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Michael Jackson – Earth Song (4. März)

Kein besonderer Grund zum Feiern, kein Festtag, kein Jubiläum. Wie so oft im Leben ein Zufall: Eine liebe Freundin hat ihn in der vorletzten Woche nach längerer Zeit einmal wieder für ihre Radiosendung eingeplant. Und genau in diesem Moment fiel mir auf, wie lange ich ihn nicht mehr gehört hatte: Michael Jackson mit seinem großartigen „Earth Song“. Ist es wirklich schon fast zwölf Jahre her, dass

der „King of Pop gestorben“ ist? Ja, ist es. Am 25. Juni, seinem Todestag, werden Fans weltweit ihres Idols gedenken. Und die Kollegin den Song vermutlich wieder ins Programm nehmen. Zu Recht! Denn Michael Jackson war ganz sicher jemand, der der Popmusik neue Impulse gegeben hat. In der Tat der „King of Pop“.
Bereits kurz vor seinem 14. Geburtstag erscheint sein zweites Soloalbum „Ben“. Der schlichte Titel und die sanfte Musik entsprechen nicht dem kollektiven Gedächtnis. Denn erstmals sang Michael Jackson diesen Song am Ende des gleichnamigen Films. Das aber ist ein Horrorfilm. Willard, Herr über eine ganze Armee von Ratten, schreibt ein Tagebuch über seine Freundschaft zu besonders zwei der Tiere, eins davon jener Ben. In diesem Tagebuch beschreibt Willard, wie er die Ratten darauf trainiert hat, Menschen anzufallen und zu töten. Als er aber beschließt, seine Ratten zu vergiften, kommen die ihm zuvor, fallen ihren vermeintlichen Herrn an und töten ihn. Vor fünfzig Jahren waren die beiden Rattenfilme „Willard“ und „Ben“ wohl echte Schocker. Auch heute wirken sie immer noch ein bisschen spooky, vor allem, wenn man die süß-sanfte Kinderstimme von Michael Jackson damit assoziiert.

Von „Ben“ bis zum „Earth Song“ ist viel passiert. Der „Earth Song“ entstammt einer völlig anderen Zeit. Michael Jackson ist längst ein Superstar. Enthalten ist der Song auf Michael Jacksons 1995er Doppelalbum „HIStory – Past, Present and Future“. Das Wortspiel ist offensichtlich: Das in ihm enthaltene „history“ „(Geschichte“) steht für die erste CD des Doppelalbums, die 15 bereits bekannte Songs von Michael Jackson enthält, also einer Greatest Hits-Compilation entspricht. Dass es sich dabei um die (musikalische Lebens-) Geschichte von Michael Jackson handelt, wird durch „His story“, der zweiten Auflösung des Wortspiels, verdeutlicht. Der Untertitel spricht mit „Past“ die erste CD an, mit „Present and Future“ neue Songs und damit – aus Sicht des Veröffentlichungsdatums – die (kommenden) Hits der zweiten CD.
Allerdings löst der CD-Titel bei besonders religiösen Menschen zumindest ein Stirnrunzeln aus: Wer das Wort „ER“ komplett großschreibt, spricht normalerweise von Gott und drückt durch die ungewöhnliche Schreibweise seine Ehrfurcht aus. Die Formulierung „Past, Present and Future“

wirkt allumfassend. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ähnelt einem Denken, das der christlichen Formel „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ nahekommt. Mitgedacht wird dabei der Dreiklang ewiger Gott, ewiger Sohn, ewiger Geist – vom Anbeginn der göttlichen Schöpfung über die Gegenwart bis hin zum Ende der Schöpfung (in ferner Zukunft). Wollte sich Michael Jackson hier in eine Reihe mit dem christlichen Gott stellen? Oder sah er sich etwa als wiedergekehrter Messias, als neuer Gott?
Dafür spricht auch ein Foto aus dem Innencover des Albums: Dort sind nämlich Fans mit einem Transparent zu sehen. Die Aufschrift: „Heal the World, Michael!“ Natürlich eine Anspielung auf den Song Jacksons, „Heal the World“. Aber der Heiler der Welt, der Messias, der wiedergekehrte Gott, der nach jüdisch-christlicher Tradition die Welt von allem Unheil befreit, wird hier durch den Namen des Musikers ersetzt. Was für ein Anspruch!
Ob sich Michael Jackson selbst damals so sieht, ist unklar. Zumindest hat er den Anspruch gespürt, immer etwas Neues zu schaffen, als „King of Pop“ nicht den musikalischen Trends zu folgen, sondern sie selbst zu setzen. Also doch eine Art „Über-Mensch“, eben ein King, ein Godfather des Pop zu sein. Wer die Denkweise cleverer PR-Strategen gerade in der US-Unterhaltungsindustrie kennt, glaubt nicht an Zufälle. Gezielte Provokation, nach Möglichkeit eine Gratwanderung, die Kritiker auf den Plan ruft, aber, falls es schiefgeht, schnell und einfach entkräftet werden kann – so kommt man in die Schlagzeilen. Und generiert vor allem Verkäufe.
Wobei die Provokationen nicht immer „zünden“ müssen – es reicht schon, wenn sie latent vorhanden sind. Dazu gehört, dass Michael Jackson auf diesem Album erstmals in seiner musikalischen Karriere Schimpfwörter verwendet. In „Scream“ findet sich „fuck“, in „This Time Around“ immerhin „shit“. Wer zudem noch die Erstauflage des Albums sein Eigen nennen kann, wird in „They Don’t Care About Us“ fündig: Hier singt Michael Jackson noch „jew me“ und „kike me“. Wenn Michael Jackson also sinngemäß „Mach es auf die jüdische Art“ singt, dann ist dies weder politisch korrekt noch frei von Antisemitismus. Wen wundert’s, dass die zweite Auflage diese Stelle zensiert und ersetzt. Und derselbe Song auf dem Album „King of Pop“, 2008 herausgegeben zu Jacksons 50. Geburtstag, schlichtweg um die betreffenden Passagen eingekürzt ist.

Die Frage des religiösen Anspruchs stellt sich auch mit dem auf der zweiten CD des Doppelalbums enthaltenen „Earth Song“ – vor allem, wenn man den großartigen Videoclip hinzuzieht. Der zeigt Wolken rund um den blauen Planeten. Für den, der im jüdisch-christlichen Weltbild zu Hause ist, „schwebt der Geist Gottes, der ruach“ [kein Tippfehler!] über dem Wasser. Auf der Erde allerdings, in Gottes guter Schöpfung, ist einiges in Unordnung geraten. Der Clip zeigt alle Schrecken dieser Welt: Menschen töten Elefanten wegen ihrer Stoßzähne, erschlagen Robbenbabys wegen ihres Fells; Delfine verheddern sich in Treibnetzen optimierter Fischerei und verenden; Kinder sterben im Krieg; Fabrikschlote vergiften die Umwelt. Und, und, und.
Mittendrin: Michael Jackson. Wie ein alttestamentlicher Prophet ist er der Mittler zwischen dem irdischen Geschehen, zwischen denen, die Unrecht tun, und Gott, der für die Menschen das Heil wünscht. In diesen Dienst stellt sich der Prophet, in diesem Fall Michael Jackson im Videoclip: Er ruft, er schreit, er fleht und er hadert mit seinem Gott, er wütet und er tobt gegen ihn wie Hiob, steht mit ausgebreiteten Armen da wie Jesus am Kreuz und ruft die Macht des Himmels auf die Erde herab. Und die kommt – mit gewaltigem Brausen, mit apokalyptischem Sturm. Die Inszenierung des Videoclips ist an dieser Stelle schlicht und gerade deshalb so großartig. Denn schlagartig laufen die Bilder rückwärts: Die Fabrikschlote saugen ihre giftigen Abgase wieder ein, getötete Kinder stehen wieder auf, Elefanten haben ihre Stoßzähne zurück und leben wieder.
Dass für einen kleinen Augenblick ein kleines Loch in Michael Jacksons schwarzer Weste zu sehen ist und sich darunter etwas Rotes zeigt, hat Ähnlichkeit mit der Lanzenwunde, die Jesus am Kreuz zugefügt wird. Ein merkwürdiger Zufall. Oder auch hier eine sehr vorsichtig, aber geschickt eingebaute Inszenierung? Michael Jackson ein Prophet wie Elias, Jeremias, Hosea und all die anderen Propheten des Alten Testamentes, wie Jesus, für Christen der Sohn Gottes. Und danach oder zumindest in Übereinstimmung mit all diesen religiösen Wegweiser jetzt Michael Jackson? Der übrigens nicht am Kreuz stirbt?!?!

Deutlich wird vor allem eins: Die Macher des Videoclips kennen sich in der Bibel extrem gut aus. Deshalb kommt auch kein Feuersturm auf die Erde hinab, entsteht keine neue Sintflut, die alles vernichtet. Stattdessen entsteht ein Zustand, den die Bibel meint, wenn sie den Begriff Apokalypse verwendet: Es mag zwar Schrecken geben, aber am Ende der Zeiten wird alles gut. Alles kehrt zurück in den Zustand, von dem die Bibel Gott bei der Schöpfung sagen lässt: „Und er sah, dass es gut war.“

Und auf einmal passt alles noch wunderbarer zusammen: Heal the World, Michael! Wer mit seinen Songs und Videos die Ungerechtigkeiten in der Welt benennt, wer deutlich macht, an welchen Stellschrauben unbedingt gedreht werden muss, der trägt dazu bei, das Bewusstsein von Menschen zu verändern. Und tatsächlich die Welt besser zu machen. Oder eben zu heilen, wie das Transparent verlangt. Michael Jackson tat das durchaus auch aktiv: Rund 300 Millionen Dollar soll er zu Lebzeiten für wohltätige Zwecke gestiftet haben – mehr als jeder andere Künstler.

Auch wenn ihn viele vergöttern: Michael Jackson war kein Gott. Er war trotz – oder sogar wegen? – aller Erfolge ein Mensch. Einer, der durch seinen Erfolg beflügelt wurde, der aber auch darunter litt. Der psychisch und physisch nicht damit klarkam, der am Ende genau so starb wie viele Musiker, die mit Dauerdruck, dem ständigen liefern-Müssen und der kräfteaufreibenden Dauerjagd nach Erfolg nur noch mit „Zusatzstoffen“ überleben können. Bis es zur Überdosierung oder zum tragischen Unfall kommt. Und wenn man so will, der sein Kreuz auf sich genommen hat – für sich, vielleicht auch für andere. Auch für Michael Jackson, den „King of Pop“, der so vielen Menschen so viel gegeben hat, gilt ein Satz, den er vielleicht sogar unterschrieben hätte: Am Ende wird alles gut.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten. Michael Jackson – Earth Song (4. März)

Kommentare

1 Kommentar

Nadine

Das ist einmal gut recherchiert und schön geschrieben. Ich bin der Meinung, dass er viele Menschen auf dieser Welt bereichert hat- durch seine Musik und sein Entertainment, durch seine Spenden und die Heal-the-world-foundation.
Nicht nur mit seinen Songs, sondern auch mit seinen Spenden Rekorde gebrochen.
Und irgendwie hat er sein Leben dem verschrieben und dieses dafür“geopfert“. Und ja, er war nur ein Mensch, nicht perfekt und mit Fehlern.
Selbst nach seinem Tod berührt ee Menschen, Ruhe er in Frieden.


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