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Tag der Pressefreiheit (3. Mai)

Tag des Bieres, Welttheatertag, Tag der Ausbildung, Welttag der Feuchtgebiete –jeder Tag des Jahres ist irgendeinem Ereignis gewidmet. Und weil es mehr Ereignisse als Tage gibt, feiern wir manchmal auch mehrere Ereignisse gleichzeitig. Quasi den nationalen Tag der Tütensuppe gleichzeitig mit dem internationalen Tag gegen Fußpilz. Das ist mir alles zu viel! Deshalb

habe ich mit dieser Vielzahl an sinnigen und unsinnigen Gedenktagen mein Problem. Trotzdem: Dem heutigen Tag kann sogar ich einiges abgewinnen. Denn heute ist der Internationale Tag der Pressefreiheit.

Internationaler Tag der Pressefreiheit / World Press Freedom Day

Seit 1994 findet der World Press Freedom Day regelmäßig am 3. Mai statt. Organisationen wie „Reporter ohne Grenzen“ weisen dann auf Willkür- und Gewaltmaßnahmen hin, die gegen Journalisten begangen werden. Dazu zählen leider die Inhaftierung und Tötung von Journalisten. Menschenleben zu schützen – das ist ein hohes Gut. Aber an diesem Tag geht es darüber hinaus auch um das hohe Gut der Meinungsfreiheit. Je mehr Journalisten sagen, schreiben und senden dürfen, was sie herausfinden und denken, desto höher ist der Freiheitsgrad einer Gesellschaft.

Presse- und Meinungsfreiheit

Damit ist es auch bei uns nicht besonders gut bestellt. Seit mehreren Jahren verschlechtert sich die Situation von Journalisten immer mehr, auch bei uns in Deutschland. Mittlerweile ist unser Land im internationalen Vergleich auf Platz 13 abgesackt. 2002 lagen wir immerhin noch auf Platz sieben. Sicherlich sind solche Zahlen immer problematisch, können die Methoden, mit denen sie erhoben werden, immer hinterfragt werden. Aussagekräftig sind sie trotzdem.
In unserem Land darf jeder Mensch eine Meinung haben. Und der darf diese Meinung auch äußern. Für Sie eine Selbstverständlichkeit. Für mich auch. Viel zu schnell übersehen wir dabei aber, dass diese Selbstverständlichkeit im weltweiten Vergleich, auch in der historischen Rückschau, alles andere als Selbstverständlich ist. Denken Sie nur an Friedrich Schiller. In seinem Drama „Don Carlos“ fordert Schiller programmatisch: Gebt Gedankenfreiheit, Sire!“ Tatsächlich war diese Gedankenfreiheit vor rund 250 Jahren alles andere als selbstverständlich. Denn klar war: Wer Gedankenfreiheit besitzt, wer ein Problem weiterdenkt und vorantreibt, der will es auch lösen. Insofern sind Gedankenfreiheit und Handlungsfreiheit immer eng miteinander verbunden. Das aber war „denen da oben“, die das Sagen hatten, die willkürlich schalten und walten konnten, ohne kontrolliert zu werden, alles andere als recht.

Einschränkung der Pressefreiheit „von unten“

Merkwürdigerweise hat sich bei uns in den letzten Jahren die Situation nahezu auf den Kopf gestellt. Mehr als „von oben“ entsteht der Druck auf die Presse in den letzten Jahren von unten, von der Straße. Eine Meinung haben zu dürfen, ist ein Recht. Aber dieses Recht ist verbunden mit einer Pflicht: nämlich die Meinung anderer zuzulassen. Das vergessen diejenigen, die Journalisten, aber auch Privatpersonen, an ihrem Recht der freien Meinungsäußerung hindern. Sie schlagen Journalisten die Kameras aus der Hand, geben ihnen eins auf die Fresse, weil sie ihren Job erledigen wollen: eine Berichterstattung, die möglichst – das steckt im Wort Bericht – objektiv sein sollte. Auch wenn jeder weiß, dass eine noch so objektive Berichterstattung auch unwillentlich immer subjektiv sein wird.

Wer Journalisten gewaltsam an der Ausübung ihres Jobs hindert, wer möglicherweise auch anders Denkende in seiner freien Meinungsäußerung einschränkt, gefährdet nicht nur die Pressefreiheit. Er schlägt auch der Freiheit in unserer Gesellschaft „eins in die Fresse“, um einmal bei dieser Formulierung zu bleiben. Ich weiß, das war ein „Perlen vor die Säue werfen“. Gerade die, die gemeint sind, verstehen das nicht. Die denken auch nicht voran. Die denken lieber quer. Wer Phrasen von gleichgeschalteter Presse nachredet, wer platt, naiv und ohne Differenzierung von Lügenpresse spricht, hat ab der vierten Klasse wohl in der schule gefehlt.

Auswüchse der Pressefreiheit

Ja, es gibt Auswüchse. Und ja, nicht jedes Presseorgan arbeitet immer und zu jeder Zeit redlich. Die Diskussionen um die Pressefreiheit sind auch alles andere als neu. Schon mein Vater berichtete davon, dass man sich bereits zu seiner Schulzeit über die Presse und wie sie mit ihrer Freiheit umging Gedanken machte. Allerdings wohl auf einer anderen Ebene. „Mutter dreht Kind durch Fleischwolf – BILD sprach zuerst mit den Frikadellen!“ – mit derartigen Fake-Schlagzeilen skizzierte seine Generation den Umgang einer bestimmten Zeitung mit reißerischen Schlagzeilen. Merkwürdigerweise waren sich, wie es scheint, fast alle einig: Diese Zeitung war nicht ganz ernstzunehmen. Der Schauspieler Manfred Krug nannte sie ungeniert BLÖD-Zeitung, die Ärzte sangen vor gar nicht so langer Zeit noch darüber, dass bestimmte Menschen ihre Bildung aus der BILDungszeitung bezögen, die sie dann im Song auf „Angst, Hass, Titten und Wetterbericht“ reduzierten. Und obwohl diese Meinung weitverbreitet war und ist, liest jeder diese Zeitung. Warum auch nicht? Gibt es eine Redaktion, in der nicht nachgesehen wird, was die BILD auf dem Titel hat? Was die BILD zum Thema macht, ist eins. Zumindest eines, das andere Medien nicht unbeachtet lassen können. Vielleicht passiert die politische Meinungsbildung bei der BILD anders als bei der FAZ und dem SPIEGEL. Aber jedermann weiß, dass auch diese Publikationen die objektive Wirklichkeit durch subjektiv arbeitende Menschen wahrnehmen, diskutieren und weitergeben. Das zu wissen, auch zu wissen, wer warum und aus welcher Ecke er schreibt, ist Macht. Die Macht nämlich, selbst einordnen zu können. Am besten dadurch, dass man SPIEGEL UND FAZ gleichermaßen goutiert, eine Schnittmenge bildet und… Okay, wer will das schon, wer hat die Zeit dazu? Aber die Möglichkeiten gäbe es. Zugegeben: Schnell in den sozialen Medien nachzusehen, wer gerade aus welchen zumeist nicht ersichtlichen Gründen welche Sau durch’s Dorf treibt, geht schneller, ist weniger anstrengend.

Wer deckt Skandale auf?

Zurück zu den Auswüchsen. Immer wieder gibt Skandale, die zeigen, dass eine kommerziell interessierte Presse auch politisch missbraucht werden kann, ja, sich sogar gern missbrauchen lässt, um eine bestimmte politische Meinung zu unterstützen. (Nur am Rande: Und wodurch werden diese Machenschaften öffentlich? Dadurch, dass Presseorgane „der anderen Fraktion“ sie aufdecken.) Was die Verflechtungen von Pressefreiheit mit wirtschaftlichen und persönlichen Interessen bedeutet, haben wir in den letzten vier Jahren in den USA überdeutlich gesehen. Für mich sind diejenigen, die das hohe Gut der Meinungsfreiheit missbrauchen, kein bisschen besser als diejenigen, die die freie Berichterstattung erst gar nicht zulassen wollen.

Oder anders formuliert: Je größer die Gefahr ist, dass eine „freie Presse“ missbräuchlich agiert, desto mehr Konkurrenz benötigt sie. Konkurrenz, die über Hintergründe berichtet, die aufdeckt, warum ein bestimmtes Presseorgan bestimmte Nachrichten auf die eins setzt oder bestimmte Meldungen gar nicht bringt. Merken Sie etwas? Das ist das Gegenteil von dem, was die tun, die nicht nach vorne denken können und wollen, wenn sie Berichterstattern auf die Fresse hauen. Eine Meinung nicht zuzulassen – das ist eine Form der Diktatur.

Schweden 1766: Pressefreiheit vs. Diktatur: 771 793 336

Gegen die Diktatur der Meinung gingen die Schweden bereits 1766 vor. Früher als jedes andere Land erließen die Schweden eine Bestimmung zur Pressefreiheit. Ziel war es damals, die Zensur von oben, durch den Herrscher zu stoppen. Um dieses Ereignis gebührend zu feiern, schalteten die Schweden vor fünf Jahren – und damit exakt 250 Jahre nach diesem ersten Gesetz zur Pressefreiheit – eine Telefonnummer frei: Die 771 793 336 war, wenn Sie so wollen, eine ultimative Telefonnummer gegen Langeweile! Wer die wählte, landete bei irgendjemandem im großen, weiten Land, den er alles fragen konnte, was er wollte. Zum Beispiel ob auch alle Schweden ihre Möbel bei diesem bekannten schwedischen Möbelhaus abholen und dann zu Hause zusammenbasteln. Oder was Silvia Renate Sommerlath so macht. Also die Frau, die bei den Olympischen Spielen in München als Hostess arbeitete und später Königin Silvia von Schweden wurde. Sie konnten fragen, wie die Sänger von ABBA ihren Tag verbringen. Oder was Sie schon immer über Pippi Langstrumpf wissen wollten. Sie merken schon: Die Fragen mussten sich auf Schweden beziehen. Denn Initiator der Aktion war ein schwedischer Touristikverband. Deshalb musste man von Deutschland auch die 46 für Schweden vorwählen, bevor es an die eigentliche Rufnummer ging: 771 793 336.

Antworten ja, Wahrheit Fragezeichen

Unter dieser Nummer bekamen Sie auf alles eine Antwort, auch auf solche Fragen, ob Elche tatsächlich besoffen werden können. Eine nette Spielerei? Ja. Aber auch mehr. Denn so ganz nebenbei wurde deutlich: Gerade in Zeiten, in denen man über Satire und ihre Grenzen, über Kunst und Kunstfreiheit und über ernstzunehmenden Journalismus redet, haben Pressefreiheit und Freiheit insgesamt auch immer etwas mit Verantwortung zu tun. Auf alles eine Antwort zu haben, heißt ja nicht automatisch, dass die Antworten auch stimmen, dass die Meinungsbildner auch verantwortlich mit der Wahrheit umgehen. Oder glauben Sie ernsthaft, dass jeder, der sich im großen weiten Schweden als Antwortgeber zur Verfügung stellte, auf alle denkbaren Fragen eine der Wahrheit entsprechende Antwort zur Verfügung hatte? Ganz sicher nicht! Das war ein Spaß. Punkt. Ernstzunehmender Journalismus ist kein Spaß. Die Wahrheit ist die Hürde, an der er sich messen lassen muss.

Deutschland wäre nicht Deutschland, wenn nicht auch das Vorgehen bei Verstößen gegen die Pressefreiheit geregelt wäre. Aus gutem Grund gibt es mit dem Deutschen Presserat ein Organ, an das sich bei Verstößen jeder wenden kann. Zugegeben: Erst dann, wenn ein Fehler, ein Verstoß passiert ist. Aber wie sonst? Schon vorher? Wie soll das gehen? Und: Würden wir das wirklich wollen, dass uns allen jemand so sehr ins Hirn blickt, dass er uns schon einfängt, bevor wir etwas Falsches tun? Big Brother in Perfektion? Nein danke.

Übrigens: Mit dem Journalismus ist das wie mit jedem anderen Lebensbereich auch: Freiheit der Satire, der Kunst und auch der Berichterstattung stößt spätestens dort an ihre Grenzen, wo die Freiheit anderer verletzt wird.

Presse als vierte Gewalt

Es gibt sie ja, die Länder, die noch nicht so weit sind wie Schweden 1766. Länder also, die die Freiheit der Presse und die freie Meinungsäußerung nur soweit gestatten, wie es ihrem System dienlich ist. Länder, in denen Legislative, Exekutive und Judikative manipuliert und gebeugt werden können, ohne dass es einen Aufschrei durch die vierte Gewalt gibt. Und damit wären wir wieder bei dem Freiheitsbegriff vom Anfang: Wer Hand an die vierte Gewalt legt, wer gegen eine freie Presse agiert, gegen freie Berichterstattung, der legt auch die Axt an gegen unseren Staat, gegen unser aller Freiheit. Denn die basiert nun einmal auf einer ausgewogenen Gewaltenteilung, die jederzeit beobachtet und kontrolliert werden kann. Das Ganze nennt sich übrigens Demokratie. Und selbst wenn es manche, die gegen die Pressefreiheit agieren, nicht mitbekommen: Wer gegen die Pressefreiheit vorgeht, geht auch gegen unsere Demokratie und ihre Säulen vor.
Deshalb: Weil die Pressefreiheit ein so hohes Gut ist, das unmittelbar mit der Freiheit jedes einzelnen zu tun hat, halte ich den Tag der Pressefreiheit für einen wichtigen Gedenktag. Auch ich will sagen dürfen, was ich denke. Ich möchte nicht mundtot gemacht werden, sondern frei meine Meinung sagen können. Und frei handeln können. Das geht aber nur, wenn in unserem System der Gewaltenteilung neben Legislative, Exekutive und Judikative die Presse als vierte Gewalt frei handeln kann.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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