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Günter Grass und die Blechtrommel (13. April)

Zugegeben: Als noch grüne Jungs hat uns bereits der Anfang des Films mächtig imponiert: Da rennt ein Weltkriegs-Deserteur und Brandstifter über den Kartoffelacker, versteckt sich unter den unzähligen Röcken einer Frau, die von der Arbeit ausruht, vor seinen Verfolgern und entkommt so knapp. Dann nutzt der Kerl diesen vortrefflichen Unterschlupf dermaßen aus, dass neun Monate später

Agnes zur Welt kommt. Mit stockendem Atem haben wir Jungs damals „Die Blechtrommel“ von Günther Grass angeschaut.

Einmarsch der Russen

Ähnlich mitreißend, ja regelrecht gruselig eine Szene beim Einmarsch der Russen: In einem Keller haben sich Oscar und seine Familie verschanzt. Als die Russen dort eindringen, drückt Oscar seinem Vater Alfred, gespielt von einem großartigen Mario Adorf, ein Parteiabzeichen der NSDAP in die Hand. Der weiß genau: Wenn das die Russen bei ihm finden… In Todesangst steckt er sich das Parteiabzeichen in den Mund und schluckt es herunter. Dabei bleibt die Nadel des Abzeichens in seinem Hals stecken. Von Schmerzen geschüttelt führen seine zuckenden Bewegungen dazu, dass sich die Soldaten bedroht fühlen und ihn erschießen. Auch wenn es dazu keine Kameraeinstellung gibt: Der Vorgang wird ganz im Sinne Oscars gewesen sein, der auch schon vorher „zu üblen Späßen“ bereit war. So zum Beispiel als er Alfred beim Sex mit dem Kindermädchen Maria erwischt, sich auf ihn wirft, auf diese Weise einen Coitus interruptus verhindert und dafür sorgt, dass Maria schwanger wird. Der geneigte Zuschauer weiß, was Alfred nicht wusste: dass auch Oscar bereits vorher mit Maria Sex hatte.

Für (fast) immer Kind

Überhaupt Oscar: Agnes Sohn ist unbestritten die Hauptperson des Films. Oscar hat es in sich: An seinem dritten Geburtstag schenkt ihm Agnes eine Blechtrommel – ein ständiger Begleiter, mit dem sich Oscar Gehör verschafft. Sobald er ohrenbetäubend trommelt, muss die Welt um ihn herum schweigen. Wenn Oscar schreit, auch. Denn mit seiner Stimme bringt er sogar Gläser zum Zerspringen. Eine fiese Sache! Das wirklich Besondere aber: An diesem dritten Geburtstag beschließt Oscar, nicht mehr zu wachsen. Indem er sich die Kellertreppe hinunterstürzt, scheint er das Mittel gefunden zu haben, mit dem er die Biologie außer Kraft setzt. Und weil Günther Grass seinen ganzen Roman aus der Sicht von Oscar erzählt, erleben Leser und Filmbetrachter alle Ereignisse aus der Perspektive des Kindes, quasi immer „von unten“.
Jahre später übrigens, Oscar ist inzwischen 20, beginnt er dann doch wieder zu wachsen.

Mind over matter, Fridays for future

Auch wenn Volker Schlöndorff nur zwei Teile der dreiteiligen Romanvorlage von Günter Grass

in seinem Film verarbeitet hat: Für mich ist und bleibt die Handlung bis heute aktuell. Dass es Oscar gelingt, nur durch seinen Willen das Wachsen einzustellen, ist für mich ein schönes Beispiel für den Begriff „mind over matter“: Vieles, auch Unglaubliches ist eine Willenssache. Oder: Der Glaube versetzt Berge. Natürlich nur, wenn man die „richtige Methode“ findet, damit der Geist Zugriff auf essentielle Körperfunktionen bekommt, auf die er aus gutem Grund normalerweise keinen Zugriff hat. Ob dafür der Sturz auf einer Treppe ein probates Mittel ist, bezweifle ich zwar massiv – dennoch ist der Grundgedanke faszinierend.

Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…

Besonders aber gefällt mir die Grundhaltung des Romans: Würden wir unsere Welt nicht immer ausschließlich aus der Perspektive von Erwachsenen wahrnehmen und entsprechend handeln, sondern zum Beispiel aus der Perspektive von Kindern – vielleicht wäre dann Manches anders. Bewegungen wie „Fridays for future“ zeigen, dass Jugendliche oftmals eben anders ticken als Erwachsene – vielleicht nicht immer besser und richtiger, aber eben doch so, dass ihr Denken eine Bereicherung sein kann.

„Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, kommt ihr nicht ins Himmelreich“, heißt es schon in der Bibel. Was ganz innerweltlich gedeutet heißt: Eine Welt, in der Kinder und Jugendliche mehr Gehör finden, wäre möglicherweise auch friedlicher, als sie heute ist. Mir gefällt dieser Gedanke, auch wenn ihn Günter Grass, als er die Erzählperspektive der „Blechtrommel“ auswählte, in dieser Form vielleicht nicht gedacht hat. Der hält leider sogar einen Dämpfer bereit: Die Tatsache nämlich, dass Oscar eines schönen Tages doch wieder weiterwächst, zeigt: Aus Kindern werden am Ende dann doch wieder nur Erwachsene. Leider.

Günter Grass: Todestag und Biographisches

Heute, am 13. April, ist der Todestag von Günter Wilhelm Graß, wie es in der Geburtsurkunde steht. 2015 verabschiedete er sich von dieser Welt. Überdauert haben ihn seine Werke. Denn Grass war ein wirklich großer deutscher Schriftsteller, betätigte sich auch als Bildhauer, Maler und Grafiker. „Die Blechtrommel“ war sein Debütroman und hob ihn auf Anhieb in die Riege der international anerkannten Schriftsteller, machte ihn zu einer Ikone der Nachkriegsliteratur. „Hundejahre“, „Der Butt“, „Die Rättin“ und andere Werke zeigen ihn als politisch aktiven, wachen Beobachter und Mahner. Dass er seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS lange verschwieg, beschädigte allerdings seinen Ruf als „politisch-moralische Instanz“, auch wenn er wohl keine Kriegsverbrechen begangen hatte. Dass der ehemalige Messdiener aus der katholischen Kirche austrat, weil er die Haltung der deutschen Bischöfe in der Abtreibungsdebatte nicht akzeptierte, brachte ihm Beifall von der einen Seite ein. Sein Austritt aus der SPD von der anderen: Obwohl er lange Jahre ohne Mitglied der SPD zu sein Willy Brandt, nicht zuletzt auch als Redenschreiber, unterstützt hatte, trat er erst später in die Partei ein, wegen seiner Unzufriedenheit mit der sozialdemokratischen Asylpolitik aber nach zehn Jahren wieder aus. Beides, Austritt aus der Kirche und Austritt aus der SPD, unterstrich seinen Ruf als politisch Intellektueller. Grass zeigte mit seinem Eintreten gegen Atomkraft, für gleiche Rechte von Lesben und Schwulen sowie Sinti und Roma immer wieder, dass er seine eigenen gesellschaftspolitischen Vorstellungen hatte.

Was die Blechtrommel anbelangt: Auch wenn Volker Schlöndorffs Verfilmung ein Meisterwerk ist, die Leistungen der Schauspielerinnen und Schauspieler grandios sind, gilt das für die Romanvorlage von Grass erst recht. Insofern lohnt es sich, nicht nur den Film anzusehen, sondern auch das Buch zu lesen und damit „die ganze Wahrheit über Oscar Matzerath“ zu erfahren.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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