Grillen, rauchen, streiten – Frieden am Maschendrahtzaun (29. März)
Dicke Qualmwolken auf dem Balkon, dazu ein beißender Geruch – was für den einen ein Grillvergnügen werden soll, löst bei anderen Verstimmungen aus. Grillvergnügen auf der Terrasse meines Nachbarn im Erdgeschoss. Verstimmung bei mir direkt obendrüber. Keine Ahnung, mit welch abenteuerlichen Versuchen er seinen Holzkohlegrill
in Gang bringen will. Hat er sein Grillgut etwa in dieser Phase schon auf dem Rost? Ganz leicht riecht es jetzt schon nach gegrilltem Fleisch. Aber der Geruch wird überdeckt von einem Gestank, der an brennende Autoreifen und Benzin zumindest entfernt erinnert. Sehen kann ich nichts. Das verhindert die Qualmwolke, die nicht nur den Durchblick unmöglich macht, sondern im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend ist.
Nun machen ja Menschen schon seit Jahrtausenden Lebensmittel dadurch haltbar, dass sie sie räuchern. Aber erstens bin ich kein Lebensmittel, muss also auch nicht geräuchert werden, um noch ein wenig haltbar zu bleiben. Und zweitens glaube ich kaum, dass mein Nachbar aus lauter Fürsorge um mich so furchteinflößend herumülmt. Vielmehr denke ich an die Schadstoffbelastung, die sein Grillversuch mit sich bringt. Von diesem Grillgut möchte ich nichts essen!
Das Teufelchen auf einer meiner Schultern sagt mir klar und deutlich, was ich tun muss: einen Eimer voll Wasser, gut gezielt in die Richtung, wo der Qualm am heftigsten aufsteigt, und gut ist es. Taktisch clever ausnutzen, dass ich oben wohne, es von unten stinkt. Der Zweck heiligt schließlich die Mittel! Vermutlich handelt es sich sogar um Notwehr.
Ich finde die Idee gar nicht so schlecht, drehe mich um und gehe zurück in die Wohnung. Aber nicht, wie Sie jetzt vielleicht denken, um einen Eimer mit Wasser zu holen, sondern um den Rat des Engelchens auf meiner anderen Schulter zu befolgen: „Geh rein, mach die Türen und Fenster zu. Spätestens wenn die Holzkohle irgendwann glüht und der Grill richtig zieht, werden sich wohl andere Gerüche einstellen, wird sich auch die Qualwolke verziehen.“
Ich höre noch, wie das Teufelchen „Idiot“ ruft, dann „Weichei“ und schließlich „Feigling“: Das trifft mich zwar,
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stimmt mich aber nicht um.
Nachbarschaftsstreit! Wie schnell ist der eskaliert. Zwei, drei Wortwechsel, alles wird nur noch schlimmer und am Ende gibt es kein Zurück mehr, weil jeder sein Gesicht wahren will. Dann kommt es oft zu sehr sonderbaren Auswüchsen. Erinnern Sie sich noch an Stefan Raab und sein Lied über den Maschendrahtzaun? Weil ein wuchernder Knallerbsenstrauch den Maschendrahtzaun des Nachbarn zu beschädigen drohte, landete der Streit vor Gericht. Nun gut, damals vor dem Fernsehgericht, aber da saß trotzdem eine echte Richterin.
Oder wie war das mit den beiden Rentnerehepaaren in Brandenburg? Die lagen miteinander im Clinch, weil die einen sich am Tabaksqualm der anderen störten. Auch hier wurden die Gerichte bemüht. Wenn ich mich recht erinnere, setzten die zuständigen Richter eine Ortsbegehung an. Unten auf dem Balkon musste dann quasi amtlich geraucht werden, während oben die Richter die Luft prüfen ließen.
Nachbarschaftsstreitigkeiten hat es wahrscheinlich schon immer gegeben. Auch schon zu Lebzeiten von Friedrich Schiller, und der ist immerhin schon über 200 Jahre lang tot. Nun gut, damals gab es keine Grillpartys, Laubsauger und Laubläser, keine Poolliegen, die man im Morgengrauen mit Handtüchern reservierte und dem Nachbarn im Hotel den Liegeplatz wegschnappte, obwohl man ihn selbst gar nicht nutzte. Aber es muss zu Schillers Zeiten Ähnliches gegeben haben. Sonst wäre der große Dichterfürst vermutlich nie auf die Idee gekommen, in Wilhelm Tell eine der wichtigsten Lebensweisheiten der Menschheit zu formulieren: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“
Recht hat er, der Herr Schiller. Aber was fange ich jetzt damit an? Wer ist denn der Fromme und wer der böse Nachbar? Ist der, den der blaue Dunst des Nachbarn auf der Terrasse stört, der Böse, oder der, der gedankenlos seinen Rauch zum Nachbarn herüberbläst? Mein Nachbar, der unter mir räuchert, was das Zeug hält, oder ich, der ich mich darüber beschwere?
Eine Hausordnung, Gemeindeordnung oder was auch immer soll helfen, Probleme erst gar nicht entstehen zu lassen. Nur leider legt jede Seite diese meistens zu ihren eigenen Gunsten aus. Wie heißt es deshalb so schön: Wenn zwei sich streiten, … treffen sie sich vor Gericht. Irgendwann ist es soweit!
Mein Großvater, ein Mann, der immer einen klugen Satz parat hatte, hat mir auch für diesen Fall einen guten Rat gegeben: „Deine Freiheit endet genau dort, wo die Freiheit des anderen anfängt“, hat er mal zu mir gesagt. Den Satz hat er selbst bestimmt auch irgendwo aufgeschnappt. Gut ist er trotzdem. Übertragen kann er bedeuten: Nur weil ich eine Eigentumswohnung gekauft habe, darf ich dort nicht alles machen, was ich vielleicht will. Nachts um zwei mal eben schnell einen Durchbruch zwischen Wohnzimmer und Esszimmer schlagen, weil es ja mein Eigentum ist, geht nicht. Ich würde den Schlaf der Nachbarn stören. Auch schützt mich die Hausordnung nicht, wenn ich mich zwar an die vorgegebenen Waschzeiten halte, meine Waschmaschine aber im Schleudergang einen heulenden Pfeifton erzeugt, der durch das ganze Haus zu hören ist. Waschen darf ich. Aber nicht die Nachbarn unnötig nerven und belästigen. Eigentlich doch ganz klar, oder?
In der schnellen, hektischen Zeit, in der wir leben, ist uns möglicherweise ein Stückweit ein Sensorium abhandengekommen, das hier helfen könnte: vorausschauende Rücksichtnahme. Dabei muss ich mir vorher überlegen, wo ich meinen Grill aufstelle, damit er meine Nachbarn eben möglichst nicht belästigt. Muss meine Waschmaschine reparieren, notfalls sogar austauschen lassen, bevor mir die Nachbarn irgendwann völlig genervt den Marsch blasen.
Ich gestehe zu: Es ist schwierig, nicht immer nur von sich auszugehen, nicht sich selbst zum Mittelpunkt des eigenen Denkens und Handels zu machen, sondern sich stattdessen zu fragen: Ist das auch für die, mit denen ich gerade zu tun habe, in Ordnung? Frei nach dem uralten Motto: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu. Daran zu denken, und das noch im Vorfeld, fällt schwer! Aber es geht. Meistens. Oder um eine alte Werbung für alkoholfreies Bier zu zitieren: Wenn man sich wirklich darum bemüht, gelingt es mit der Zeit. Kurzform: nicht immer, aber immer öfter.
Die Geschichte mit meinem Nachbarn ist schon eine Weile her. Falls Sie wissen wollen, wie sie weitergegangen ist: Ich habe ihn eine Woche später zum Grillen zu mir auf den Balkon eingeladen. Bei Bier und Steak habe ich ihm dann vorsichtig davon erzählt, welche Auswirkungen sein Grillversuch bei mir gehabt hat. Er war richtig erschrocken. So solle es natürlich nicht sein, hat er mir versichert. Natürlich nicht. Seitdem habe ich nicht ein einziges Mal mehr den Eindruck haben müssen, dass er seine Autoreifen auf dem Grillrost entsorgt. Ein bisschen hat das sicherlich damit zu tun, dass wir ruhig miteinander über das Problem gesprochen haben. Und seitdem zusammen grillen. Nicht immer. Aber wie es scheint: immer öfter.
P.S.: Die kleine Episode mit dem Teufelchen und dem Eimer Wasser habe ich ihm nicht erzählt. Nun kann ich nur hoffen, dass er es hier nicht zufällig liest…
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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