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Corona, Seesterne und der Mut, nicht aufzugeben (15. Dezember)

„Manchmal frage ich mich, ob all unsere Mühen, all unsere Anstrengungen tatsächlich etwas nutzen.“ Der Mann, der das sagt, arbeitet seit Jahren für ein caritatives Hilfswerk. Über seine Arbeit soll ich einen Beitrag machen. Darüber, wie er mit seinem Team Menschen hilft, sich einsetzt, kümmert, immer für andere da ist. So wurde er mir beschrieben. Aber jetzt sitzt er vor mir wie das oft zitierte Häufchen Elend. Er und seine junge Kollegin.

Resignation

Im ersten Moment bin ich ratlos, weiß gar nicht, was ich sagen soll, wie ich damit umgehen soll. Der Mann wurde mir schließlich völlig anders beschrieben. Engagiert, kraftvoll, zupackend, voller Tatendrang. Und was jetzt? Bevor auch nur weiß, was ich erwidern könnte, ergreift die junge Frau das Wort. Und erzählt uns beiden eine Geschichte. Eine Geschichte von einem Jungen, der am Strand steht und auf Tausende von gestrandeten Seesternen blickt. Einen nach dem anderen hebt er auf und wirft ihn vorsichtig ins Wasser. Ein Erwachsener kommt hinzu, lacht ihn aus und sagt: „Junge, ob du ein paar Seesterne ins Wasser wirfst oder nicht – was macht das für einen Unterschied?“

Kein Unterschied?

Der Junge hält einen Moment inne, schaut kurz den Erwachsenen an. Dann hebt er den nächsten Seestern auf und sagt: „Für die Seesterne an sich? Für die Seesterne macht das keinen Unterschied. Aber für diesen einen hier. Und für diesen hier auch“, sagt er und nimmt den nächsten. „Für diese beiden macht es einen Unterschied!“ Wirft die beiden Seesterne ins Wasser und bückt sich, um nach dem nächsten zu greifen und auch ihn ins lebensrettende Wasser zu werfen.

Einsatz auf vielen Ebenen

Ich weiß nicht, woher die junge Frau diese Geschichte hat. Irgendwo habe auch ich sie schon einmal gehört. Ich stelle nur fest: Der Helfer wirkt wie schlagartig aufgeweckt. Gerade so, als habe ihn die Erzählung von einer Lethargie, von einer allgemeinen Müdigkeit befreit. Und auch ich bin jetzt hellwach. Denn nun sprudelt er los: erzählt über die Kleiderkammer, die jetzt, in der kalten Jahreszeit, noch wichtiger sei als zuvor. Spricht von der Suppenküche, die er mit seinem Team betreibt, von der warmen Unterkunft, die seine Organisation bereithält.

Scheinbar Banales

Von dem nötigsten wie warmen Socken, Jacken und Mänteln, dass sie die an Bedürftige verschenken. Und dazu so etwas Banales wie ein Stück Seife. Die von manchem Bedürftigen gehütet wird wie ein Schatz. Auch weil sie so gut

riecht. Weil ein Stück Seife tatsächlich etwas Besonderes ist. Fast werfe ich ein, dass man sich als Otto Normalverbraucher keine Gedanken über ein Stück Seife macht. Aber ich kann mich gerade noch bremsen, kann gerade noch vermeiden, den Redefluss des Mannes zu unterbrechen.

Bürokratische Hürden

Dass er mit seinem Team verschiedene Sammelaktionen durchführt. Mit großangelegten Altpapiersammlungen haben sie früher eine Menge Geld eingenommen, dass dann bedürftigen Menschen zugutekam. Aber dann fielen die Preise für Altpapier immer weiter. Heute, gerade im Moment seien sie wieder sehr hoch. Aber die Bürokratie würde sie mittlerweile ausbremsen: ehrenamtliche Helfer müssten versichert werden – da bleibe von den Erlösen kaum noch etwas übrig. Außerdem hätten sich die Menschen daran gewöhnt, Altpapier selbst regelmäßig zu entsorgen. Da sei es weitaus einfacher, direkt um Spenden und Unterstützung zu bitten. Und dann zählt er Firmen auf, die Rucksäcke, warme Strümpfe und jene besagte Seife in großer Stückzahl bereitstellten. Privatpersonen würden zumeist Geld spenden. Damit könnten sie selbst das Nötigste zukaufen.

Längst nicht alles im Griff

Mutig klingt das. Gerade so, als hätte er alles im Griff. Hat er aber nicht. Und das weiß er auch. Dass die Anzahl der Hilfsbedürftigen immer weiter steige; dass die ehrenamtlichen Helfer weniger würden – auch, weil sie sich immer mehr in die freiwillige Isolation zurückzögen. Aus Angst, sich mit Corona zu infizieren. Und überhaupt:

Corona

Das seien ja nicht nur die vielen Toten, die den Kampf gegen dieses Virus verlören, nicht nur die vielen Menschen, die für lange Zeit oder sogar auf Dauer unter den Folgen einer Erkrankung litten. Für ihn sei das größte Problem, dass immer mehr Menschen zurückzögen. Hatten die Soziologen schon seit Jahrzehnten einen Trend zum Cocooning, zum Einrichten in den eigenen vier Wänden, festgestellt, so würde die Pandemie diesen Trend noch verstärken. Weniger Sozialkontakte – das führe zu weniger sozialem Denken, weniger sozialer Verantwortung, so sein Fazit.

Jeder einzelne Seestern zählt

Was nehme ich mit aus dieser Begegnung? Dass der Stand vollliegt mit Seesternen. Dass gerade eine neue Welle eine unglaubliche Menge neuer Seesterne auf den Strand spült. Und dass es caritative Organisationen gibt, in denen Menschen wie dieser Mann und seine junge Kollegin Seestern um Seestern aufsammeln und ins Meer zurückwerfen. Kann ich diesen Vergleich transportieren? Wird man ihn verstehen? Oder muss ich es anders sagen? Dass jeder, der Hilfe braucht, mein Nächster ist? Manchmal ist es eben ein Freund oder Bekannter, manchmal ein Bettler, manchmal ein Flüchtling. Und manchmal ein Seestern. Ich aber, ich bin immer dieselbe: die, die helfen kann und helfen soll. Und helfen will. Wo immer es geht. Und sei es mit einem Artikel wie diesem hier.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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