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Stille Post, Fake News, Dieter Hildebrandt und die Zehn Gebote (25. Mai)

Vom Schriftsteller Mark Twain, Schöpfer von Tom Sayer und Huckleberry Finn, wird berichtet, er habe einmal auf eine Todesanzeige mit seinem eigenen Namen ziemlich süffisant reagiert. Als Twain über sein angebliches Ableben aus der Zeitung erfuhr, habe er dort angerufen und mitgeteilt: Die Todesanzeige zu seiner Person halte er für ziemlich übertrieben.

Ähnlich erging es 2004

dem Kabarettisten und „Ex-Scheibenwischer-Macher“ Dieter Hildebrandt. Falls Sie sich nicht mehr an Dieter Hildebrandt erinnern: Deutschland schärfste Zunge, so nannte man ihn, war Mitbegründer des legendären Kabaretts „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“. Später war er mit seiner Fernsehsendung „Scheibenwischer“ so etwas wie der Vorläufer von Dieter Nuhr. Nur vielleicht politischer als Nuhr, an den damaligen Fernsehgewohnheiten gemessen noch etwas schärfer und spitzer. Besagter Dieter Hildebrandt also hatte in einem Interview gehustet, selbst von einer Bronchitis gesprochen und dann nachgeschoben: „Vielleicht ist es auch etwas ganz Anderes!“ Im Produkt des Interviews wurde aus dem Husten dann bereits Lungenkrebs. Und kurze Zeit später wurde kolportiert, der Kabarettist weile schon gar nicht mehr unter den Lebenden. Das alles sehr zum Befremden seiner Familie und auch zu seinem eigenen, so der Kabarettist später. Was ja auch irgendwie nachvollziehbar ist. Wer liest schon gern über sich, dass er gestorben ist, nur selbst weiß man noch nichts davon? Da kann man schon Puls bekommen…

Stille Post, Trolle und Fake News

Als ich beim Blättern in alten Unterlagen noch einmal auf diese Meldung stieß, fühlte ich mich sofort an ein altes Kinderspiel erinnert: „Stille Post“ nannten wir es. Und Sie wahrscheinlich auch. Jemand sagt etwas, der Nächste lässt etwas weg, der Nachfolgende dichtet etwas hinzu – und am Ende kommt etwas völlig anderes heraus, als anfangs gesagt wurde. Als Spiel ein toller Spaß, den Otto Waalkes in der Frühphase seiner Karriere mit einem irren Sketch auf die Spitze trieb.

Außerhalb des Spiels jedoch gelten andere Regeln: Da muss jeder den Wahrheitsgehalt einer Nachricht genau prüfen, bevor er sie weitergibt. Das fällt heutigen Generationen noch schwerer als früheren: Nie war das

Informationsangebot größer als heute. Wie soll man da immer den Wahrheitsgehalt prüfen können? Erschwerend kommt hinzu, dass es eine ganze „Industrie von Schreiberlingen“ gibt, die ganz gezielt falsche Nachrichten verbreiten. Längst gehören Begriffe wie „Fake News“ und „Trolle“ zum allgemeinen Sprachgebrauch. Erst wenn Sachverhalte verhältnismäßig oft vorkommen, „erfindet“ die Sprache ja dafür einen neuen Begriff. Allein das Vorhandensein der Begriffe ist also ein deutlicher Hinweis darauf, dass wirklich unglaublich viele Trolle ständig Fake News verbreiten. Und gelegentlich sind ausgerechnet die, die sich immer wieder als Opfer von Fake News bezeichnen, genau die, die selbst ständig falsche Nachrichten verbreiten. Fast möchte ich sagen: Wer am meisten zwitschert, zwitschert auch die meisten Unwahrheiten.

Üb immer Treu und Redlichkeit

In seinem Gedicht „Der Landmann an seinen Sohn“ formuliert im 18. Jahrhundert der Dichter Ludwig Heinrich Hölty eine Lebensweisheit. Mit der Melodie von Mozarts Papageno-Arie wird daraus sogar ein Volkslied. Die erste Zeile hat der eine oder andere vielleicht schon einmal gehört: „Üb immer Treu und Redlichkeit“, heißt es da. Wenn du ein tugendhafter Mensch bist, so das Gedicht sinngemäß, wirst du zufrieden sein. Du wirst Spaß an deinem Leben haben, wirst deine Aufgaben mit Leichtigkeit erfüllen. Ja, leicht und einfach wird dein Leben, wenn du diese Tugenden beherzigst.

Nun ist der Begriff „Tugend“ mittlerweile aus unserem Sprachgebrauch nahezu völlig verschwunden. Im Umkehrschluss zu Wort-Neuschöpfungen würde das dann bedeuten: Die Sprache benennt einen Sachverhalt nicht mehr, weil es nichts mehr zu benennen gibt. Sprich: weil im realen Leben keine Tugenden mehr zu erkennen sind. Hölty beschreibt übrigens auch die Menschen, die sich eben nicht an die Tugenden halten: das sind rastlose, vom Teufel Getriebene, die einfach keine Ruhe finden, andere Menschen demütigen, verachten und niedermachen, selbst nur auf der Jagd nach noch mehr Macht und Reichtum sind. Ihre Ziele versuchen sie mit Lug und Trug zu erreichen. Unwahrheiten und eben Fake News, wie wir heute sagen würden. Typen, die über Leichen gehen, vor nichts zurückschrecken.

Zehn Angebote für ein friedliches Zusammenleben

Es ist schon interessant, wie der Dichter Hölty seine Zeitgenossen erlebte. Hölty, Sohn eines Predigers, starb früh, wurde nicht einmal 28 Jahre alt. Bevor ich Sie nun denken lasse, er sei gestorben, weil er so sehr unter der Gesellschaft seiner Zeit litt: Auch das wäre eine Form von Fake News. Tatsächlich starb Hölty an einer Form der Tuberkulose.

Als Sohn eines Predigers bezog Hölty seine Lebenseinstellung ganz sicher aus der Bibel: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten“, heißt es bereits in den Zehn Geboten. Wenn Sie so wollen: in den zehn wichtigsten Verhaltensregeln, ohne die ein friedliches Zusammenleben nicht gelingen kann. Die leider nicht alle Menschen beherzigen. Auch einer der Gründe, warum mir die Formulierung „Die zehn An-Gebote Gottes für ein gelingendes Leben“ weitaus besser gefällt als das sehr autoritäre Wort von den „Zehn Geboten“. Angebote kann ich annehmen. „Ich mache dir ein Angebot, dass du nicht ablehnen kannst…“? Eigentlich ja. Aber in der Praxis kann ich mich eben doch anders verhalten.
Wenn schon Höltys Gedicht, entstanden vor 200 Jahren, in Vergessenheit geraten ist, dann wundert es nur wenig, dass auch die „zehn Vorschläge für ein gelingendes Leben“ bei vielen Menschen keine Berücksichtigung finden. Schließlich wurden die schon vor rund 3000 Jahren aufgeschrieben, dürften aber – Stichwort mündliche Überlieferung – noch ein paar Jahrhunderte älter sein. Dass manche Politiker bei uns ihren Amtseid nicht mehr auf die Bibel ablegen, ist deren Privatsache, keine Frage. Es zeigt aber auch, dass sie mit diesen zehn Angeboten einfach nichts mehr am Hut haben. Verwunderlich ist das nicht.

Hauen und Stechen, Lügen und Betrügen?

Und, sorry, Leute, wer Politiker wie Helmut Kohl als „tumbe Birne“ darstellte, macht entweder plumpe Propaganda, oder hat etwas Wesentliches nicht verstanden: Um an die Spitze eines Staates zu gelangen, muss man stärker sein als etliche andere in der eigenen Partei, muss auch den einen oder anderen Kontrahenten wegbeißen können. Wer es zu führenden Positionen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und auch Kirche bringt, tut es deshalb, weil er andere Qualitäten hat als seine Konkurrenten. Tumb ist da niemand. Und es reicht auch nicht, am Gitter des Kanzleramtes zu rütteln.
Nein, da bedarf es anderer Qualitäten. Zu denen gehören auch spitze Ellenbogen und die Fähigkeit, die Konkurrenz in Schach zu halten und – ich wiederhole das bewusst noch einmal – sie auch wegzubeißen zu können. „Üb immer Treu und Redlichkeit?“ Es soll ja sogar schon Präsidenten gegeben haben, die sich über einen ganzen Apparat aus Lügen und Unredlichkeit im Amt halten wollten und den eigentlichen Gewinner der Wahl als Lügner und Betrüger diffamierten.
Ob es solchen Leuten so geht, wie Hölty in seinem Gedicht beschreibt? Als Zombies? Die finden bei Hölty auch nach dem Tod keine Ruhe, müssen sich aber in den Dienst der Geschädigten stellen. Falls Hölty Recht hat, gilt: Auch die, die eine Gesellschaft durch Lügen und Falschaussagen spalten, um für sich selbst Vorteile zu erlangen, werden ihre gerechte Strafe finden. Irgendwo, irgendwie, irgendwann – auch wenn das schon wieder eine andere Geschichte ist…

Bob Marley und Abraham Lincoln

Zurück zu den Fake News: Falschaussagen, Unwahrheit, Lügen – das mögen Verhaltensweisen sein, die Vorteile einbringen, wenn man sie praktiziert. Demjenigen, der „anständig“ bleibt, wird ausgerechnet das zum Nachteil. Auf den ersten Blick ist das so. Aber funktioniert das auch auf Dauer? Nein, sagt ein anderes Gedicht: „You can fool some people sometimes, but you can’t fool all the people all the time.“ Dieses „Gedicht“ stammt vom jamaikanischen Dichter und Musiker Bob Marley, der es unter dem Titel „Get Up, Stand Up (For Your Rights)“ auch selbst vertont hat. Das ist Marleys Art, für Freiheit und Gerechtigkeit einzutreten, gegen Lüge, Betrug und Unterdrückung anzugehen.
Die Vorlage für seinen Text allerdings hat er – schau an – bei einem US-amerikanischen Präsidenten gefunden, nämlich bei Abraham Lincoln. Der hatte seinen Nachfolgern ins Stammbuch geschrieben: “You can fool all the people some of the time, and some of the people all the time, but you cannot fool all the people all the time.“ Auch wenn man es kaum glauben mag: allen seinen Nachfolgern!

Ein Sprichwort bei Fontane

Zu lügen, bewusst die Unwahrheit zu sagen, um Vorteile für sich zu erlangen, ist immer falsch. (Sonderfälle wie eine Notlüge, die immer auch mit einer Notlage zu tun haben muss, lassen wir hier der Einfachheit halber einmal außer Acht!) Dass jemand lügt, wird früher oder später offenbar. Der Lügner wird am Ende doch entlarvt. Oder wie es in einem jahrhundertealten deutschen Sprichwort in der Fassung bei Theodor Fontane heißt: „Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen.“ Dann ist der Lügner der Blamierte. Und hat die Konsequenzen zu tragen, für seine Fehler geradezustehen. Seine Schuld zu büßen. Erst recht, wenn er mit seinem Verhalten anderen Menschen geschadet hat. Auch das nennt man Gerechtigkeit.

Was übrigens den Kabarettisten Dieter Hildebrandt betrifft: Der lebte trotz seines 2004 etwas voreilig verkündeten Ablebens noch weitere neun lange Jahre, starb im November 2013 mit 86 Jahren. Seinen Geburtstag im Jahr 1927, der sich vorgestern, am 23. Mai jährte, haben wir an dieser Stelle unterschlagen. Umso lieber erinnern wir heute noch einmal an einen Menschen, der immer wieder das aufdeckte und attackierte, für das es damals dieses Wort noch gar nicht gab: Fake News.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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