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Bonifatius und das Beben in der Katholischen Kirche (5. Juni)

Ein Beben geht derzeit durch die Katholische Kirche in Deutschland – und zumindest sprichwörtlich wird er in seinem Grab rotieren: der heilige Bonifatius. Kennen Sie gar nicht? Dann stammen Sie nicht aus Fulda oder Umgebung. Denn dort wissen selbst die Kinder im Kindergarten, wer Bonifatius ist. Und dass am heutigen Tag sein Namenstag gefeiert wird – wie fast immer bei so genannten Heiligen, also Vorbildern in der Kirche, an seinem Todestag.
Im Fuldaer Land ist

der Namenstag von Bonifatius eine Art Nationalfeiertag. Ganz groß gefeiert wird der üblicherweise am Sonntag vor oder nach dem Namenstag. Dann pilgern normalerweise die osthessischen Katholiken zu Tausenden an sein Grab im Fuldaer Dom, feiern Gottesdienst, beten am Grab des Heiligen, holen sich kirchlichen Segen und göttlichen Beistand für den Alltag und verspeisen die traditionelle Wallwurst. Normalerweise! In diesen von Corona geprägten Jahren ist, das wissen Sie, alles anders. Trotzdem gedenken die Katholiken dieses wichtigen Heiligen. Und gerade in diesen Tagen wünscht sich so mancher, es gäbe aktuell so einen wie Bonifatius. Warum eigentlich?

Wer war Bonifatius?

Dazu ist es notwendig, sich anzuschauen, wer Bonifatius überhaupt war. Der wird als Winfried um das Jahr 673 in englischen Crediton geboren, wird in jungen Jahren Mönch, später Vorsteher einer Klosterschule. Bis zu seinem 40. Lebensjahr widmet er sich der Wissenschaft. Als erster verfasst er eine geschriebene lateinische Grammatik. Danach sucht Winfried die Herausforderung: Den Menschen im unwirtlichen Germanien will er den christlichen Glauben verkünden. Kreuz und quer reist er predigend durchs Land, ist unterwegs zwischen Friesland und Passau, zwischen Köln und Erfurt. Das oberhessische Amöneburg ist stolz darauf, die erste Klostergründung (721) des Bonifatius zu sein, Fritzlar wäre ohne ihn nicht denkbar. 744 lässt Bonifatius die Abtei Fulda gründen. Hier soll die Schaltzentrale seines Missionswerkes entstehen.

Fällen der Donareiche

Bei seiner Missionsarbeit geht Bonifatius durchaus – um ein uraltes Wort zu gebrauchen – wirkmächtig vor. So fällt er bereits 723 unter dem Schutz fränkischen Militärs eine Eiche, an der die Germanen den Gott Donar (, auch Thor,) verehren. Wie die Legende es will, erwarten die Germanen wohl, Donar, Gott des Blitzes und Donners (und Namensgeber für unseren Donnerstag), würde „seinen Hammer schwingen“ und Winfried gewaltig eins auf die Mütze geben. Als nichts dergleichen geschieht, liegt nicht nur – ratzfatz – die Eiche am Boden, sondern ist dies auch das Aus für den heidnischen Schicksalsglauben. Der Gott dieses Winfried muss wohl mächtiger sein als Donar. Und da Menschen dazu neigen, auf die Seite des Stärkeren zu wechseln, sorgt Winfrieds Baumfällaktion dafür, dass sich viele unserer Vorfahren dem Christentum anschließen und von nun an den christlichen Gott verehren. Kein Wunder, dass gleich mehrere Städte und Dörfer in Nordhessen für sich beanspruchen, möglicherweise Schauplatz dieser spektakulären Aktion gewesen zu sein. Die besten Karten scheint dabei Geismar zu haben, ein Ort nahe der Stadt Fritzlar.

Ach ja, der Ordensname dieses Winfried ist Bonifatius, abgeleitet von den lateinischen Wörtern für gut, „bonus“, und Schicksal, „fatum“. Bonifatius ist also derjenige, der ein gutes Schicksal verkündet – ein anderes Wort für die frohe Botschaft, kirchensprachlich „Evangelium“. Wobei die Vorstellung, dass Bonifatius die Heiden missioniert, nur zum Teil richtig ist. In Germanien hatte sich schon vor Bonifatius das Christentum etabliert, war aber auf dem Rückzug. Parallelen zu heute?

Situation der Kirche – damals

Bischöfe betreiben Unzucht, hängen „dem schnöden Mammon an“, die einfachen Priester sind keinen Deut besser, kennen sich in der christlichen Glaubenslehre zu wenig aus, so dass selbst Wahrsagerei und heidnische Beschwörungen immer wieder die Glaubenspraxis durchziehen. Das ist das Bild, das Briefe des Bonifatius von der Kirche seiner Zeit zeichnen. Bischöfe und Priester als Vorbilder? Weit gefehlt.
Kurzerhand überträgt der Papst im fernen Rom diesem tatkräftigen Mann die Aufgabe, die Kirche in Germanien auf Vordermann zu bringen. Mit starker Hand reformiert Bonifatius die Kirche, indem er alte Zöpfe abschneidet, wie man das rund 1000 Jahre später nennen wird. So verordnet er der Kirche neue Verwaltungsstrukturen, legt für die Bistümer Passau, Freising, Regensburg, Würzburg, Eichstätt und Erfurt die Grenzen fest und organisiert in Bayern und Thüringen die Missionsarbeit. Vor allem aber bindet er die Kirche Germaniens stärker als zuvor an Rom. Dabei ist er immer wieder bemüht, sich bis ins Detail in Rom rückzuversichern. Dreimal tritt Bonifatius sogar persönlich beim Papst an. Über die Alpen, natürlich noch ohne ICE oder Flugzeug, zumeist zu Fuß, allenfalls zu Pferd oder auf einem Eselskarren – damals weitaus beschwerlicher als heute.

Tod des 80jährigen

Selbst im Alter von 80 Jahren macht sich Bonifatius noch einmal auf den Weg nach Friesland. In der Nähe des heute holländischen Ortes Dokkum kommt es 754 zu einem jähen Ende seines Wirkens: Räuber überfallen und töten Bonifatius und seine Reisegefährten ermorden. Möglicherweise hatten sie es auf den Inhalt der mitgeführten Reisekisten abgesehen. Die enthielten allerdings keine Pretiosen, sondern Bücher, darunter auch die Bibel. Ein Exemplar soll sich Bonifatius während des Überfalls schützend über seinen Kopf gehalten haben. Zumindest weist eine Bibel, die heute im Fuldaer Diözesanmuseum gezeigt wird, deutliche Spuren eines Kampfes auf. Auch der Schädel des Bonifatius, heute ebenfalls in Fulda, lässt eine Verletzung erkennen, die tödlich war.

Um das Ganze abzuschließen: Dreißig Tage braucht man damals, um Bonifatius an seinen Bischofssitz nach Mainz zu überführen. Hier soll die Bevölkerung von ihrem Bischof Abschied nehmen können. Weil der aber zu Lebzeiten darum gebeten hatte, im Kloster Fulda bestattet zu werden, verschafft man seinen Leichnam von Mainz nach Fulda. Heute ist die Route, die der Leichenzug seinerzeit nahm, ein ausgebauter Wanderweg, die so genannte Bonifatiusroute.

Bonifatiusgrab als Wallfahrtsort

Das Grab des „Apostels der Deutschen“, wie Bonifatius auch genannt wird, wird schnell zu einem bedeutenden Wallfahrtsort – bis heute. In Nicht-Corona-Jahren kommen 10.000 Christen auf dem Fuldaer Domplatz zusammen, manchmal sogar deutlich mehr. Hier feiern sie Gottesdienst, beten am Grab des Heiligen zu Gott. Selbst die katholischen Bischöfe tun dies seit rund 200 Jahren regelmäßig: in der letzten vollständigen Woche im September halten sie in der Nähe der Bonifatiusgruft symbolträchtig ihre Herbsttagung ab. Wallfahrer wie Bischöfe wollen zurückschauen auf den großen Heiligen, ihn in seiner Vorbildfunktion für sich selbst wieder entdecken und dann mit in ihren Alltag, mit nach Hause nehmen. Aus der Vergangenheit und der Gegenwart Perspektiven für die Zukunft schöpfen – hier liegt der eigentliche, tiefe Sinn der Bonifatiuswallfahrt. Ob das immer auch gelingt? Selbst wenn viele Bischöfe, Priester, Mitarbeiter in Gremien und Gemeinden gute Arbeit leisten – vieles, was heute in der Kirche passiert, überdeckt das Positive, was es in der Kirche gibt. Um noch einmal das uralte Wort zu verwenden: Das Negative scheint seit einigen Jahren wirkmächtiger zu sein als das Positive.

ein neuer Bonifatius?

Braucht es auch heute wieder einen Bonifatius, der Strukturen schafft und Wege aufzeigt, wo es langgeht? Ist der Rücktritt von Kardinal Marx eine Flucht oder entspricht dies dem spektakulären Fällen der Donareiche durch Bonifatius? Erlebt die Katholische Kirche in Deutschland soeben ihren Tiefpunkt oder geht es noch schlimmer? Und kann dieser aktuelle Tiefpunkt zum Wendepunkt werden? Antworten kann es zurzeit nicht geben. Antworten wird uns die Geschichte in einigen Jahren, vielleicht erst in einigen Jahrzehnten geben.

Trotzdem werden Katholiken in Fulda es in diesem Jahr besonders vermissen, dass sie eben nicht zu Tausenden an das Grab des Heiligen pilgern und auf dem Domplatz Gottesdienst feiern können. Gerade jetzt, wo das Beten für einen Aufbruch in der Kirche notwendiger zu sein scheint denn je.

Wie mokiert sich einmal ein alter Fuldaer? „Wer die 16 Strophen des Bonifatiusliedes nicht auswendig mitsingen kann, ist gar kein richtiger Katholik!“ Das mag zwar zeigen, wie wichtig der Heilige vor allem den Katholiken Osthessens ist. Aber ganz sicher hat die Katholische Kirche in diesen Tagen ganz andere Sorgen.

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

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