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In der Antarktis ein Apfelbäumchen pflanzen – 60 Jahre Antarktisvertrag (23. Juni)

Bis man 60 Jahre alt wird, sollte man es irgendwie geschafft haben. Am besten ein Haus gebaut, ein Apfelbäumchen gepflanzt und Kinder gezeugt. Oder zumindest ein Kind. Martin Luther, so dachte man lange Zeit, habe dieses Zitat in die Welt gesetzt. Heute weiß man: In Luthers Schriften ist dieses Wort nicht zu finden. Wohl aber im Babylonischen Talmud. Auch wenn dort nicht von Kindern, sondern vom

Heiraten die Rede ist. Und auch dann, wenn der Apfelbaum im Original ein Weinberg ist. Völlig egal. Hauptsache, man hat die Aufbauarbeit des Lebens irgendwann hinter sich und kann dann, hoffentlich, von den Früchten zehren.

Alles anders

Bei der Antarktis ist das alles ganz anders. Heute vor 60 Jahren trat der so genannte Antarktisvertrag in Kraft. Zwölf Staaten verpflichteten sich, die Antarktis zu schützen. Konkret heißt das: dafür zu sorgen, dass sie ausschließlich für friedliche Forschungszwecke genutzt wird. Bodenschätze dürfen hier nicht abgebaut werden. Und wenn jemand auf dieser Welt einen Ort sucht, an dem sich keine Militärs mit bestens bestückten Waffenarsenalen trotzig gegenüberstehen: In der Antarktis wird er fündig. Damit das auch so bleibt, haben im weiteren Verlauf der Geschichte weitere 33 Staaten diesen Antarktisvertrag unterschrieben. Zu den Unterzeichnern gehören auch politische Schwergewichte wie die USA, China, die Sowjetunion, heute vertreten durch Russland. Darüber hinaus etliche Anrainer, aber auch europäische Staaten wie Frankreich, Großbritannien, Spanien und Deutschland. Kleine Kuriosität am Rande: Da sowohl die Bundesrepublik wie auch DDR 1974 ihre Unterschrift leisteten, war Deutschland quasi zweimal vertreten.

Unterschiedliche Interessen

Dabei sind die Unterzeichnerstaaten keinesfalls gleichberechtigt. 28 Staaten sind so genannte Konsultativstaaten. Diese sind bei den jährlich stattfindenden Konsultativtagungen stimmberechtigt. Voraussetzungen, um zur Gruppe der Konsultativstaaten zu gehören, sind das Betreiben einer eigenen Forschungsstation sowie finanzielle Aufwendungen zur Erforschung der Antarktis. Für Deutschland unterhält das Alfred-Wegener-Institut in der Antarktis die Neumayer-Station III. Diese nimmt Messungen zur Meteorologie, Geophysik und zur Akustik in den Meeren vor. Außerdem beobachtet sie die Entwicklung der Gletscher und die der Pinguinpopulation. Quasi als Beitrag zu einer Marsmission, erforschen die Wissenschaftler auch, wie sich Gemüseanbau unter den Bedingungen des Weltalls vornehmen lässt.

Staaten, die derartige Anstrengungen nicht betreiben, gehören zur Gruppe der so genannten Vertragsstaaten. Was bedeutet: Sie besitzen keine Stimmberechtigung bei den Konsultationskonferenzen. Was nicht weiter schlimm ist. Welche Interessen sollten denn – ohne jemandem zu nahe treten zu wollen – Monaco oder Papua-Neuguinea auch in der Antarktis verfolgen?

Gebietsansprüche

Vielleicht aber noch wichtiger: Zwar untersagt der Antarktisvertrag Gebietsansprüche einzelner Staaten. Die Staaten jedoch, die vor der Unterzeichnung des Vertrags bereits Gebietsansprüche angemeldet hatten, verlieren diese nicht, soweit sie nicht von sich aus darauf verzichten. Was im Klartext bedeutet: Großbritannien, Norwegen, Frankreich, Australien und Neuseeland begründen Gebietsansprüche dadurch, dass von ihnen finanzierte Antarktisexpeditionen bereits in den 1920er und 1930er Jahren Teile des Kontinents durch das Hissen der jeweiligen Flagge dem entsendenden Staat einverleibten. Im Fall von Neuseeland waren lediglich Häfen des Landes Ausgangspunkte von Antarktisexpeditionen. Das langt wohl für einen Gebietsanspruch. Dummerweise überlappen sich die Gebietsansprüche von Anrainerstaaten wie Argentinien, Chile und Brasilien mit denen von Großbritannien.

Internationaler Gerichtshof

Alles in allem eine komplizierte Gemengelage, die – mit Blick auf die Geschichte – schnell zur Frage führt: Ist künftiger Streit also vorprogrammiert? Zumindest besteht die Gefahr. Vermitteln müsste dann der Internationale Gerichtshof. Wie schnell man eine internationale Organisation aber als „nicht zuständig“ erklären und sogar sanktionieren kann, haben noch im letzten Jahr die USA durch ihren damaligen Präsidenten und seinen pöbelnden Außenminister in Sachen Internationaler Strafgerichtshof deutlich gezeigt. Eine Garantie für den Schutz der Antarktis ist der derzeitige Status Quo also ganz sicher nicht.

Kein Meeresschutzgebiet

Auch wenn es vorerst „nur“ um den Schutz der Antarktis und nicht um deren aktive Ausbeutung geht: Einigkeit gibt es schon jetzt nicht. An den Voten von Russland und China scheiterte bislang die Einrichtung eines Meeresschutzgebietes. Beide Länder protegieren die Interessen ihrer Fischerei. Vor allem Krill, das hauptsächliche Nahrungsmittel der vielen in der Antarktis lebenden Walarten, wird in großen Mengen abgefischt. Er liefert Omega-3-Fettsäuren, die gerade in den letzten Jahren auch bei uns als Nahrungsergänzungsmittel boomen. Da sich das Eis in der Antarktis schrittweise zurückzieht, nehmen die Fangmengen immer mehr zu. Sie sind so hoch, dass bereits beträchtliche Schwankungen am Bestand Arktischen Krills zu beobachten sind. Wirtschaftliche Interessen bestimmen also die Politik – und wieder


einmal bleibt die Umwelt auf der Strecke. Mit ihr schwindet die Lebensgrundlage für die in der Antarktis beheimateten Tierarten.

Rohstoffabbau?

Genau das alles soll eigentlich ein Zusatzprotokoll verhindern, dass die Unterzeichnerstaaten bereits 1991 verabschiedeten. Dieses Protokoll gilt als die schärfste Schutzmaßnahme, die jemals für einen bestimmten Teil der Erde erlassen wurde. Lassen wir einmal dahingestellt, inwieweit dieses Protokoll eingehalten wird: Sicher ist nur, dass es im Jahr 2048 ausläuft. Dreißig Jahre sind also bereits vergangen. Da nur noch 27 Jahre verbleiben, ist die Halbwertszeit dieses Protokolls bereits überschritten. Da es ein Verbot des Rohstoffabbaus beinhaltet, scheint der Status Quo der Antarktis für die Zukunft noch mehr gefährdet zu sein. Denn längst ist bekannt, das in der Antarktis gewaltige Mengen an Erdgas, Kupfer und Kohle, aber auch Titan, Chrom, Eisen sowie Platin und Gold lagern. Einfach liegen lassen? Bislang war der Abbau illusorisch: zu kompliziert, zu kostenintensiv. Je mehr sich aber das Eis zurückzieht, desto weniger aufwändig und kostspielig wäre ein Abbau zu bewerkstelligen. Und umso höher könnten der politische und der wirtschaftliche Druck werden. Hätte der Schutz dieses einmaligen Ökosystems dann noch eine Chance? Dass ein Abbau und ein Abtransport von Rohstoffen massive Eingriffe zur Folge hätten und das Ökosystem Antarktis schwer belasten würden, liegt auf der Hand.

Tourismus geplant

So ganz nebenbei ziehen einzelne Staaten spätestens mit dem Auslaufen des strengen Zusatzprotokolls ernsthaft auch die touristische Nutzung der Antarktis in Erwägung – einer Region, in der die Sonne zwar zwischen Mitte Mai und Mitte Juni gar nicht zu sehen ist, die dafür aber zwischen Mitte November und Ende Januar nicht mehr untergeht. Island lässt grüßen – vielleicht nur noch ein Stück rauer und unwirtlicher. Zwangsläufig wird ein sich ausweitender Tourismus auch eine erhöhte Umweltbelastung der Region mit sich bringen. Denn wenn eines tatsächlich für die gesamte Entwicklung der Menschheit gilt, dann dies: Egal wohin der Mensch gegangen ist – seinen Status als „Umweltverschmutzer Nummer Eins“ nun einmal redlich verdient hat.

Pumpen für Unterwasserströmungen

Die Antarktis ist ein äußerst fragiles Ökosystem. Und obwohl hier mit dem Südpolarmeer lediglich der zweitkleinste Ozean beheimatet ist, hat dieser doch entscheidenden Einfluss auf das Weltklima: Einerseits hat das Südpolarmeer direkte Verbindungen zu Atlantik, Indischem Ozean und Pazifik. Der Gehalt von Sauerstoff, Nährstoffen und, immer wichtiger, Wärme stehen so in einem weltweiten Zusammenhang. Je mehr antarktisches Eis abschmilzt, desto stärker verändert sich die Zusammensetzung des Wassers im Südpolarmeer. Der Salzgehalt nimmt ab, je nach Menge des schmelzenden Eises. Gerade aber das Zusammenspiel von Wassertemperaturen und Salzgehalt gilt als Treibstoff für die großen Pumpen der weltweit wirksamen Unterwasserströmungen. Lässt die Kraft dieser Pumpen nach, wird dies verheerende Auswirkungen auf die Temperaturen in den Polarregionen haben, die ihrerseits die Eisschmelze noch mehr beschleunigen. Ein globaler Prozess nimmt so immer mehr Fahrt auf.

Was passiert nach Erreichen des Kipppunktes?

Einmal ins Kippen gekommen – deshalb sprechen Wissenschaftler auch immer so gern von Kipppunkten – , wäre dieser Prozess wohl nicht mehr zu stoppen. Und er würde auch bei uns deutlich zu spüren sein. Der steigende Meeresspiegel gehört dabei noch zu den geringsten Sorgen. Ob Nordeuropa bis auf eine Linie Paris-Berlin unter ständigem Eis begraben sein wird oder aber ob es bei uns so heiß und trocken wird, dass die meisten unserer Äcker verdorren – darüber debattieren die Forscher noch. Ganz sicher aber wird eine Veränderung im Ökosystem der Antarktis nicht nur dort ein Artensterben auslösen, sondern dies auch anderswo nach sich ziehen. Globale Folgen eben! Was aus Sicht des Planeten Erde nicht weiter schlimm wäre. Denn die Erde wird sich auch dann gemächlich weiterdrehen und sogar irgendwann wieder regenerieren, wenn für uns Menschen die Lebensbedingungen längst zu feindlich sind.

CO2-Lager

Wer meint, das sei Musik einer fernen Zukunft, irrt gewaltig. Denn eine weitere Komponente wird dazu beitragen, dass sich die benannten Folgen beschleunigen, falls der Kipppunkt des Ökosystems Antarktis überschritten wird: Das Südpolarmeer nimmt zurzeit prozentual zu seiner Größe wesentlich mehr an Treibhausgasen auf als andere Ozeane, allen voran Kohlendioxid (CO2). Gerade hier gelangen diese Gase über Strudel, Strömungen und Winde in weitaus größere Tiefen als in anderen Ozeanen. Was bedeutet: Im Südpolarmeer verbleibt CO2 wesentlich länger im Wasser als anderswo, gelangt also lange nicht in die Atmosphäre. Eine Art Atempause im Kampf gegen die Treibhausgase – solange dieses Ökosystem intakt ist. Ist es das aber nicht mehr, dürften die vielen „zwischengelagerten“ CO2-Mengen schneller als erwartet freigesetzt werden. Das wiederum würde den Klimawandel noch mehr anheizen. Nachvollziehbar, dass die Sorgenfalten in den Gesichtern der Forscher immer tiefer werden.

Aktuelle Konsultation

Passend zum 60jährigen Jubiläum des Antarktisvertrags beraten in diesen Tagen die Unterzeichnerstaaten in Paris in ihrer jährlichen Konsultationskonferenz. Mehr denn je stehen die Umwelt und Fragen des Klimaschutzes auf dem Programm. Man kann nur hoffen, dass allen wirtschaftlichen Interessen zum Trotz der Schutz der Antarktis nicht nur beibehalten, sondern sogar verstärkt wird. Es steht viel auf dem Spiel – schon lange nicht mehr nur für die Ökologie in der unwirtlichen Region der Antarktis, sondern schon lange für uns alle. Denn das, was zum Beispiel Christen als „gute Schöpfung Gottes“ bezeichnen, Klimaschützer etwas weniger pathetisch als „Umwelt“, ist unser Lebensraum. Wir alle haben die Verantwortung, diesen Lebensraum zu erhalten. Nur so können wir, aber auch nachfolgende Generationen hier leben.
Vielleicht haben weitsichtige Politiker mit dem Antarktisvertrag 1961 so etwas wie ein Haus gebaut. Vielleicht ist das Zusatzprotokoll von 1991 ja vergleichbar mit dem Pflanzen eines Apfelbäumchens. Bis aber die von uns aktuell gewählten Politiker im Sinne des ursprünglichen Antarktisabkommens Kinder in die Welt setzen oder sich zumindest wie verantwortungsvolle Partner gemeinsam um ihre Lebensumstände kümmern, scheint es noch ein weiter Weg zu sein.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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