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Die Heilsarmee – bis heute ein Segensbringer (19. November)

Männer und Frauen in Uniformen, Straßenmusik, Suppenküchen, Kinderheime – Die Heilsarmee! So knapp könnte man die Heilsarmee beschreiben. Und damit die Tatsache würdigen, dass die Heilsarmee am 19. November 1897 in Berlin ein erstes Mädchenheim gründete und damit ihre soziale Arbeit in Deutschland aufnahm. Fakten, Fakten, Fakten eben.
Leider reichen ein paar Fakten nicht aus, um die Leistung dieser Initiative wirklich zu würdigen. Deshalb nehmen Sie sich die Zeit und folgen mir auf eine Reise in die Gründungstage der Heilsarmee. Ich verspreche hoch und heilig: Auch dabei bekommen Sie jede Menge Fakten. Aber auch so viel Informationen, dass Sie die Fakten richtig einordnen können.

Industrielle Revolution

Pferdekarren mit Motoren statt Pferden, preiswertere Produkte durch Massenproduktion – die so genannte industrielle Revolution im 18. und 19. Jahrhundert hat maßgeblich Anteil daran, dass unsere Lebensbedingungen heute positiv sind. Doch jedes Ding hat zwei Seiten, in diesem Fall sogar drei: Fangen wir mit der dritten, der aktuellsten an: Weil nämlich alle Fortschrittsgläubigen auf Gewinnmaximierung und Verbesserung des Lebensstandards fokussiert waren, ließen sie die Umwelt außer Acht.

Folgen für die Umwelt heute

Das Ergebnis sehen wir heute: Durch die Industrialisierung und ihre Folgen stehen Umwelt, Klima und damit menschenfreundliche Lebensbedingungen vor dem Kollaps. Heute scheint es kein wichtigeres Thema zu geben, als die unbedachten Auswirkungen der industriellen Revolution abzumildern. Dass man sie stoppen, vielleicht sogar zurückdrehen könnte, glauben noch nicht einmal mehr hoffnungsvolle Optimisten.

Folgen für die Menschen damals

Damals, als die industrielle Revolution ihren Lauf nahm und man sich keine Gedanken darüber machte, was in 100 oder 200 Jahren sein würde, gab es andere Auswirkungen. Dramatische Folgen, die ins Auge sprangen. Denn wo damals in großem Maße Webstühle von Maschinen angetrieben wurden, brauchte man die menschliche Arbeitskraft immer weniger. Weil der Mensch in puncto Kosten mit Maschinen nicht konkurrieren kann, waren Hungerlöhne die Folge. Die Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten – das war die Schattenseite dieser ach-so-großartigen industriellen Revolution. Klar, dass die Betroffenen sich wehrten. Aufstände waren die Folge.

Hauptmann, Marx, Engels und andere

Weitsichtige Denker nahmen sich der Problematik an. Der Schriftsteller und spätere Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann brachte Not und Elend in seinen naturalistischen Dramen zur Sprache, wenngleich er auch von nicht wenigen dafür angefeindet wurde. Hauptmanns Drama „Die Weber“ sorgte für eine allgemeine Bewusstmachung der Situation verarmter Bevölkerungsgruppen. Schon kurz zuvor hatten Karl Marx und Friedrich Engels ihre Erfahrungen in England, das damals Deutschland in Sachen Industrialisierung und Verarmung von Teilen der Bevölkerung voraus war, in politisch-programmatische Schriften gegossen. Schriften, die Grundlage für den modernen Sozialismus und Kommunismus werden sollten.

Pragmatismus von Nöten

Literarisches und akademisches Denken sind wichtig, um Bewusstsein zu verändern. Und nur ein verändertes Bewusstsein sorgt dafür, dass Kräfte mobilisiert werden, um bestehende Missstände nachhaltig zu verändern. Denjenigen aber, die betroffen sind, keine Arbeit und damit keinen Verdienst mehr haben, Hunger leiden, und morgens nicht wissen, wo sie ein Mittagessen, geschweige denn ein Abendessen für sich und ihre Kinder herbekommen sollen – damit diese Betroffenen zuerst einmal den Tag überstehen können, nutzen ihnen politisch-akademische Forderungen nach

Langzeitveränderungen herzlich wenig. Hier ist Pragmatismus gefordert, der zu einer Not- und Soforthilfe führt.

Noch keine Sozialgesetzgebung

Um das klar zu formulieren: Eine Sozialgesetzgebung, ein Netz sozialer Sicherungsmaßnahmen, gab es in Deutschland in dieser Zeit noch nicht. Noch 1878 ging der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck rigoros gegen Sozialdemokraten und Sozialisten vor, weil er durch ihre Initiativen zur Unterstützung der sozial Schwachen den gesellschaftlichen Status Quo gefährdet sah. Allerdings sah es auch Bismarck als dringend geboten an, die ärmsten der Armen zu unterstützen. Deshalb führte der Reichstag auf Initiative Bismarcks ab 1883 schrittweise das ein, was wir heute als moderne Sozialgesetzgebung kennen: Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung, um nur diese drei zu nennen.
Massive Unterstützung gab es in dieser Zeit durch die katholische Kirche, deren Papst Leo XIII. mit seinem Lehrschreiben „Rerum novarum“ (1891) die so genannte erste Sozialenzyklika veröffentlichte, deren Inhalte Papst Pius XI. 1931 in seiner Enzyklika „Quadrogesimo anno“ noch einmal unterstrich und ausgedehnte.

England: „poor law“

In England gab es bereits seit Mitte des 17. Jahrhunderts eine Armengesetzgebung. Königin Elisabeth I. erließ bereits 1601 das „poor law“, das als erster sozialpolitischer Eingriff eines Staates gesehen wird. Dieses „poor law“ wurde ständig verändert. Weiterentwickelt zu sagen, fällt an manchen Stellen mehr als schwer. Denn „sozialpolitischer Eingriff“ klingt besser, als es in Wirklichkeit war. Ja, Arme mussten von ihren jeweiligen Gemeinden unterstützt werden. Diese konnten dafür sogar von den Gemeindebewohnern eine Armensteuer erheben. Die Unterstützung sollte auf das Lebensnotwendigste beschränkt sein, um ja keinen Anreiz zu liefern, eine Arbeitsaufnahme zu verweigern. Oder sich auf der faulen Haut auszuruhen, wie man auch sagen könnte.

Stigmatisierung

Menschen, die auf Hilfe angewiesen waren, wurden in Listen geführt, die öffentlich ausgehängt wurden. Ab 1697 mussten diese armen Menschen gut sichtbar ein „P“ (für „arm“, lateinisch pauper) auf ihrer Kleidung tragen. Spätere Novellierungen in das Armenrecht sahen Hilfeleistungen nur noch für die Menschen vor, die in der jeweiligen Gemeinde geboren, verheiratet oder ausgebildet wurden, wodurch eine Menge von Menschen durchs Raster fiel.

Verschärfung: Workhouses

Eine weitere Verschärfung erfolgte zu Beginn des 18. Jahrhunderts: Damals wies man Arme in so genannte workhouses ein – Arbeitshäuser, in denen man ihre Arbeitswilligkeit testen wollte. Vor Beginn des Ersten Weltkriegs sollen rund 100.000 Menschen in solchen Häusern „eingesperrt“ gewesen sein, darunter auch viele mit psychischen Erkrankungen und geistigen Behinderungen.
Ganz nebenbei verloren all diejenigen, die Unterstützung erhielten, auch noch ihr Wahlrecht – nach unserer heutigen Vorstellung eine massive Einschränkung in die Grundrechte. Eine Einschränkung, die in den USA übrigens in weiten Teilen bis heute gilt, für verurteilte Schwerverbrecher lebenslang.
Mit dem, was wir heute schön idealisierend unter „fortschrittlicher Sozialgesetzgebung“ verstehen, hat das alles nur wenig zu tun.

Gründung der „Christlichen Mission“

Jetzt endlich kommen wir zur Heilsarmee: In London, wo Mitte des 19. Jahrhunderts die industrielle Revolution am weitesten vorangeschritten und die Armut am größten waren, gründeten William Booth und seine Frau Catherine am 5. Juli 1865 ein Projekt der besonderen Art: Sie nannten es die „Christliche Mission“ und wollten damit zum Kampf gegen Armut und religiöse Gleichgültigkeit aufrufen. Die beiden Booth waren zur Überzeugung gelangt, dass Menschen sich vielfach an religiöse Rituale klammerten, aber keine wirkliche Beziehung zu Gott in ihrem Leben suchten.

Heilsarmee UND andere Glaubensgemeinschaft

Deshalb verzichtet die Heilsarmee, wie sich die Gemeinschaft nach kurzer neu benannte, auf Sakramente wie Taufe und Abendmahl, obwohl sie ihre Bedeutung teilt. Deshalb ist es möglich, zum Beispiel in Großbritannien Mitglied der Heilsarmee zu sein, gleichzeitig aber auch zur Anglikanischen Kirche zu gehören. Im Vordergrund stehen Predigt und Verkündigung des Evangeliums, auch durch Straßenmissionierung.

Arbeitsfelder

Von Anfang an war es für William und Catherine Booth wichtig, dass fromme Männer und gleichermaßen fromme Frauen der „Salvation Army“ – so der englische Name – den Menschen die frohe Botschaft, das Heil verkündeten. Dieses Heil bestand in religiöser Unterweisung im protestantischen Sinn, aber eben auch zumindest in einer warmen Suppe gegen den Hunger. Weil der bei Armen im Vereinigten Königreich weitverbreitet war, organisierte die Heilsarmee eben vorrangig Suppenküchen und sonstige Ausgabestellen für Lebensmittel. In der Folge kamen Schulen und Krankenhäuser hinzu, außerdem Einrichtungen für Obdachlose, die Betreuung von Gefängnisinsassen, Alkohol-, Drogen- und AIDS-Prävention und eben

Strawberry Fields

die Einrichtung von Kinderheimen, wie das Mädchenheim am 19. November 1897 in Berlin – dem, wie gesagt, ersten sozialen Auftreten der Heilsarmee in Deutschland. Das berühmteste Kinderheim der Salvation Army hat es übrigens sogar „zu Weltruhm“ gebracht: Es wurde Namensgeber für den Beatles-Klassiker „Strawberry Fields Forever“. Dass die Heilsarmee sich darüber hinaus die Katastrophenhilfe unterstützt, ihr Suchdienst viele Jahre federführend an der Suche nach vermissten Familienangehörigen beteiligt war und dass sie bis heute eine Reihe von Gebrauchtwarenläden unterhält, in denen Bedürftige preiswert bis kostenlos dringend benötigte Alltagsgegenstände erhalten können, zeichnet die Heilsarmee bis heute aus.

Struktur des britischen Militärs

Eine Organisation, die in so vielen Bereichen tätig und entsprechend groß ist, braucht eine zu ihr passende Organisationsform. William Booth kopierte bei der Gründung der „Christlichen Mission“ einfach die Struktur der britischen Armee. Deshalb heißt ein hoher Funktionär der Heilsarmee eben bis heute „Offizier“. Und genau deshalb kommt es zu der für deutsche Ohren etwas befremdlich klingenden Kombination der Begriffe „Heil“ und „Armee“. Was übrigens im anglo-amerikanischen Raum völlig unproblematisch ist: Deshalb heißt ein geflügeltes Wort, das in viele fromme Songs, vor allem Gospels, Eingang gefunden hat, auch „I’m a soldier in the army of the Lord“, wenn man so will, nichts anderes als ein Glaubensbekenntnis.

Why should the devil have all the good music?

Wo wir bei schon bei „Strawberry Fields“ und Gospel waren: William Booth gilt als Begründer der gesamten christlichen Musikszene. Denn von ihm stammt der Satz: „Why should the devil have all the good music?“ – „Warum soll eigentlich nur der Teufel über gute Musik verfügen“? Ein Satz, der in unterschiedlicher Prägung bereits Martin Luther und dem Erweckungsprediger John Wesley zugeschrieben wird, wozu es aber keine glaubhaften Quellen gibt. William Booth, der diesen berühmten Satz 1882 gesagt haben soll (übrigens mit „tunes“ statt „music“), hatte sich schon 1880 dahingehend geäußert, dass jeder musikalische Ton göttlichen Ursprungs sei und der Teufel keineswegs einen Alleinanspruch auf zeitgenössische Musik habe.

Larry Norman

Für Booth Grund genug, seine „Salvation Army“ bei ihren Straßenmissionierungen immer mit Musikinstrumenten auszustatten. 1972 machte der christliche Musiker Larry Norman einen gleichnamigen Song aus den Worten von Booth, der in der Folge nicht nur von vielen Interpreten, darunter auch Cliff Richard, gecovert wurde, sondern bereits in den späten 1960ern / frühen 1970ern tatsächlich zum Leitmotiv einer eigenständigen, wachsenden christlichen Rock- und Popmusik-Szene geworden war.

In rund 130 Ländern

Die Idee von William Booth hat sich durchgesetzt. Heute ist „The Salvation Army“, „Die Heilsarmee“, in rund 130 Ländern der Erde tätig, unterstützt jeden, der Hilfe benötigt – ohne Ansehen der Person, ohne Blick auf Beruf, Stand, Religion oder Hautfarbe. Für die Nachfolger ihrer Gründer William und Catherine Booth gilt der Grundsatz, christliche Nächstenliebe in die Welt hineinzutragen – damit das Leben eine Chance hat, jeden Tag ein kleines bisschen lebenswerter zu werden. Wahrlich ein Segenbringer!

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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