Freie Fahrt und Vollgas dank Warn-App? (31. März)
Manchmal denke ich, ich bin eine vorsichtige Autofahrerin. Und manchmal denke ich nur, ich bin blöd. Gestern wieder.
Vorab. Ich bin nicht unbedingt zimperlich. Wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, fahre ich aber grundsätzlich nicht schneller als die vorgegebene Geschwindigkeit zulässt. Okay, ich will ehrlich sein: vorgegebene Geschwindigkeit zuzüglich Mehrwertsteuer, wie mein Fahrlehrer
das seinerzeit genannt hat. Gemeint hat er damit: Wenn du ein paar Kilometer schneller fährst als erlaubt, bist du noch im grünen Bereich. Und wenn du dann noch einen Tick schneller fährst, bleibst du noch im bezahlbaren Bereich. Alles, was danach kommt, ist zu teuer, um es zu riskieren. Konkret: Wenn der Tacho 80 anzeigt, fährt man tatsächlich höchstens 76, manchmal sogar noch etwas langsamer, meinte er. Die Tachos seien bei uns alle einen Tick höher eingestellt, zeigen immer etwas mehr an, als man eigentlich fährt. Hoffentlich weiß das der Tacho auch, denke ich manchmal. Vor allem dann, wenn ich einen Tick zu schnell auf eine Blitze, auch Radarfalle genannt, zufahre. Bislang hat das prima funktioniert. Wobei: Der Spruch meines Fahrlehrers muss von seinem Vor-Vorgänger stammen. Aus Zeiten, als die Mehrwertsteuer noch deutlich niedriger war.
Gestern also dann das Erlebnis, das meinen Puls hochschnellen ließ: Gestern bin ich gleich zweimal mit Benny im Auto unterwegs gewesen – und das bei einer einzigen Fahrt. Nämlich das erste und das letzte Mal! (Benny! Haha, der Name ist geändert, der richtige Name ist der Redaktion bekannt, müsste ich jetzt dazuschreiben). Benny also hatte sich angeboten, mich nach Hause zu fahren. Mein Auto war in der Werkstatt, es goss in Strömen und bis zur Bushaltestelle wäre ich klatschnass gewesen. Ist ja klar: Mein Regenschirm liegt immer griffbereit. Und wo? Natürlich im Auto. Wo sonst? Benny f#hrt zu schnell. Landstraße, Regen, links und rechts Wald, wo liebe, nette Rehe und Füchse manchmal unmotiviert auf die Straße hüpfen – und Benny knallt mit 110 statt 80 durch die Landschaft. Als ich ihn darauf hinweise, dass wir auch einen Tick langsamer ans Ziel kämen, meint er nur, es würde schon nichts passieren. Dass er dann noch etwas mehr aufs Gaspedal tritt, habe ich mir vermutlich nur eingebildet. Dann plötzlich ein Piepen, noch eins, Benny steigt auf die Bremse, das Auto schlingert leicht beim Abbremsen… und ein paar Meter später sehe ich, was Bennys Radarwarner schon vorher wusste: eine dieser hässlichen Säulen, die Fotos machen. Fotos, die man zwar nicht haben will, aber trotzdem teuer bezahlen muss.
„Geil, so ein Radarwarner“, meint Benny. Und steht schon wieder so auf dem Gas, dass es mich in die Rücklehne drückt.
„Sind die nicht verboten“, frage ich etwas verunsichert.
„Wen interessiert’s“, fragt Benny zurück.
„Äh, mich!“
„Ach, komm. Alles nur Schikane.“
“Wieso?”
„75 Euro, wenn sie mich erwischen, dass ich das Ding anhabe. Aber selbst wenn ich unterwegs geblitzt und angehalten werde: Bevor die an meiner Autotür sind, ist das Ding schon abgeschaltet. Mitführen, sich vorher informieren – alles erlaubt. Nur während der Fahrt die Dinger einzuschalten – das ist verboten. Wenn du mir nicht gerade in den Rücken fällst, passiert gar nichts. Außer dass ich mir die Kohle spare. Wenn sie mich denn überhaupt erwischen.“
Langsamer, angepasst fahren – das wäre die Alternative. Aber ich mag nicht weiter diskutieren. Denn während wir reden, heizt Benny weiter, guckt aber viel zu oft zu mir rüber, statt auf die Straße. Na toll! Auf was habe ich mich da eingelassen? Das ist ja wie mit einem Spätpubertierer, der jetzt ordentlich Eindruck schinden will. Ja, das ist es: Benny will mir wirklich imponieren. Und sich selbst beeindrucken! Was für ein toller Fahrer er doch ist. Oh Mann! Meint er, dass ich ihm gleich zu Füßen falle? Oder in Ehrfurcht erstarre? Oder so etwas wie die große Liebe für diesen Helden entdecke? Nee, danke, lass mal. Einmal und nie wieder mit Benny in einem Auto. Zumindest nicht, wenn er am Steuer sitzt.
Vielleicht ist das eine Typfrage. So wie die Sache mit
dem Glas, das ein Optimist als halbvoll, ein Pessimist als halbleer ansieht. Wenn Benny Recht hat und die Benutzung einer entsprechenden App nicht nachweisbar ist, muss man noch nicht einmal bezahlen. Und selbst wenn sie nachweisbar wäre, sind die 75 Euro Bußgeld für das Benutzen der Warn-App wahrscheinlich preiswerter als das Foto, das man eh nicht haben will. Auf Dauer macht sich also so eine Warn-App bezahlt.
Was mir am meisten stinkt: Warn-Apps liefern mehr Sicherheit für notorische Raser. Hohe Geschwindigkeitsübertretungen sind deshalb in Ordnung, weil man ja rechtzeitig vor dem Erwischtwerden gewarnt wird? Was ist denn das für eine seltsame Logik? Da muss man schon so ein Spätpubertierer wie Benny sein, um diese Logik für sich in Anspruch zu nehmen.
“Keine Warn-Apps hingegen bedeutet real eine erhöhte Verkehrssicherheit.” Das sage ich zu Heiko, mit dem ich abends noch telefoniere und ihm von meiner Fahrt mit Benny erzähle. „Wenn keiner vor einer Radarfalle gewarnt wird, fährt jeder automatisch langsamer. Und es gibt ja Gründe, warum die Geschwindigkeit an bestimmten Stellen deutlich begrenzt wird. Sicherheitsgründe!“
Ist das eine Mann-Frau-Nummer? Auch Heiko sieht das anders als ich, argumentiert so, wie wohl auch Benny argumentieren würde:
„Guck dir doch mal an, wo die meisten Blitzgeräte genau stehen. Meinst du wirklich, dass diese Standorte gewählt werden, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen? Viele Blitzen sind einfach reine Abzocke. Und abgesehen davon: Die Zahl der Unfälle mit schweren Verletzungen oder gar Todesfällen gehen seit Jahren zurück. Daran sieht man, dass die Leute heute einfach besser fahren als früher.“
„Daran sieht man höchstens, dass die Autos sicherer sind. Und vor allem, dass die konsequente Geschwindigkeitsbegrenzung und die vielen stationären und mobilen Radarfallen Wirkung haben“, entgegne ich ziemlich verärgert. Ich bin kurz davor, irgendetwas von reziproken Größenverhältnissen von Autos und gewissen Körperteilen von mir zu geben (Hirn meine ich! Nicht, was Sie denken!), kann mich aber gerade noch bremsen. Und dann kommt Heiko mit einem Totschlagargument:
„Und überhaupt: Das ist doch eine Diskussion von gestern! Solche Radarwarner sind doch in jedem neueren Auto eingebaut. Gut, deine alte Möhre hat das nicht. Aber alle auch nur etwas jüngeren Autos haben so ein Teil serienmäßig. Wenn der Gesetzgeber ernsthaft etwas dagegen unternehmen wollte, könnte er das. Will er aber gar nicht.“
Ich bin sprachlos. Wie schon gesagt, manchmal denke ich eben, ich bin blöd. Wahrscheinlich die einzig Blöde, während alle anderen viel cleverer sind als ich. Und im ersten Moment überlege ich sogar, ob ich demnächst, wenn meine alte Möhre, wie Heiko meinen Wagen nennt, fällig wird und gegen ein etwas neueres Vehikel eingetauscht werden muss, ob ich dann also darauf achte, auch so ein Auto mit Warn-App zu kaufen. Oder zu googlen, ob es die für’s Handy gibt.
Dann beschließe ich, statt blöd lieber weiterhin eine vorsichtige Autofahrerin zu sein. Irgendwo auf dem Dachboden habe ich einen Karton mit Aufklebern, die ich vor Jahren einmal gesammelt habe. Darunter ist auch einer, den einmal ein Rettungsdienst verteilt hat. Aufschrift: „Fahre nie schneller, als dein Schutzengel fliegen kann!“ Den suche ich raus. Und der kommt morgen noch auf das Heck „meiner alten Möhre“.
Benny wird das zwar nicht kapieren. Und manch andere auch nicht. Aber mir wird es besser gehen. Mit Benny fahre ich sowieso nie wieder. Zumindest nicht, wenn er am Steuer ist. Ich bin ja nicht nur blöd. Ich bin höchstens vorsichtig!
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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