anderen Kulturen beigetragen hat. „Peter for President“, möchte ich da fast rufen. Dass ihm dabei eine großartige musikalische Inszenierung gelungen ist, er dem Dargestellten einen tieferen Deutungsraum gegeben hat, das alles gilt trotz meines wiederholten Nickerchens. Zumindest bekommt der Film dadurch mehr Tiefe, die er ohne die Musik vielleicht nicht hätte. Warum gibt es eigentlich keine Untersuchung, die sich einmal explizit mit der Wirkungs- und Rezeptionsästhetik der Musik bei filmischen Jesusdarstellungen beschäftigt? Was wären diese Filme OHNE die passende Musik? (Zu meiner Ehrenrettung möchte ich nun doch anführen: Natürlich habe ich Peter Gabriels Soundtrack zu „The Last Temptation of Christ“ auch gehört, ohne einzuschlafen. Aber lang ist sie schon…)
Doch schauen wir mehr auf den Inhalt: Die Sexualisierung Jesu, die in „Jesus Christ Superstar“ noch eher unterschwellig vorhanden ist und trotzdem bereits Proteste ausgelöst hatte, ist in Martin Scorceses „The Last Temptation of Christ“ um einiges fortgeschritten. Dass Jesus bereits während seines Wirkens von Satan versucht wird, berichten die Synoptiker, Matthäus 4 folgend, ziemlich einträchtig. In Scorceses Verfilmung gibt eine erneute Versuchung dem Film seinen Namen: Am Kreuz erscheint Jesus ein Engel, der ihm seine Rettung anbietet – so wie Schutzengel das nun mal tun. Jesus willigt ein, Engel und Jesus fliehen tatsächlich, so dass Jesus nicht am Kreuz stirbt, sondern weiterlebt. Und zwar zusammen mit Maria Magdalena. Die stirbt aber dummerweise bei der Geburt des ersten Kindes, was aber für die Filmhandlung nicht weiter tragisch ist, da Jesus erneut heiratet und drei weitere Kinder in die Welt setzt. Am Ende seines Lebens trifft er sogar Judas wieder. (Moment mal, hatte der sich nicht nach dem Verrat an Jesus erhängt? Egal.) Judas bringt nun die Welt Jesu endgültig zum Wanken. Denn der erzählt dem Herrn, dass der vermeintliche Schutzengel in Wirklichkeit Satan gewesen sei. Reingefallen, einer erneuten Versuchung Satans erlegen, könnte man nun sagen. In diesem Moment merken die Zuschauer, die immerhin rund eine halbe Stunde das Leben Jesu als Familienvater und zweifachen Ehemann erleben konnten, dass all dies nur eine Vision des sterbenden Jesus am Kreuz ist. Der durchschaut gerade noch rechtzeitig die Versuchung Satans und vollendet seinen Auftrag, opfert sich bis in den Tod.
Die Kritik an der Regie von Martin Scorcese wird in dem Moment vehement, in dem er Jesus seiner Vision aktiv nachgehen lässt. Bis dahin dominierte in der Rezeption das „Nicht mein Wille geschehe, sondern deiner“ Jesu, also ein zwar um die Qualen der Kreuzigung wissender Jesus, aber einer, der sich dem Willen des himmlischen Vaters beugt. Genau diese theologische Vorstellung bricht Scorcese auf, indem er Jesus vom Kreuz holt und als Vision, als Wunschtraum weiterleben lässt, wenn auch nur für ein halbes Stündchen. Für viele damals nichts anderes als Blasphemie. Geht gar nicht.
Auch nicht, dass ausgerechnet David Bowie in seiner Rolle als römischer Statthalter Pontius Pilatus Jesus darum bittet, ihm doch irgendwie einen Ausweg aus der misslichen Situation zu bieten: Einerseits steht Pilatus seitens der aufgebrachten Juden, die sogar eine Denunziation des ungeliebten Statthalters beim römischen Kaiser androhen, gewaltig unter Druck, andererseits möchte er Jesus gar nicht dem Tod überantworten – historisch alles andere als naheliegend. Egal wie skurril die Szenerie vor Pilatus auch dargestellt wird, so ist sie doch aufschlussreich. Während Jesus seine Botschaft erneuert, in dem er zu Pilatus sagt: „Veränderung wird mit Liebe geschehen, nicht mit töten“, bringt der die Sachlage auf den Punkt: „Es ist egal, wie Sie die Dinge ändern wollen: Wir wollen nicht, dass sie geändert werden.“ Roma locuta, causa finita, wobei „Rom“ in diesem Fall den Statthalter des römischen Kaisers meint. Wen sonst?
Was die Frage aufwerfen könnte, ob Gott angesichts menschlicher Verbohrtheit möglicherweise hilflos ist oder wie er diese Verstocktheit durchbrechen kann. Stattdessen erscheint der Ausspruch Jesu gegenüber Pilatus umso gewichtiger, wenn man die Auferstehung mitdenkt. Yes, HE can! Auch das ist eine theologische Aussage, die aber im Film zumindest nicht explizit gestellt wird.
Ach ja, und da war doch noch was: Die Vorlage für den Film schrieb bereits 1951 der Grieche Nikos Kazantzakis, derselbe Mann, der in seinem 1946 erschienen Roman „Alexis Sorbas“ dafür sorgte, dass Anthony Quinn 18 Jahre später einen Tanz erfinden und den dann auch noch vor laufenden Kameras aufführen musste. Die Orthodoxe Kirche lief Sturm gegen Kazantzakis Buch „Die letzte Versuchung Christi“, Papst Pius XII. ließ es 1954 auf den Index der verbotenen Bücher setzen. Damit machte der Papst genau das, was ein vielleicht inhaltlicher umstrittener Stoff unbedingt braucht, damit ihm endgültig der weltweite Durchbruch gelingt.
Gegen den Film gab es eine Menge Proteste. In Chile wurde er sofort verboten. Erst als der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in Costa Rica entschied, das Verbot verstoße gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung, durfte der Film gezeigt werden.
In Frankreich ereignete sich gar ein Brandanschlag auf eines der Kinos, das den Film zeigen wollte.
Was sind dazu im Vergleich schon die rund 1.200 Proteste, die bei uns im Land bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) eingingen?
Oder die Ankündigung einer Gruppe südkalifornischer Geistlicher, die mit einem Boykott drohten, falls Universal Pictures den Film tatsächlich veröffentlichte?
Mel Gibsons „Passion of The Christ“ / „Die Passion Christi“
Der bislang letzte Jesusfilm, der besonders emotional diskutiert wurde, war „Passion of the Christ“ bzw. „Die Passion Christi“ von Mel Gibson. Während bei Scorcese die Kreuzigungsqualen fast schon eine Randerscheinung darstellen, sind sie bei Mel Gibson Hauptgegenstand des Films. Diejenigen, die den Film in den Bereich eines Splattermovies rücken, finden Gründe genug. Grausam, gewalttätig und blutrünstig – das sind dann auch die Prädikate, deren sich der Film erwehren muss. Der Körper Jesu und die Torturen, die der leidenden menschlichen Kreatur angetan werden, stehen im Mittelpunkt der Darstellung, das Böse, Grausame, Gewalttätige rückt nicht nur in den Vordergrund, nein, es beherrscht die Handlung.
Wenn es denn dualistisches Handlungsprinzip sein soll, über die unendliche Grausamkeit gegenüber dem Menschen Jesus die Gnade Gottes, indem er seinen Sohn hingibt, um uns Menschen mit ihm zu versöhnen, umso leuchtender darstellen zu können, also dem unendlich Bösen einen unendlich liebenden Gott gegenüberzustellen, so gelingt dies mit diesem Film nicht wirklich.
Ein Satz aus einem Radiobeitrag, den ich vor längerer Zeit gehört habe, scheint mir passend zu sein: Nach Ausschwitz fällt es schwer, noch von Gott zu sprechen. Zu groß war das Leid, das durch Menschen, die einer Ideologie folgten, anderen Menschen angetan wurde. Was verallgemeinert heißt: Angesichts der Gräuel, die nicht nur damals, sondern auch schon über Jahrhunderte davor und auch immer wieder irgendwo auf der Welt von Menschen anderen Menschen angetan werden, wird es schwierig, das Bild von einem gnädigen Gott zu vermitteln. Analog kann man das auf die bis ins Detail dargestellten unglaublichen Grausamkeiten in „Die Passion Christi“ weiterdenken: Gottes Wirken hinter diesem Leid zu sehen, die christliche Botschaft von der Gnade, die der Tod Jesu für alle erwirken soll – das gelingt angesichts derartiger Filmszenen nicht. Aufwühlend ist der Film, ganz sicher. Aber hilft er dabei zu glauben? Zumindest für viele gilt: ganz sicher nicht.
Wenn der Tod Jesu auch in einem metaphysischen Sinn verstanden werden soll, was bleibt genau davon bei Mel Gibsons Film? Ein zerschundener menschlicher Körper, der ausschließlich diesseits einer metaphysischen Ebene verhaftet ist, dafür aber umso mehr in der Effekthascherei Hollywoods.
Letztlich ist der Film aus einem ganz anderen Grund kritisch zu sehen: Wenn Römer Latein sprechen und Juden aramäisch, Mel Gibson also die Originalsprachen der historischen Ereignisse verwendet, dann soll dies dem Film den Anstrich der historischen Echtheit verleihen. Dass Gibson jedoch für die Handlung nicht nur die vier Evangelien, sondern auch apokryphe Schriften und die „hebräische Bibel“ heranzieht, macht vor allem ein großes Missverständnis deutlich: Denn genau diese Schriften sind Glaubensaussagen, wollen allenfalls Historie durch den Glauben beleuchten und deuten. Schriften, die eine historische Echtheit untermauern können, sind sie eben nicht. Und das wollen sie auch gar nicht sein. Quellen zum Beleg der Historizität der im Film dargestellten Ereignisse können sie nicht sein.
Und jetzt? (Vor) Ostern 2021?
Was bleibt neben einem Nachlesen in der Bibel und der corona-bedingten „irgendwie, ich weiß noch nicht genau, wie“-Feier der Liturgie in der Karwoche sonst noch? „Jesus von Montreal“ und ich werden ganz sicher auch in diesem Jahr keine Freunde, Mel Gibsons „Die Passion Christi“ werde ich mir ebenso sicher nicht noch einmal antun. „Ben Hur“ und „Quo Vadis“, mehrfach gesehen, sind entsetzlich lang, langatmig und von einer – für heutige Verhältnisse – aufreizend langsamen Kameraführung, irgendwie Kino aus einer anderen Zeit. Das gilt für die Filme der Gebrüder Lumière auch. Aber die sind schon wieder so weit weg, dass sie auch schon wieder interessant sind. Leider entziehen sie sich dem Zugriff über Mediatheken und dem eigenen Archiv, wenn man von den Queen-Videoclips einmal absieht. (Oder unten den YouTube-Film startet.)
Also werde ich in den nächsten Tagen tatsächlich noch einmal „Jesus Christ Superstar“ anhören und leise, still und heimlich den 50. Geburtstag der Rockoper feiern. Vielleicht schaue ich mir auch „The Last Temptation of Christ“ noch einmal an. Oder höre zumindest einmal wieder die passende CD von Peter Gabriel. Dieses Mal hoffentlich ohne einzunicken.
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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