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Flutkatastrophen und Trockenheit – der ewige Kampf gegen und um das Wasser (21. Juli)

Wer die aktuellen Bilder aus den Überschwemmungsgebieten in Deutschland, aber auch unseren Nachbarländern gesehen hat oder gar dort lebt und nun um seine Existenz kämpft, hat die zerstörerische Macht des Wassers kennengelernt. Und er mag eine Ahnung davon bekommen haben, warum alte Legenden Wasser, ohne das kein Leben möglich ist, gelegentlich als lebenszerstörendes Prinzip begreifen. So wird die Erfahrung einer zerstörerischen Flut in der Erzählung von der Sintflut bereits im ältesten Teil der Bibel festgehalten.

Biblische Sintflut

Die damaligen Menschen waren im Kampf gegen das Wasser genauso hilflos wie wir heute. Kein Wunder, dass sie in einer ungeheuren Flutkatastrophe das Eingreifen einer höheren Macht sahen. Und ebenso wenig ein Wunder, dass sie das Eingreifen dieser höheren Macht ihrem eigenen sündhaften Lebenswandel zuschrieben. Das, was in die Bibel als Erzählung von der Sintflut eingegangen ist – und zu dem das Überleben einiger weniger nicht sündhafter Menschen samt ihrem Geviechs durch göttliches Wirken gehört – , findet sich auch in anderen mythischen Geschichtensammlungen des Alten Orients. Als geflügeltes Wort sind uns „sintflutartige Regenfälle“ geläufig. All dies zeigt: Wir haben gewaltigen Respekt vor derartigen Naturereignissen. Denn nach wie vor stehen wir ihnen ohnmächtig gegenüber. Das gilt auch dann, wenn wir in unseren Breiten normalerweise vor ihnen verschont bleiben. Ein Stichwort wie Klimawandel beinhaltet aber auch die Option, dass uns da möglicherweise Erfahrungen bevorstehen, wie man sie in anderen Regionen der Erde schon lange viel öfter macht.

Wassermassen im alten Ägypten

Szenenwechsel. Im antiken Ägypten waren sintflutartige Regenfälle, wenn es sie überhaupt gab, eine Ausnahme. Dafür aber trat und tritt bis heute der Nil mit schöner Regelmäßigkeit über die Ufer. Gott sei Dank (oder ähnlich) mögen schon die alten Ägypter gedacht haben. Denn auf seiner langen Reise bringt der Nil eine Menge fruchtbaren Schlamms mit sich, der sich über den trockenen Wüstenboden legt und diesen erst dadurch fruchtbar werden lässt. Schon im Altertum wurde Ägypten aufgrund der Nilüberschwemmungen zur Kornkammer des Orients, ja sogar zur Kornkammer der damals bekannten Welt. Selbst die Römer bezogen aus Ägypten unglaubliche Mengen an Getreide. Der Nil brachte Trinkwasser genug, so dass die Bevölkerung wachsen konnte; die regelmäßigen Überschwemmungen machten das Land fruchtbar und sicherten auf diese Weise die Nahrungsversorgung für ein großes Volk. Kein Wunder also, dass an den Ufern des Nils eine Hochkultur wie die des Alten Ägyptens entstand. Zeugnisse dieser Hochkultur finden wir bis heute. Die Sphinx und die Pyramiden – allesamt Anziehungspunkte, um die man als Tourist einfach nicht herumkommt, wenn man nach Ägypten reist.

Dem Wasser die Macht nehmen: Assuan Staudamm

Ab jetzt wird es spannend. Denn ein weiterer Anziehungspunkt vieler Ägypten-Liebhaber ist der gigantische Felsentempel von Pharao Ramses dem Großen, Abu Simbel. Der liegt fast an der Grenze zum Sudan, ist über 3 ½ tausend Jahre alt… und hat Glück, dass er mit seinen 20 Meter hohen Statuen der Nachwelt bis heute überhaupt erhalten blieb. Und genau das hat mit dem Wasser zu tun. Genauer gesagt: mit dem Assuan Staudamm. Der wurde am 21. Juli 1960 vollendet. Sein Ziel: in regenreichen Zeiten genug Wasser zu speichern, so dass die Trinkwasserversorgung in regenarmen Zeiten gesichert ist. An und für sich eine gute Idee.

Der Umzug von Abu Simbel

Als aber seinerzeit der Staudamm seiner Vollendung entgegenging, bemerkte die Weltöffentlichkeit plötzlich das, was die ägyptischen Ingenieure und Planer schon lange wussten: Bei der Flutung des Staudammes drohte der prachtvollen Tempelanlage das Aus. Sie würde schlichtweg überflutet. In Rekordzeit bildete sich ein aus 50 Nationen bestehendes Rettungsteam, zersägte die Statuen mit Spezialgeräten, schaffte die Brocken fast 200 Meter landeinwärts und baute sie knapp 70 Meter höher wieder zusammen. Überflutungssicher. Jetzt konnte das Wasser kommen. Und Sie auch – falls Sie denn Lust haben, sich Abu Simbel einmal anzuschauen.

Der Nil als Lebensader

Zurück zum Nil: Die Diskussion, ob nun der Nil oder doch der Amazonas der längste Fluss der Erde ist, ist müßig. Insgesamt ist der Nil etwa 6650 Kilometer lang. Damit Sie einen Vergleich haben: Die Strecke von Flensburg bis Mittenwald, also einmal von Nord nach Süd längs durch Deutschland, beträgt etwa 1000 Kilometer. Der Nil ist also mehr als 6 ½mal so lang. Im Gegensatz zum Amazonas durchquert der Nil als einziger Fluss auf der Erde komplett einen der subtropischen Trockengürtel der Erde. Und das ohne auszutrocknen. Falls Ihnen das zu theoretisch ist, sagt Ihnen das hier vielleicht mehr: Bei seiner langen Reise von Süden nach Norden durchquert er die Sahara, die größte Trockenwüste der Erde.

Ursprung und Verlauf des Nils

Lassen Sie uns noch schnell einen Blick auf den Verlauf des Nils werfen – denn das wird später noch wichtig: Der so genannte Weiße Nil entspringt in den Bergen Ruandas und Burundis, durchquert Tansania und Uganda, fließt durch den Südsudan und Sudan und schließlich durch Ägypten ins Mittelmeer. Allein durch seinen Ursprung im „immerfeuchten Zentralafrika“ – so nennen das die Klimaspezialisten – wird der Nil zu einem großen Fluss.
Ein richtiger Strom allerdings wird er erst durch einen Zufluss, der seinen Ursprung in Äthiopien hat und dort Blauer Nil genannt wird. Bei Khartum im Sudan vereinigen sich die beiden Arme und fließen dann gemeinsam weiter: durch den Sudan und Ägypten bis hinein ins Mittelmeer. Nur mit dem Wasser aus dem Weißen Nil könnten weder Sudan noch Ägypten ihre benötigten Wassermengen bei weitem nicht decken.

Kampf um das Wasser: Grand Ethiopian Renaissance Dam

Erneuter Szenenwechsel: Seit über zehn Jahren tut es Äthiopien den Ägyptern gleich: Der Grand Ethiopian Renaissance Dam ist längst ein internationales Vorzeigeobjekt in diesem ostafrikanischen Land. Weil mittlerweile die zweite Auffüllstufe des Staudammprojektes abgeschlossen und eine 650 Kilometer lange Stromleitung fertiggestellt ist, will Äthiopien nun mit der Erzeugung von Strom durch Wasserkraft beginnen.

Hochmodern: Strom aus Wasserkraft

Wieder einmal erweisen sich die Wasser des Nils als Glücksfall. Denn weite Teile Äthiopiens müssen bis heute ohne Elektrizität auskommen. Und so träumt man im Land nicht nur von einer Verbesserung der Lebensumstände für einen Großteil der Bevölkerung, sondern auch von einer fortschreitenden Industrialisierung, von Produktion und Arbeitsplätzen, von weiteren Einnahmen, ja sogar davon, der größte Stromlieferant Afrikas zu werden. Wasser – aber das wussten wir ja auch schon vorher – kann also bei der Entwicklung eines ganzen Landes helfen. Ist es da ein Wunder, dass die Äthiopier in Erinnerung an ihre uralte Kultur von einer Wiedergeburt sprechen und selbstbewusst vom Grand Ethiopian Renaissance Dam reden? Wohl kaum.

Wat dem eenen sin Uhl…

Nun gibt es bei unseren britischen Nachbarn ein geflügeltes Wort, das das an sich gute Vorhaben Äthiopiens relativiert: One man‘s meat is another man‘s poison. Oder wie unsere Vorfahren schon zu sagen wussten: Wat dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall. Was bedeutet: Nach Lesart Ägyptens und des Sudans bedeutet das Aufstauen des Grand Ethiopian Renaissance Dam, dass Wasser schlagartig zur Waffe wird. Füllen die Äthiopier ihren gigantischen Stausee, reduzieren sie die Wassermenge des Nils zu Schaden des Sudans und Ägyptens. 40 Millionen Sudanesen und 100 Millionen Ägypter würden unter Trinkwassermangel leiden. Bedenken, die nur schwer von der Hand zu weisen sind: Allein Ägypten verbraucht jährlich etwa 80 Millionen Kubikmeter Wasser, wobei aber die Ressourcen lediglich 60 Millionen Kubikmeter betragen. Die restlichen 20 Millionen Kubikmeter und damit ein Viertel des gesamten Wasserbedarfs Ägyptens werden bereits zweifach verwendet.

“…welch schöne Sache ist doch der Krieg!“

Auch ohne diesen Umstand kennen zu können, notiert Kurt Tucholsky schon 1927 in seinem Pyrenäenbuch: „Wat dem eenen sin Uhl, is dem annern sin Nachtigall, und welch schöne Sache ist doch der Krieg!“ Weil Äthiopien nicht bereit ist, die Durchleitung einer bestimmten Wassermenge auch in regenarmen Zeiten zu garantieren, wachsen in Ägypten und im Sudan die Sorgen. Dass der Nil nördlich des äthiopischen Mammutbaus zu einem Rinnsal verkümmert, dass Äthiopien das lebensnotwendige Wasser als politische Waffe einsetzten könnte, lässt Ägypter und

Sudanesen vor der Überschreitung roter Linien warnen. Und der Blick in die Geschichte zeigt: Wenn in der Antike die Überschwemmungen des Nil ausblieben, wenn – damals entscheidend – die Nahrungsmittel knapp wurden, dann gab es Volksaufstände. Wissenschaftler sind sich mittlerweile sicher:

Untergang der ägyptischen Hochkultur aufgrund von Wassermangel

Der Untergang der ägyptischen Hochkultur mit oder unmittelbar nach Kleopatra ist die Folge von Trockenheit. Während neuere Forschungsergebnisse das massive Absinken des Nilpegels zu Kleopatras Zeiten auf einen Vulkanausbruch und damit sinkende Niederschläge zurückführen, könnte also das Aufstauen der Wassermassen am Grand Ethiopian Renaissance Dam eine ähnlich explosive Wirkung nach sich ziehen. Dabei ist eine schnelle Lösung notwendig. Schon haben Sudan und Ägypten eine gemeinsame Militärübung durchgeführt. Beide wissen: Ein vollständig aufgefüllter Stausee ist militärisch unangreifbar. Ein Bruch der Staumauer würde große Teile des Sudans überfluten und unzählige Menschenleben vernichten. Auch so ein Ereignis, bei dem Wassermassen nicht mehr zu stoppen wären – mit Folgen für Mensch, Tier und Umwelt, die kaum zu beschreiben wären. Wer nun banal sagt, dann sollen die Ägypter eben ihre Finger von der Staumauer lassen, hat sicherlich recht, trifft aber nur die halbe Wahrheit:

Gefahr durch den Ostafrikanischen Grabenbruch?

Durch Äthiopien und weite Teile Ostafrikas ziehen sich die Zentralafrikanische Rift und der Ostafrikanische Grabenbruch – Auswirkungen einer seit 35 Millionen Jahren andauernden Abspaltung der Arabischen Kontinentalplatte von der Afrikanischen Kontinentalplatte. Entlang dieser „Bruchlinien“ gibt es – wie an einer Perlenschnur aufgereiht – große Seen, aber auch Vulkane. So gewaltig wie die Kräfte der Erdplattentektonik nun einmal sein können, könnten diese auch Auswirkungen auf den Grand Ethiopian Renaissance Dam haben – mit eben verheerenden Konsequenzen. Aber, schon klar, es könnte auch sein, dass uns irgendwann einmal der Himmel auf den Kopf fällt. Was wahrscheinlicher ist, weiß ich allerdings nicht.

Kollateralschäden des Assuan-Staudamms

Weil Wasser einerseits Leben vernichten kann, andererseits Lebensspender ist, sind die Sorgen der Sudanesen und Ägypter nachvollziehbar. Vor allem dann, wenn die Ägypter die Kehrseite ihres eigenen Dammprojektes offen eingestehen würden. Zwar hat sich die Hoffnung der Ägypter erfüllt, durch den Stausee auch in Trockenperioden Wasser zur Verfügung zu haben; zwar konnten sie auf diese Weise die landwirtschaftliche Nutzfläche um 15 Prozent vergrößern. Da aber durch die Regulierung des Wasserpegels der Nil nicht mehr über die Ufer tritt, entfällt auch die natürliche Düngung der ansonsten eher kargen Böden. Selbst künstliche Bewässerung und künstliche Düngung konnten nicht verhindern, dass die Erträge sogar sanken. Dass die Böden zunehmend versalzen und die gesunkenen Nährstoffeinträge im Nil die Fischbestände stark zurückgehen ließen, gehört zu den nicht vorhergesehenen Kollateralschäden des ägyptischen Staudammprojektes. Welche Kollateralschäden das äthiopische Staudammprojekt nach sich ziehen wird, werden wir vermutlich erst in zehn, vielleicht 20 Jahren wissen.

“Wurzelbehandlung“ oder Herumdoktern an Symptomen

Klar ist: Das Eingreifen des Menschen in die Natur hat schon immer Vorteile gebracht, leider auch immer wieder Nachteile. Dies gilt auch für den Umgang mit dem Wasser. Die Kanalisierung von Flüssen, von der sich unserer Vorfahren Vorteile erhofften, hat Nachteile mit sich gebracht, von denen sie nicht zu träumen wagten. Wir versuchen heute diesen „Umweltsünden“ durch schrittweise Renaturierung zu begegnen. Trotz aller Berechnungen und Planungen führen viele Eingriffe in die Natur zu Fehlschlägen, die man in dieser Form nicht erwartet hat.

Weiter so oder anders?

Was Klima und Naturgewalten anbelangt, dämmert ganz langsam die Einsicht, dass wir uns eine weitere Trial and Error-Politik nicht leisten können. Die Anzahl der erlaubten Fehlschläge und ihre Auswirkungen sind zu gewaltig. Bevor also in den nächsten Wochen und Monaten der Wiederaufbau in den von der Unwetterkatastrophe betroffenen Gebieten beginnt, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man behandelt die Symptome und erweitert die Schutzmaßnahmen, oder aber man tut alles Menschenmögliche, um an den Wurzeln der Probleme anzusetzen. Da eine Wurzelbehandlung intensiver ist und länger dauert, wird es ohne eine Behandlung der Symptome nicht gehen. Sich aber nur für eine Behandlung der Symptome zu entscheiden, hieße, auf das nächste Jahrhundertereignis zu warten. Wetten, dass das keine hundert Jahre auf sich warten lässt?

Details beachten: Sonnenwunder von Abu Simbel

Beim Wiederaufbau des Tempels von Abu Simbel gingen die Planungen übrigens so weit, dass man auch Gesetzmäßigkeiten des Weltalls einbezogen hatte – wenn auch „nur“ dieselben wie die ursprünglichen Erbauer des Tempels: Aus religiösen Gründen hatten die alten Ägypter die ursprüngliche Tempelanlage mit einem konkreten Bezug zur Sonne aufgebaut. Zweimal im Jahr dringen die Sonnenstrahlen für etwa 20 Minuten tief in die dunkle, innerste Kammer des Tempels ein. Dort lassen sie Götterstatuen in einem goldenen Licht erstrahlen. Angeblich hätte sich das Datum dieser beiden Ereignisse durch das Versetzen des Tempels verschoben. Bestätigen lassen sich derartige Vorwürfe aus Sicht der Astronomie jedoch nicht. Vielmehr lassen sich Abweichungen mit Schwankungen des Sonnenjahres, „normalen“ Verschiebungen zu unserem Kalender und durch ein alle vier Jahre wiederkehrendes Einführen eines Schalttages erklären.

Warum 21. Februar und 21. März?

Verlorengegangen ist allerdings das Wissen um die Wahl des Datums, das die Erbauer bereits bei der Ausrichtung des Tempels wählten. Eine Vermutung: Am 21. Februar liegt das Thronjubiläum, und am 21. Oktober der Geburtstag des Pharaos. Aber ob das stimmt? Wichtig vielleicht nur, dass beim Wiederaufbau des Tempels die geographische Ausrichtung und damit das Datum des „Sonnenwunder“ genannten Phänomens beibehalten wurde. Ansonsten würden die Erbauer des Tempels vermutlich im Grab rotieren. Denn trotz des äußeren Anscheins wäre in diesem Fall die gesamte Anlage aus den ursprünglichen religiösen Gründen völlig wertlos.
Stellt sich die Frage, wie weitsichtig unsere Planer und Macher in den nächsten Wochen und Monaten den Wiederaufbau der zerstörten Häuser, Infrastruktur, Werke und Fabriken betreiben. Hoffentlich weitsichtig genug. Gesetzmäßigkeiten des Weltalls müssen sie dabei ja vermutlich nicht einbeziehen.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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