Demo für den Glauben – Fronleichnam. Einfach erklärt (3. Juni)
Querdenker, Maskenverweigerer, Maskenbefürworter, Linke, Rechte, Autonome, Umwelt- und Klimaschützer – sie alle demonstrieren. Denn Demonstrationen sind in unserem Land ein legitimes Mittel, um seine Meinung kundzutun. Auch dann, wenn der Inhalt der Demo gar nichts mit unserem Land zu tun hat. Für oder gegen Israel, für oder gegen die Palästinenser, für oder gegen Erdogan, für oder gegen die Kurden – für alles und jeden darf man
in unserem Land demonstrieren. So lange Demos friedlich bleiben, sind sie vom Gesetz geschützt. So heißt es in Artikel 8 unseres Grundgesetzes: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Was mich an dieser Stelle etwas irritiert: Für Menschen ohne deutschen Pass gibt es also kein Recht auf eine unangemeldete Demonstration? Hmm, keine Ahnung. In der Praxis wäre es wohl schwer, diese Leute aus einer „ganz normalen Demonstration“ herauszufischen. Viel spannender ist da der zweite Satz dieses Artikels. Darin heißt es nämlich: „Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.“
Eine typische Kann-Bestimmung, die es der Polizei erlaubt, eine nicht genehmigte Demo aufzulösen, denke ich. Alles durch unser Grundgesetz seit dem 23. Mai 1949 erlassen und geschützt.
Älteste Demo der Welt?
Die wohl älteste Demonstration in unserem Kulturraum allerdings ist viel älter als unser Grundgesetz. Die stammt nämlich bereits aus dem Mittelalter. Und sie begann damit, dass die Ordensfrau Juliana von Lüttich in den Mond guckte, genauer: in den Vollmond. Dabei entdeckte sie eine dunkle Ecke, die ihr sonst nie aufgefallen war. Der Legende nach kam ihr ein irrer Gedanke: Der Mond steht für die Kirche, die dunkle Ecke für ein fehlendes Fest. Das war im Jahr 1209 – und Sie ahnen schon, was daraus wurde: Fronleichnam, das Fest, das katholische Christen heute feiern. Bis dieses Fest übrigens in der Katholischen Kirche wirklich Fuß fasste, dauerte es. Zuerst gab es eine Art Heimspiel: 35 Jahre nach Julianas Traum führte das Bistum Lüttich dieses Fest ein. Papst Urban IV. erklärte es dann 1264 zum allgemeinen kirchlichen Fest. Aber erst Papst Johannes XXII. ordnete 1317 dieses Fest quasi als weltweit verpflichtend an.
Der merkwürdige Name dieses Festes stammt logischerweise auch aus dem Mittelalter. Vrôn-lîchnam, so sagte man damals. Übersetzt heißt das so viel wie heiliger, lebender Leib. Und weil die gute Juliana an einem Donnerstag ihr Erlebnis mit dem Mond hatte, feiern Christen in Europa seit über 700 Jahren dieses Fest – natürlich immer an einem Donnerstag. Soweit zumindest die Legende.
Zahlensymbolik: 60. Tag nach Ostern
Allerdings könnte es auch einen anderen Grund haben, dass Fronleichnam genau am 60. Tag nach dem Ostersonntag liegt. Über die symbolhafte Bedeutung von Zahlen, die im Judentum, aber auch im alten Orient stark ausgeprägt war, wurde hier ja schon an anderer Stelle erklärt. Deshalb hier nur ganz kurz ein Blick auf die so genannte Gematrie:
Weil die Zahl sechs als Symbolzahl im Gegensatz zur göttlichen Sphäre für die irdische Vollkommenheit gilt, taucht sie in alter Zeit relativ häufig auf: Aus gutem Grund erschafft Gott der Erzählung nach die Erde an sechs Tagen. Am siebten setzt er sich auf die kleine Bank vor seinem Häuschen, schaut sich seine Schöpfung an und ruht sich aus. Unser Wochenrhythmus ist geboren: sechs Arbeitstage und ein Ruhetag.
Bei der Hochzeit zu Kanaa schreibt der Verfasser des Johannesevangeliums von sechs Reinigungskrügen.
Und selbst der so genannte Davidsstern hat sechs Spitzen, die sich aus zwei Dreiecken ergeben.
Dass ein Kreis in 360 Grade eingeteilt ist, also sechs mal sechs mal zehn, wissen Sie selbst, auch dass sechs mal zehn Sekunden eine Minute ergeben, sechs mal zehn Minuten eine Stunde. Alles kein Zufall, sondern basierend auf der Zahl sechs.
So auch bei der Festlegung von Fronleichnam: sechs mal zehn Tage nach Ostern – da multipliziert man die vollkommende Zahl, nämlich die 10, mit der Zahl der irdischen Vollkommenheit. Ist es da ein Wunder, dass Menschen ausgerechnet am 60. Tag nach Ostern das Göttliche schlechthin durch die Straßen tragen? Auch wenn der göttliche Leib „nur“ in Form einer geweihten Hostie gezeigt wird? Womit wir wieder bei der Demo wären…
Der Streit um das gemeinsame Abendmahl
Denn genaugenommen ist dies der Sinn des Fronleichnamsfestes: Auch denen das Kernstück des christlichen Glaubens zu zeigen, monstrare, wie der Lateiner sagt, die gar nicht daran glauben. Wobei man deutlich sagen muss: Fronleichnam ist ein katholisches Fest. Martin Luther hatte erhebliche Probleme damit. Kein Wunder, besagt ja auch die evangelische Lesart, dass es sich bei der Abendmahlsfeier um eine Gedächtnisfeier handelt. Etwas vereinfacht gesagt: Zusammen essen und trinken und dabei an Jesus denken. Gut, manche evangelische Glaubensrichtungen sind da näher bei den Katholiken, die eben glauben, dass Gott tatsächlich in diesem Stückchen Brot, in der Hostie gegenwärtig ist. Kein Wunder, dass das Streit auslöst. Bis heute! Zusammen essen und trinken und dabei an Jesus denken, können Protestanten und Katholiken jederzeit. Aber eine Hostie zu sich zu nehmen in dem Bewusstsein, dass das Gott höchstselbst ist – im Sinne Luthers wäre das nicht. Deshalb würde der wohl auch der ganzen Aufregung um ein gemeinsames Abendmahl von Protestanten und Katholiken sehr gelassen gegenüberstehen. Zumindest so lange alle davon ausgehen, dass es sich um eine reine Gedächtnisfeier handelt. Ist es aber das, was fromme Katholiken als Eucharistie ansehen, also mit Brot, das in den Leib Christ verwandelt ist, müssten das evangelische Christen eigentlich als Humbug ablehnen und sich davon fernhalten. Und Rom müsste es ebenfalls ablehnen, was es ja auch tut. Alles ziemlich kompliziert.
Mist gegen Weihrauch
Was heute die beiden Konfessionen trennt, war auch früher schon ein Ärgernis. So erzählt man sich, dass in manchen Gegenden protestantische Bauern absichtlich Mist auf ihre Felder gefahren haben, um die „demonstrierenden Katholiken“ zu ärgern. Mist gegen Weihrauch – so hätte die Bildzeitung wohl noch vor einigen Jahrzehnten regional titeln können.
Wobei es höchste Zeit wird, zu erklären, wie so eine katholische Glaubensdemo eigentlich aussieht: Ganz nach dem Vorbild anderer kirchlicher Feste ziehen die Gläubigen wie eben schon im Mittelalter durch die Straßen der Städte und Dörfer, halten an vier Altären und singen dort die Anfänge der vier Evangelien. Danach gibt es den Segen des Priesters, und zwar in alle vier Himmelsrichtung. Wieder so eine Symbolzahl. Denn die Vier steht für alles Irdische. Wenn Sie so wollen: ein Segen für alle und jeden.
Seit dem 14. Jahrhundert ist in einem speziellen Tragegefäß, der sogenannten Monstranz, auch das Allerheiligste dabei: der Leib Christi, unter einem besonderen Traghimmel, natürlich begleitet von Priester, Messdienern und der singenden und betenden Gemeinde. Es ist also eine Frage des Anstandes, dass Sie, falls heute solch eine Fronleichnamsprozession bei Ihnen zu Hause vorbeikommt, eben nicht gerade einen Kübel Mist auf die Straße kippen. Oder anderweitig Katholiken verärgern oder über sie herziehen, weil sie auf diese Weise ihren Glauben bekennen. Denken Sie an den alten Seneca. Wie sagte der schon so schön: „Quod non vetat lex, hoc vetat fieri pudor.“ Was Sie folgendermaßen übersetzen können: „Was das Gesetz nicht verbietet, verbietet der Anstand.“
Nicht nur der persönliche Glauben von Menschen ist durch unser Grundgesetz geschützt, sondern auch die Demo für den Glauben an Fronleichnam. Der Schutz durch unser Grundgesetz gilt auch, selbst wenn Fronleichnam viel, viel älter ist als unser Grundgesetz selbst.
Prozession, Brauchtum und Fronleichnamsböllern
Was mich zu einem kurzen Hinweis auf das Alter der Fronleichnamsprozession führt. Tatsächlich fand die erste Fronleichnamsprozession im bayrischen Benediktbeuern schon im Jahr 1273 statt. Das große Köln folgte im Jahr 1279. Wenn Sie noch einmal weiter oben auf die Zahlen schauen: Diese beiden Städte waren ihrer Zeit also weit voraus, feierten also schon Fronleichnam, bevor das Fest angeordnet war.
Im nordhessischen Fritzlar vermischt sich das Fronleichnamsfest mit einem anderen Brauchtum: Zuerst läuten alle Glocken des Fritzlarer Doms, quasi volle Lotte, dann schießen die Gläubigen bereits am Vorabend die so genannten Katzenköppe ab. Dabei handelt es sich um kleine, spätmittelalterliche Kanonen, mit denen das Fronleichnamsfest quasi „eingeläutet“ wird. Bevor Sie zucken: Heutzutage macht das natürlich ein ausgebildeter Feuerwerker. Schließlich soll ja nichts passieren. Wenn die Fritzlarer richtig gezählt haben, feiern sie schon seit 1267 Fronleichnam, allerdings anfangs noch ohne Prozession. Die kam in Fritzlar wohl erst im Jahr 1320 hinzu – und damit einige Jahre später als in Benediktbeuern und Köln.
Regionaler Feiertag
Die älteste Demo der Welt, die Demo für den Glauben – wenn Sie in einer Region zu Hause sind, in der protestantische Christen in der Mehrheit sind, gucken Sie leider in die Röhre und haben heute einen ganz normalen Arbeitstag. Beschweren Sie sich bei Martin Luther!
Leben Sie aber in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, im Saarland und in einigen ausgewählten ostsächsischen Gemeinden, bedanken Sie sich am besten bei Juliana von Lüttich. Und genießen Sie den freien Arbeitstag. Es ist der letzte bis zum Tag Allerheiligen am 1. November – übrigens wieder nur ein Feiertag in überwiegend katholischen Bundesländern. Sie meinen, ich hätte den Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober vergessen? Der fällt in diesem Jahr – ganz zur Freude der Arbeitgeber – auf einen Sonntag.
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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