Affront gegen den Papst als Auftakt der Reformation – Luther verbrennt Papstbulle (1520) (10. Dezember)
Mal ganz ehrlich: Wenn Sie jemandem einen Brief schreiben und anschließend erfahren Sie, dass der Adressat Ihren Brief sofort ins Feuer geworfen hat – Sie wären auch sauer. Andererseits: Da muss schon eine Menge passiert sein, bevor jemand ein Schreiben auf diese Art und Weise unwiederbringlich vernichtet. Genau das war der Fall, damals, am 10. Dezember 1520. Geschrieben hatte Papst Leo X. Den Ausschluss aus der christlichen Gemeinschaft, den so genannten Kirchenbann, drohte er seinem Adressaten an. Dieser Adressat war Martin Luther.
Viel Rauch, viel Feuer
Und der warf in Wittenberg den Briefs ins Feuer. Und damit es auch wirklich so richtig hochlodert, warf er noch eine ganze Reihe von kirchlichen Gesetzbüchern und verschiedene Schriften seiner Gegner hinterher. Das muss ganz schön geraucht haben! Und das gleich im doppelten Sinn des Wortes: Nicht nur, weil eine Menge Papier im Kamin auch eine Menge an Qualm und Asche produziert. Sondern auch weil Luther sehr wohl wusste: Eine derartig respektlose Aktion konnte der Papst gar nicht durchgehen lassen.
Nicht das Gesicht verlieren
Selbst wenn er vielleicht anders gewollt hätte – wovon allerdings kaum auszugehen ist – , hätte er gar nicht anders gekonnt als zu reagieren. Ansonsten hätte er sein Gesicht verloren. Und weil jedermann gewusst hätte, mit dem kann man es ja machen, wäre das der Anfang vom Ende von Papst Leo X. gewesen. Vielleicht sogar vom ganzen Papsttum. Das wäre Luther wiederum ziemlich recht gewesen. Aber der Papst wollte sein Gesicht nicht verlieren. Ein Mönchlein aus dem Augustinerorden, einer von denen, die sehr genau wissen, wie Kirche tickt, beleidigt den Papst? Auf diese Provokation gab es nach dem Kirchenrecht nur eine Antwort: Am 3. Januar belegte Papst Leo X. Luther mit dem Bannfluch. Was ungefähr bedeutet: Luther flog im hohen Bogen aus der Kirche.
Der Rest der Geschichte ist bekannt: In der Gefolgschaft Luthers entstehen die reformierten Kirchen.
Schon sehr früh Kirchenspaltungen: Arianer
Etwas Neues war eine derartige Kirchenspaltung allerdings nicht. Abspaltungen von der Kirche, wie sie die ersten Christen gründeten, gab es in frühen Jahrhunderten eine ganze Menge.
Im 4. nachchristlichen Jahrhundert gingen die Arianer, benannt nach dem Theologen Arius aus Alexandria, davon aus, dass Jesus von Gott geschaffen sei. Als Geschöpf Gottes sei er logischerweise nicht Gott gleichgestellt, sondern untergeordnet. Nur hat die menschliche Logik mit dem Glauben an die Trinität Gottes, bei der Vater, Sohn und Heiliger Geist drei Wesensformen ein und derselben Person sind, herzlich wenig zu tun. Spätestens seit dem im Jahr 325 durch Kaiser Konstantin einberufenen Konzil von Nicäa galt der Arianismus als Häresie, als Irrlehre.
Nestorianer
Ähnlich erging es den Anhängern von Nestorius, die eine klare Zweiteilung des Gottessohnes sahen: So gebe es einen Jesus mit einer göttlichen und einen mit einer menschlichen Natur. Wer meint, dass es sich um Wortklauberei handelt, muss die Konsequenzen bedenken: Wer verliert dann am Kreuz unter Schmerzen und Qualen sein menschliches Leben? Der göttliche oder der menschliche Jesus? Ein Mensch, der am Kreuz stirbt – das war in der Antike nun wahrlich nichts Besonderes. Und ein zweiter Gedanke: Maria, die diesen Jesus zur Welt brachte, konnte dann unmöglich die Mutter Gottes sein, sondern lediglich die Mutter des menschlichen Jesus.
Mag schon sein, dass Ihnen das egal ist. Für die Theologie, also für die Lehre
Monophysiten
Noch etwas komplizierter machen das Ganze die Monophysiten: Ihr Name leitet sich von ihrer Vorstellung ab, dass Jesus nur eine einzige (mono), und zwar göttliche Natur (Physis) besitze. Die menschliche Seite Jesu sei quasi von der göttlichen Seite aufgesogen worden. Eine Vorstellung, die sich mit dem Glauben an Jesus als „Gott und Mensch zugleich“ nicht vereinbaren lässt. Entweder – oder.
Eine Entscheidung fiel auf dem Konzil von Chalcedon im Jahr 451: Seitdem gilt die monophysitische Vorstellung als Irrlehre, die Monophysiten als Abspaltung von der „eigentlichen christlichen“ Kirche. Übrigens: Auf der monophysitischen Lehre basieren die koptische orthodoxe Kirche, die äthiopische orthodoxe Kirche, aus der 1993 die eritreische orthodoxe Kirche hervorgeht, dazu die syrisch-orthodoxe Kirche, die malankarische orthodoxe (oder auch indisch-orthodoxe) Kirche und die armenische apostolische Kirche.
Natur Jesu Christi
Wenn man auf eine Detailversessenheit verzichtet, dann gehen all diesen drei Abspaltungen Streitigkeiten um die Natur Jesu Christi voraus. Anders ist das beim so genannten Morgenländischen Schisma im Jahr 1054, also der Spaltung in eine Ostkirche und eine Westkirche, in Orthodoxie und Katholizismus. (Vorsicht Falle: Auch wenn die Abspaltungen in den ersten Jahrhunderten das Wort „orthodox“ in ihrem Namen führen, haben sie mit dem, was nach der Teilung von 1054 als Orthodoxie bezeichnet wird, nur wenig zu tun.) Für das Morgenländische Schisma war wohl eine langandauernde Entfremdung zwischen West und Ost maßgeblich.
Morgenländisches Schisma von 1054
Denn im Jahr 395 erfolgte eine Teilung des römischen Reiches: Der westliche Reichteil, auch Westrom genannt, hatte mit den einfallenden Germanenstämmen mehr als genug zu tun; der östliche Reichsteil, kurz Ostrom, dessen Hauptstadt Byzanz dem Gebilde auch den Namen “Byzantinisches Reich“ gab, entwickelte sich eigenständig. Beide Reichsteile gingen – um das einmal so allgemein zu sagen – in ihrem jeweiligen Werdegang unterschiedliche Wege, die später zu einer politisch-wirtschaftlichen Konkurrenzsituation und Rivalität führten.
Kreuzzug gegen Konstantinopel
Der Vierte Kreuzzug, der offiziell – wie alle Kreuzzüge – die so genannte Befreiung des Heiligen Landes zum Ziel hatte, war wohl in Wirklichkeit als Kreuzzug gegen Konstantinopel geplant, der im Jahr 1204 mit der Eroberung Konstantinopels endete. (Kleine Besserwisserei: Die alte griechische Gründung Byzanz – unter Kaiser Konstantin zu einer „Weltstadt“ ausgebaut – trägt mit Konstantinopel lange Zeit den Namen des Kaisers, ist aber dieselbe Stadt. Diese Stadt ist uns heute als Istanbul weitaus geläufiger.)
Kirche von England
Bevor wir zum Jahr 1520, das de facto den Beginn der Reformatorischen Kirchen einleitet, zurückkommen, schnell noch ein Blick auf die andere Seite des Ärmelkanals: Heinrich VIII. – das ist der mit den sechs Frauen – hat ein Problem damit, dass die katholische Kirche von der Unauflöslichkeit der Ehe ausgeht. Und weil der gute Heinrich es irgendwann leid wird, seine jeweilige Ehefrau ins Jenseits befördern zu müssen, bevor er eine andere heiraten kann, steigt er aus der katholischen Kirche aus und gründet eben seine eigene Kirche. Was so ganz nebenbei zur Konsequenz hat, dass das Oberhaupt der 1534 verkündeten Kirche von England der jeweilige König ist. Zurzeit, wie Sie wissen, mit Elizabeth II. eben eine Königin…
Heinrich VIII.
(Wenn Sie es etwas sachlicher und weniger süffisant wollen: Weil die erste Frau Heinrichs, Katharina von Aragon, keinen männlichen Thronfolger gebar, wollte Heinrich sein Glück mit einer anderen Frau versuchen. Als frommer Katholik musste er dazu seine Ehe annullieren lassen. Papst Clemens VII. hielt sich ans Kirchenrecht und lehnte den Antrag Heinrichs ab. Was den natürlich mächtig ärgerte. Der Papst spurt nicht so, wie der König von England das will? Kurzerhand enteignete Heinrich ein paar katholische Klöster in England. Der Papst, mittlerweile Clemens Nachfolger Papst Paul III., bemühte erneut das Kirchenrecht und exkommunizierte den englischen König. Was der dann zum Anlass nahm, um sich von der katholischen Kirche loszusagen.)
Abspaltung der christlichen Kirche vom Judentum
Auch nach der Reformation vor einem halben Jahrtausend gab es weitere Abspaltungen von der katholischen Kirche. Sie sind also keine Seltenheit. Und wenn man ganz genau hinschaut, muss man auch sagen: Die Existenz der christlichen Kirche als eigenständige Institution beginnt mit einer Abspaltung, nämlich dem Rauswurf der Christen aus dem Judentum. Und der vollzog sich Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts bei der rabbinischen Synode von Jamnia (auch Jabne genannt). Damals stellten nämlich die versammelten Rabbiner fest, dass die christliche Lehre nun wirklich nicht mehr als eine von vielen Variationen des Judentums durchgehen könne.
Zauberinnen töten
Zurück zu Martin Luther und der Reformation aus dem Jahr 1520: Sicher ist, dass Luther – zumindest anfangs – eine Reform der Kirche anstrebte, keine Abspaltung. Hätte man ihm gesagt, dass aufgrund seiner Reformüberlegungen Millionen von Menschen durch die gewalttätigen Folgen von Reformation und Gegenreformation in Europa ihr Leben verliere würden – wer weiß, ob er nicht einen anderen Weg gewählt hätte. Allerdings war Luther dafür bekannt, durchaus harsche Ansichten zu vertreten: Seine Bibelübersetzung, dass man Zauberinnen nicht leben lassen sollte – die Vulgata übersetzt mit „Zauberer“ – führt dazu, dass in protestantischen Gebieten wohl bis zu 85 Prozent der zu Tode gebrachten vermeintlichen Hexen Frauen waren, in katholischen Gebieten „nur“ 60 Prozent.
Luthers Antisemitismus
Auch wenn es evangelische Christen nicht gern hören und über Jahrhunderte zu verdrängen suchten: Dass Luthers judenfeindliche Polemiken über Jahrhunderte zu Lasten jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger verwendet wurden, ist mittlerweile hinlänglich belegt. Fatal auch, dass ausgerechnet Julius Streicher, im Dritten Reich bekannter Hetzer gegen Juden und Herausgeber der Zeitschrift „Der Stürmer“, während der Nürnberger Prozesse zu seiner Anklage sagte: „Wenn Martin Luther heute lebte, säße er an meiner Stelle hier!“
Geburtstag – nicht für jeden ein Freudentag
501 Jahre ist es also auf den Tag genau her, dass Luther das Schreiben des Papstes verbrannte und damit die Reformation auslöste. Dass Katholiken diesen Jahrestag nicht als freudige Erinnerung an den Geburtstag der Reformation feiern, lässt sich auch für neutrale Beobachter nachvollziehen: Schließlich bedeutet Reformation für die katholische Kirche, dass ein großer Teil ihrer Mitglieder zu einer anderen Organisation abwandert. Für die katholische Kirche mehr als ärgerlich, zumal „katholisch“ so viel wie „allgemein“ und „allumfassend“ bedeutet. Was bedeutet: Schon in der Bewertung der Reformation können katholische und evangelische Kirchen gar nicht auf einen Nenner kommen.
Verärgern geht schnell
Was ich damit sagen will: Dinge zu sagen oder gar zu tun, die die Gräben zwischen den Gläubigen vertiefen, ist leicht. Das reicht vom Verbrennen von Briefen über die enge Auslegung von Begriffen bis hin zur Ausübung konkreter Gewalt – alles in der Geschichte längst passiert. Vielleicht sind ja auch Sie wegen der einen oder anderen Passage in diesem Text verärgert. Beabsichtigt habe ich das zumindest nicht. Weitaus schwieriger aber ist es, Dinge zu sagen oder zu tun, die zur Versöhnung beitragen. Etwas dazu beizutragen, dass sich Trennendes überwinden lässt. In der Geschichte der Kirche gibt es oft die Aussagen, lieber auf das Gemeinsame zu schauen. Das hilft bei der alltäglichen Zusammenarbeit. Aber es trägt nicht dazu bei, das Trennende auch nur einen Millimeter zu überwinden.
Gesichtsverlust des Gegenüber vermeiden
Was in der Kirchengeschichte gilt, gilt erst recht in banalen menschlichen Auseinandersetzungen. Wie oft passiert es, dass ich mein Gegenüber durch eine geschickte Operation geradezu zu einer Reaktion zwinge? Ich tue etwas. Und er kann gar nicht anders als…
Natürlich ist es im Alltag wichtig, darüber nachzudenken, wie ich punkte, wie ich einen Stich mache. Aber zumindest genauso wichtig ist die Frage, welche Spielräume ich meinem Gegenüber damit noch lasse. Bringe ich ihn in eine Situation, in der es für ihn nur noch darum geht, nicht das Gesicht zu verlieren, kann dies katastrophale Folgen haben. Wer will schon sein Gesicht verlieren? Ich nicht. Mein Gegenüber aber auch nicht. Das kann nicht gutgehen!
Die Kirchengeschichte zeigt auch: Wenn das Band einmal endgültig zerschnitten ist, dann lässt es sich kaum noch zusammenfügen. Eine Erkenntnis, die eben auch im alltäglichen Miteinander gilt. Das Schlimmste aber ist: Mit den Folgen müssen nicht nur die Kontrahenten leben, sondern viele, auch nicht direkt Beteiligte. Und oft genug sind die Auswirkungen unglaublich lange zu spüren. Manchmal sogar über 500 Jahre.
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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