Fünf nach zwölf: Der Kampf um das Raumschiff Erde ist verloren. Fast. (10. August)
„Man muss es auch mal positiv sehen: Der größte Teil brennt noch nicht!“ Mit einer Karikatur, die Astronauten aus der ISS beim Blick auf die an vielen Stellen brennende Erde zeigt, schießt das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ heute in seiner Online-Ausgabe den Vogel ab. Zwei Dinge sind dabei auffällig: Das Wörtchen „noch“ im zweiten Satz. Und der unglaubliche Sarkasmus, der in dieser Karikatur steckt. Tatsächlich scheint es so, als sei den Umweltkatastrophen der Gegenwart nicht mehr anders zu begegnen. Wenn aber wirklich nur noch Sarkasmus „hilft“, dann hieße das auch, dass der Kampf um das Überleben auf dieser Erde längst verloren gegangen ist. Das Schiff sinkt, ist unrettbar verloren. Aber die Kapelle spielt noch munter weiter.
Steigender Meeresspiegel und flammende Infernos
Dass die Meeresspiegel weltweit steigen, dass einzelne Inseln und ganze Staaten in ein paar Jahren verschwunden sein werden – das hören wir seit Jahren. Mehr oder weniger neu sind die riesigen Brandherde, die in diesen Wochen und Monaten wüten. Mehr als früher. In Kanada und dem Norden der USA, mittlerweile in der Türkei, in Griechenland, Italien, Spanien und Frankreich, ohnehin in Russland. Stimmt es wirklich, dass dort das Waldbrandgebiet so groß ist wie ganz Baden-Württemberg? Ich kann es nicht glauben.
Und auch bei uns in Deutschland brennt es, wenn auch nicht im Augenblick. Aber immer wieder. Und immer mehr. Zwischen 1993 und 2018, also innerhalb von 25 Jahren, gibt es pro Jahr durchschnittlich etwas mehr als 1.000 Waldbrände. Die vernichten in dieser Zeit pro Jahr knapp 600 Hektar Wald. Aber allein im Jahr 2019 steigt die Zahl der Waldbrände auf über 1.500. Vernichteter Wald: Über 2.700 Hektar. Ein Drittel mehr Waldbrände also als im Durchschnitt, rund 4 ½ mal so viel vernichteter Wald wie davor. Tendenz steigend. Der muss erst mal wieder nachwachsen. Und das dauert!
Ein Sommer, wie er früher einmal war…
Ach so, es läge am warmen Sommer, meinen Sie? Stimmt. „Ein Sommer, wie er früher einmal war“, sang ja schon Rudi Carrell 1975. Im letzten Jahr hatten wir ihn dann gleich noch einmal, hurra. Und wie im Lied wurde dann auch die Wasserversorgung knapp, wenn auch nur stark lokal begrenzt. Da können wir von Glück sagen, dass es in diesem Jahr bei uns mal wieder „einen ganz normalen mitteleuropäischen Sommer“ gibt. Einen, mit dem wir noch gut bedient sind. Es soll ja Jahre gegeben haben, in denen die Sommerurlauber an Nord- und Ostsee vor Regen und Kälte geflohen sind. Dass den ersten seinerzeit Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen zu wachsen begannen, war zwar nachvollziehbar, erwies sich dann allerdings im Nachhinein nur als Gerücht.
Ostsee statt Italien
Jetzt titelt besagtes Nachrichtenmagazin: „Es gibt keinen Grund, nach Italien zu fahren“ und zeigt Strandkörbe an der Ostsee. Nein, nach Italien müssen wir nicht mehr, auch nicht nach Spanien oder Portugal, in die Türkei oder nach Griechenland. Viel zu heiß! So heiß, dass es eben dort brennt. Und wir unsere Spezialisten für das Löschen von Bränden soeben an unsere geplagten Nachbarn ausleihen. Bevor unseren zur Untätigkeit verurteilten Löschfliegerpiloten eventuell angesichts unseres regenreichen Sommers eben dann doch Schwimmhäute zwischen den Fingern und Zehen zu wachsen beginnen. Sie merken, auch ich komme ohne Sarkasmus kaum noch aus.
Wenn solch gigantische Systeme, die unseren Planeten bestimmen, verrücktspielen, muss man das hinnehmen. Wer ist der Mensch, dass er die Gewalten der Natur kontrollieren und ihnen Einhalt gebieten kann? Aber wenn wir diejenigen sind, die diese Systeme zu unserem eigenen Nachteil befeuern, dann ist das zum Verrücktwerden. „Denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Selten traf ein Satz so sehr zu wie dieser, wenn wir uns den Umgang mit unserer Natur anschauen.
Gründung von Greenpeace
Leidensfähigkeit ist eine der herausragendsten menschlichen Fähigkeiten. Bis der Leidensdruck so hoch wird, dass Menschen darauf reagieren, dauert es meist eine lange Zeit. Wie hoch also war der Leidensdruck derjenigen, die offenen Auges sämtliche Umweltfrevel sahen, bis sie sich sagten, dass es so nicht mehr weitergehen kann? Vermutlich sehr hoch. Was wiederum auch deutlich macht, wie viel bis dahin geschehen war. Dann kam das Jahr 1971. Vor ziemlich genau 50 Jahren gründeten engagierte Menschen- und Umweltschützer im kanadischen Vancouver Greenpeace. Das große Ziel:
sich mit gewaltfreien Aktionen für den Umwelt-, Natur- und Klimaschutz, wie man heute formuliert, einzusetzen. Wie lange es dauert, bis in den Köpfen der Menschen endlich etwas passiert, merken wir deutlich: Obwohl Greenpeace seit nunmehr 50 Jahren warnt, immer wieder spektakuläre Aktionen durchführt und industrielle Umwelt-Großverschmutzer an den Pranger stellt, hat sich die Situation auf unserem Planeten nicht verbessert, sondern weiter verschlechtert. Wo aber wären wir ohne das mahnende Gewissen von Greenpeace? Nicht auszudenken!Ein deutsches Beispiel: Kampf gegen die Dünnsäureverklappung
Längst ist Greenpeace ein weltumspannendes Netzwerk. Seit 1981 gibt es Greenpeace auch bei uns. Nur zwei Jahre später führte die damals noch junge Umweltschutzorganisation auch bei uns ihre erste Aktion durch: Damals verhinderte sie spektakulär das Verklappen von Dünnsäure in der Nähe von Helgoland. „Dünnsäure“ – ein Euphemismus wie er im Buche steht! Signalisiert er doch: alles nicht konzentriert, alles nicht weiter schlimm. Und weil die Meeresströmung das Zeug dann auch noch ziemlich schnell ziemlich weit verbreitete, war die Konzentration nahezu kaum nachzuweisen. Wenn man von den Schollen mit Schädigungen und der massenhaften Flucht von Krebstieren einmal absieht. Was sind schon 600 Tonnen Titan, 8600 Tonnen Eisen, 48 Tonnen Chrom und 5,6 Kilogramm extrem giftigen Cadmiums? Die Industrie empfand dies als gering, die deutschen Umweltschutzbehörden auch. Die Meeresbewohner waren da anderer Ansicht. Das Fatale: Wenn diese Mengen an Giftstoffen ins Meer eingebracht werden, dann werden sie zwar verdünnt, verschwinden aber nicht.
Billiger als Recycling
Und ihre Konzentration wird Jahr für Jahr höher. Die Gewinne der verklappenden Unternehmen übrigens auch. Schiffe mit Dünnsäure zu beladen und das Gift in die Nordsee zu kippen, ist nämlich viel preiswerter, als es in einer Recyclinganlage mehr oder weniger sicher zu entsorgen. Die Bayer AG machte zumindest 1983 Schluss mit der Dünnsäureverklappung. Die Firma Kronos-Titan GmbH verklappte Dünnsäure bis 1989 auch weiterhin durch ihre Schiffe Kronos und Titan in der Nordsee, obwohl die Firma längst eine Recyclinganlage aufgebaut hatte. Dazu hatte sie sogar eine Subvention vom Bund erhalten. Trotzdem war das Verklappen immer noch preiswerter.
Deutsches Nichtstun
Die deutschen Behörden verhielten sich, wie Heinrich Hoffmann dies in seinem Bilderbuch vom Struwwelpeter, genauer: in der Geschichte vom Zappel-Philipp so schon formuliert hatte: „Und die Mutter blicket stumm auf dem ganzen Tisch herum!“ Mit anderen Worten: Die deutschen Behörden taten nichts. Dasselbe taten sie auch 1990, als endlich die Genehmigung für das Einleiten von Säuren in die Nordsee auslief: Nichts! Was endlich ein Ende der Verklappung von Dünnsäure und anderen chemischen Abfällen bedeutete. Lassen Sie mich beim Sarkasmus bleiben: Nie war Nichtstun seliger als in diesem Moment. Es hätte ja auch schlimmer kommen können: Wenn nämlich die deutschen Behörden die Genehmigung mit Stempel und Unterschrift verlängert hätten…
Hummer-Aufzuchtstation
Sorry, aber wo ich gerade so schön sarkastisch bin: Eigentlich müsste man den Firmen, die das Meer vergiftet haben, ja sogar dankbar sein. Weil nämlich den Helgoländern früher Jahr für Jahr mehrere zehntausend Hummer ins Netz gingen, deren Bestand aber plötzlich – warum wohl? – einbrach, gibt es heute eine Hummer-Aufzuchtstation auf Deutschlands einziger Hochseeinsel. Eine echte Inselattraktion, der man bei einem Helgoland-Aufenthalt unbedingt einen Besuch abstatten sollte. Dort werden aus befruchteten Hummer-Eizellen kleine, aber leider aggressive Tierchen. Damit die sich nicht gegenseitig die Zangen abknapsen, leben sie in Einzelappartements, werden quasi handgefüttert und einmal pro Jahr ausgewildert. In vielen Jahren wird man dann sagen können: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann fangen wir sie auch noch heute. Dass dieses Aufzuchtprogramm eine Menge Geld kostet, dass Sie und ich mit unseren Steuern bezahlen, weil die Industrie seinerzeit höhere Gewinne erwirtschaftete – Schwamm drüber. Das tun wir doch gern. Sarkasmus Ende. Vorerst!
Viel Geld für Reparaturen
Aber das ist das Perverse: Erst wird die Umwelt verseucht, um Geld zu sparen. Dann stecken wir ein Vielfaches hinein, um die von uns verursachten Schäden auszugleichen. Insofern haben all diejenigen Recht, die heute behaupten: Wenn wir jetzt investieren und dabei erfolgreich sind, brauchen wir zwar jetzt viel, viel Geld. Aber diese Summen sind deutlich geringer, als die, die wir zur Beseitigung aller Schäden aufwenden müssen. Und, was man ja auch nicht so ganz außer Acht lassen sollte, unser Leben ist in einer intakten Umwelt weitaus lebenswerter.
Völkerwanderung 4.0?
Und, bitte entschuldigen Sie, aber ich kann’s heute mit dem Sarkasmus einfach nicht lassen: Wie soll das denn funktionieren, wenn Holland aufgrund des steigenden Meeresspiegels geflutet, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und die Türkei abgebrannt und zur Wüste geworden sind und alle Bewohner dann plötzlich in unser Land drängen? Dagegen sind die paar Flüchtlinge, die aus Afrika zu uns gekommen sind, gar nichts. Stellen Sie sich mal den Andrang an Eisdielen, in Cafés und Restaurants vor! Na gut, die Clubbesitzer wird’s freuen. Aber voll wird es schon. Völkerwanderung 2.0? Na, vielleicht sogar eher 4.0!
Wie Verbrechen gegen die Menschlichkeit?
Zurück zu Greenpeace: Anfangs wurden die Aktivisten ja belächelt. Sie protestieren gegen das Töten von Walen, gegen umweltschädigende Tagebaue, sorgen sich um die Artenvielfalt und wollen das Ökosystem Weltmeer retten. Als Aktivisten in einem lebensgefährlichen Einsatz vor einem dieser todbringenden Dünnsäureschiffen im Meer schwammen oder sich an ein Ausleitungsrohr hängten, stellte anschließend die Wasserschutzpolizei erst einmal die Personalien der Beteiligten fest. Und die Staatsanwaltschaft in Oldenburg ermittelte anschließend gegen sie wegen Nötigung. Das Verklappen von 200.000 Tonnen Dünnsäure, die der Firma Kronos Titan pro Jahr genehmigt worden war, war ja schließlich legal. Ob wir eines Tages tatsächlich soweit kommen, dass die massive Schädigung
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It’s the end of the world as we know it
„When hell freezes Over“, „Eher friert die Hölle zu“, würden die Eagles wohl sagen. Woran Sie meine Hoffnung erkennen: Schließlich kam die Band trotz dieser eindeutigen Absage an eine Reunion Jahre später ja wieder zusammen. Für unseren Zusammenhang müsste es dann aber ein Song sein, der mit Feuer zu tun hat. „Pommernland ist abgebrannt“, kommt mir in den Sinn, eine Zeile aus „Maikäfer, flieg“. Auch hier geht es wohl um einen Weltenbrand. Recht hatten in jedem Fall R.E.M., wenn sie meinten: „It’s the end of the world as we know it!“ Der Anmerkung der Band, die bei der dritten Wiederholung folgt, möchte ich mich allerdings nicht anschließen: „I feel fine.“ Nein, ich fühle mich eher unbehaglich.
Dumm und dümmer
Eines ist in jedem Fall klar: Den Kopf in den Sand zu stecken, hilft nicht weiter. Schließlich schaut der Hintern dann ja immer noch raus. Und selbst wenn ein gegrillter Schinken für manchen als Delikatesse gilt: Wenn es der eigene Hintern ist, dem es zu warm wird, ist man ganz schön nah dran. Nur die, die weiterhin rufen, „Jeder macht was er will“ oder „Wir können das eh nicht stoppen, also sollten wir es auch gar nicht mehr versuchen“ – das sind die, die immer noch nichts begriffen haben.
Christliche Schöpfungsverantwortung
Das gilt übrigens auch für alle, die sich für Christen halten. Denn laut Bibel erhalten die Menschen die Welt, um für Gottes gute Schöpfung zu sorgen, sie zu erhalten, sie nicht unnötig zu belasten. Ein Narr, wer meint, die einzige Aufgabe des Menschen sei es, die Erde so gut auszubeuten, wie es nur geht. Das Gegenteil ist der Fall: Wir Menschen haben sie so zu behandeln, als sei sie nur geliehen. Und wir haben sie in gutem Zustand weiterzugeben an unsere Kinder und Kindeskinder. Würden sich übrigens alle Christen daran orientieren, wären Wirtschaftssysteme, die auf Ausbeutung von Mensch, Tier und Lebensraum angelegt sind, überhaupt nicht möglich. Und Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace unnötig. Sind sie aber nicht. Leider.
Wie können wir es wagen?
„How dare you“, schleuderte vor knapp zwei Jahren die damals 16jährige Greta Thunberg den Staats- und Regierungschefs aus aller Welt auf dem UN-Klimagipfel entgegen. Ja, wie können wir es wagen, nahezu untätig zu sein angesichts von Ökosystemen, die kollabieren, angesichts vom Massensterben der Arten, angesichts von Flammen und Fluten, in denen Menschen ihr Hab und Gut verlieren und sogar ihr Leben? Wie können wir es wagen, angesichts steigender Meeresspiegel und flammender Infernos unvorstellbaren Ausmaßes immer noch über Geld und ewiges wirtschaftliches Wachstum nachzudenken? In diesem unendlichen Weltall haben wir nur ein Raumschiff, in dem wir leben können. Bei dem aber brennt es an allen Ecken und Kanten.
Rigoroser Kurswechsel. Oder die Kapelle spielt weiter
Gretas Satz ist ein Satz für die Geschichtsbücher. Wer allerdings übrigbleibt, um diese zu lesen, ist noch lange nicht geklärt. Und so können wir nur hoffen, dass weltweit die Politiker die Kurve bekommen und alles tun, um die gravierenden Folgen der Klimaveränderung abzumildern. Dass sie auf dem bisherigen Stand einzudämmen sind – auf den Inhalt dieser Worte hoffe ich schon. Allein mir fehlt der Glaube. Bekommen wir als Weltgemeinschaft diese Veränderung nicht schnellstens hin, dann haben die ewig Gestrigen recht: Dann lasst uns tanzen auf dem sinkenden Schiff und lasst die Kapelle weiterspielen. Aber nur dann!
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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