Endlich Urlaub. Auch Gott packt schon die Koffer. Ein Gedankenspiel (22. Mai)
In Gedanken sind die Koffer schon gepackt, der Wagen ist überprüft, Hotel, Ferienwohnung oder Pension sind längst gebucht. Nicht mehr allzu lange – dann beginnt die Urlaubszeit. Und wenn sich die Corona-Inzidenzwerte weiter so entwickeln wie im Moment, heißt es dann wieder: nach Möglichkeit weg von zu Hause, hinaus in die weite Welt. Das gilt auch dann, wenn
das für die meisten von uns in diesem Jahr das eigene Land sein wird. Trifft selbst dann zu, wenn manch einer schon ein gewaltiges Gedränge befürchtet.
Für jeden Urlaub gilt: den Alltag hinter sich lassen, eine andere Luft atmen. Irgendwohin, wo man sich nicht mehr tagein, tagaus über die ärgern muss, mit denen man im Alltag zusammen ist. Wer seit Monaten im Homeoffice arbeitet und zumindest gelegentlich vom Balkon oder der heimischen Terrasse seine Aufgaben erfüllt, sich sogar abseits von Video- und Telefonkonferenzen seine Zeit mehr oder weniger selbst einteilen konnte, sehnt sich nach noch mehr Freiräumen. Selbst in den Schulen, wo Fernunterricht oder Präsenzunterricht für wenige, Noten- und Prüfungsproblematik ein Umdenken erforderten, macht sich ganz, ganz langsam eine gewisse Gelassenheit breit. Vorfreude nennt man das wohl. Vorfreude auf den Urlaub.
Gedankenspiel: Gott auf Urlaub
Lassen Sie uns einmal gemeinsam ein Gedankenspiel machen: Was wäre, wenn… Gott mal in den Urlaub ginge? Nicht gleich abwinken. Spielen Sie einfach mal mit. Was würde Gott auf eine Urlaubsreise mitnehmen? Vor allem: Wohin würde Gott verreisen? Würde er das machen wie wir? Irgendwohin reisen, wo man sich nicht mehr tagaus, tagein über die ärgern muss, mit denen man im Alltag zu tun hat? Das würde bedeuten: Gott verreist irgendwohin, wo er von uns nichts mehr sieht und hört. Denn wenn wir bei diesem sehr menschlichen Bild bleiben, dann hat Gott eine Menge Grund sich tagaus, tagein über uns zu ärgern. Wie wir seine Schöpfung versauen, egal, ob im Kleinen oder im Großen, ärgert ja schon viele Menschen – und Gott wohl erst recht. Und was in seiner Kirche passiert, dürfte ihn nicht gerade zum Lachen bringen. Selbst wenn die meisten Missbrauchsfälle etliche Jahre zurückliegen, selbst wenn man den Verantwortlichen abnehmen möchte, dass sich die Grundhaltung in der Kirche massiv verändert hat – das, was als Vertuschungen und Täuschungen seitens der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, lässt diese Kirche nicht zur Ruhe kommen.
Nicht zum Lachen
Oder nehmen Sie die Aussagen rund um den Ökumenischen Kirchentag. Ich fand es spannend, im Vorfeld die vielen Hoffnungen aus dem einfachen Kirchenvolk zu hören: wo sich die Kirche ändern muss, wo sie zeitgemäßer sein muss, in welche Richtungen sie sich entwickeln muss, um endlich wieder bei den Menschen zu sein. Um in der Lebenswirklichkeit der Menschen von heute überhaupt wieder eine Rolle zu spielen. Wissen Sie, was mir dabei aufgefallen ist? Wenn man all diese Hoffnungen, die in den letzten dreißig, vierzig Jahren vor Kirchentagen geäußert wurden, per Film aneinanderschneidet und mischt… dann kann man das jeweilige Jahr, in dem diese Hoffnungen geäußert wurden, lediglich an den Frisuren der sprechenden Menschen erahnen. Die Hoffnungen und Wünsche aber sind immer dieselben. Seit Jahrzehnten. Geändert hat sich in all den Jahren nichts. Alter Wein in neuen Schläuchen? Wenn mit den Schläuchen die Frisuren der Hoffenden gemeint sind, dann vielleicht. Ansonsten noch nicht einmal das. Nein, lachen kann man als Mensch darüber nicht. Und der Gott unseres Gedankenspiels erst recht nicht. Ja, wäre er ein Mensch, würde es ihm gehen wie uns: Weit, weit weg wünscht man sich von denen, über die man sich tagaus, tagein ärgern muss.
Ich bin für dich da
Spätestens jetzt lässt sich der biblische Gott nicht mehr in unserem menschlichen Gedankenspiel festhalten. „Ich bin Jahwe“, sagt er dem Mose im Dornbusch. Das heißt so viel wie: „Ich bin der, der für euch da ist!“ Lassen Sie sich das einmal auf der Zunge zergehen: Einer, der für Sie, für mich, für jeden einfach da ist! Das ist das größte Versprechen, das jemand geben kann.
Die meistgestellte Frage in diesem Zusammenhang lautet vermutlich: „Na, wo ist er denn? Wo zeigt sich denn, dass Gott für die Menschen da ist?“ Raketen auf Israel und Palästina, zehn Jahre Gräueltaten in Syrien, Unterdrückung von Uiguren in China, Entführungen, Anschläge und Attentate durch Boko Haram, IS und Taliban, gescheiterte Bemühungen in Afghanistan, Aufflammen des Kalten Krieges zwischen Ost und West, ein ehemaliger US-Präsident, der ein Land und die halbe Welt gespalten und polarisiert hat – das sind nur einige der Konflikte und Problemfelder, in denen sich ein Gott, der für die Menschen da ist, gut zeigen könnte.
Sintflut, Sodom und Gomorrha?
Und was ist mit den Konflikten und Problemen bei uns? Das Dauerthema Kirche hatten wir ja schon. Und wie steht es mit Fremdenhass, Homophobie, Judenhass, Banden- und Clankriminalität, dem Aufbau paralleler Strukturen und den gezielten Versuchen, den Staat und die Gesellschaftsordnung, die uns alle schützen sollen, zu untergraben? Müsste da ein Gott, der für uns da ist, nicht viel deutlicher sichtbar werden? Mit Blitz und Donner, Pech und Schwefel uns Menschen in unsere Schranken weisen, wie er das laut Alten Testament in Sodom und Gomorrha auch getan hat? Wer jetzt zynisch ist, sagt mit Blick auf den Klimawandel: „Keine Sorge, die nächste Sintflut kommt bestimmt.“
Nur wird das Ansteigen des Meeresspiegels nicht diejenigen treffen, die für die benannten Konflikte verantwortlich sind. Den Bewohnern entlegener Südseeinseln steht jetzt schon – bildlich gesprochen – das Wasser bis zum Hals. Sie sind aber diejenigen, die unsere Umwelt am wenigsten belasten, einen weitaus kleineren ökologischen Fußabdruck hinterlassen als wir Westeuropäer, als Amerikaner und Chinesen. Die Vorstellung, dass Macht geil ist, dass Geldmengen, die man sich schon nicht mehr vorstellen kann, glücklich machen, die Idee, sich auf Kosten anderer zu bereichern, ohne Rücksicht auf Verluste die Erde auszubeuten – das alles sind Vorstellungen, die in unserer ach-so hochentwickelten Zivilisation entstehen. Da braucht es keinen Gott, um uns zu strafen. Das tun wir längst selbst. Wer ein bisschen über den eigenen Tellerrand schaut, über Plattheiten der sozialen Medien hinaussieht und stattdessen im Sinne Kants den Mut hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, der sieht schnell ein, dass nahezu alle unserer heutigen weltweiten und heimischen Probleme von uns Menschen gemacht sind.
Es liegt an uns selbst
An dieser Stelle können wir zu unserem Gedankenspiel zurückkehren: Wenn Gott tatsächlich für uns Menschen da ist, wenn er aber schon auf gepackten Koffern sitzt, um auch mal Urlaub zu machen, dann könnte er doch ganz einfach … bei uns Urlaub machen. Wie gute Pensionswirte müssten wir das Gästezimmer entrümpeln, aufräumen, Großreine-machen, eine Menge Ballast über Bord werfen und für Gott … Platz schaffen. Dann könnte Gott tatsächlich bei uns wohnen. Und wir ihm ganz nah sein. Wetten, dass man von unseren Bemühungen etwas merken würde?
Herzlich willkommen!
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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