9. Februar – Was ein Navigationsgerät nicht leistet…
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
9. Februar – Was ein Navigationsgerät nicht leistet…
Mein Freund Kalle macht sich immer einen Spaß daraus: Immer dann, wenn er in einer Autozeitschrift ein neues Modell entdeckt, das ihn interessieren könnte, geht er in ein Autohaus und schaut sich den Kandidaten seiner Träume genau an. Dabei testet er grundsätzlich das Navigationsgerät. „Lummerland“ gibt er als Adresse ein. Und weil die meisten Modelle auch noch eine Straße fordern, bevor sie mit der Berechnung beginnen, nennt Kalle „Lummerland Hauptbahnhof“. Die meisten Navis sagen ratzfatz, dass sie die gewünschte Adresse nicht finden können. Wie denn auch? Schließlich existieren Lummerland und sein Hauptbahnhof nur bei der Augsburger Puppenkiste. Einmal aber traf Kalle auf ein Modell, das rechnete und rechnete und rechnete… und stürzte schließlich dermaßen ab, dass anschließend das gesamte Multimediasystem des Fahrzeugs ein Setup benötigte. Behauptete zumindest Kalle. Und schwor Stein und Bein, dass er diesen Wagen niemals kaufen würde.
Na ja, theoretisch kann man mit allem seinen Spaß machen. Aber bei Navigationsgeräten ist es ganz einfach schön, wenn sie einfach das tun, was sie auch sollen: einfach den Weg von A nach B finden. Und je nach Wahl eine besonders schöne, kurze oder schnelle Route dazu auswählen. Ach ja, und am besten noch Staus umfahren. In der Theorie ist das ganz einfach: Stadt, Straßenname, Hausnummer, bei teureren Geräten auch per Sprachauswahl, eingeben, „Die Route wird berechnet“ – und zielsicher führt mich mein Navigationsgerät an den Ort meiner Wünsche. Am Ende heißt es dann: „Sie haben ihr Ziel erreicht.“ Eine großartige Erfindung. Eine, auf die man sich blind verlassen kann. In der Theorie…
Meine Frau hat mit der Spracheingabe ein Problem. Meistens ist sie zu ungeduldig: Wenn das Navi sie auffordert, den Zielort zu benennen, antwortet sie blitzesschnell. So schnell, dass das Navi noch gar nicht auf Empfang ist. Und weil es dann nur noch die letzte Silbe hört und damit nichts anfangen kann, gibt es zur Antwort: „Ich habe Sie nicht verstanden. Bitte wiederholen Sie!“ Oder so ähnlich. Was meine Frau natürlich zur Raserei bringt. Und ihr irgendwann die Antwort des Navis: „Ich habe Sie nicht verstanden. Sprechen Sie bitte leiser!“ Kein Witz, keine Übertreibung. Wirklich passiert. Es hat eine Weile gedauert, bis wir erkannt hatten, wo das Problem liegt. Dass meine Frau und unser Navi trotzdem keine Freunde mehr werden… na, lassen wir das.
Aber selbst wenn die Eingabe klappt, heißt das noch lange nicht, dass
anschließend auch alles funktioniert. Nehmen Sie den LKW-Fahrer, der mitten in den Pyrenäen sofort gehorchte: „Jetzt rechts abbiegen!“ Dass der unbefestigte Feldweg nicht für LKWs gemacht war, hätte er eigentlich sehen müssen. Hätte! Ich weiß: Hätte, wenn und aber, alles nur Gelaber! Und ich weiß auch, dass sich das Leben nun mal nicht im Konjunktiv abspielt.
Trotzdem: Unglaublich auch die Geschichte jenes LKW-Fahrers, der eigentlich einen Ort in Südeuropa ansteuern wollte, am Ende aber in England landete. Nicht einmal die Fahrt mit der Fähre über den Ärmelkanal hatte ihn misstrauisch gemacht. Wozu werden eigentlich Lkw von ihren Speditionen mittels GPS überwacht? Dieser wohl nicht!
Oder nehmen Sie die belgischen Tischtennisspieler von Charleroi: Gewissenhaft gab der Busfahrer den Namen des Play-Off-Gegners in sein Navi ein. Pech nur, dass er ein stimmloses, also nicht gesprochenes E am Wortende nicht mit eingab. Statt beim belgischen Konkurrenten landete die Mannschaft irgendwo in Holland. Tischtennis spielen wollte da niemand.
Der Musiker und Dichter Heinz Rudolf Kunze sagte mir einmal bei einer unserer Begegnungen: „Mit dem Navi vergisst du den Weg, den du vorher jahrzehntelang gefahren bist.“ Ich weiß nicht, lieber Heinz, ob du diesen Satz mittlerweile für einen deiner Songs oder einer deiner vielen, vielen anderen Texten verwendet hast – aber du hast schlicht und einfach recht mit dieser Aussage.
Damit wir uns nicht missverstehen: Ich liebe mein Navi. Es hat sogar
einen Kosenamen. Bislang hat es mich immer ans Ziel gebracht. Vor ein paar Jahren bin ich absichtlich in eine abgelegene Gegend in den Pyrenäen gefahren und habe meinem Navi unmissverständlich den Auftrag gegeben: „Bring mich hier auf dem schnellsten Weg raus!“ Zwischendurch führte zwar ein unbefestigter Weg direkt zu einem Bauernhof, durch den ich einmal quer hindurchmusste, um an der anderen Seite weiterzufahren – aber es hat geklappt. Und es hat Spaß gemacht, Wege zu fahren, die ich nie gefahren wäre. Wobei ich die Beschaffenheit des Weges immer beobachtet habe…
Trotz Technikaffinität und Liebe zu meinem Navi frage ich mich: Wie viele Menschen kommen wohl ans falsche Ziel, fahren falsche Wege oder verursachen Unfälle, nur weil sie ihrem Navigationsgerät folgen? Weil sie sich in Sicherheit glauben und den eigenen Denkapparat nicht mehr nutzen? Immanuel Kant hat es doch deutlich genug verlangt: „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Auch beim Herumkutschieren. Wobei zu Kants Zeiten die Kutschen noch von Pferden gezogen wurden. Aber egal…
Und wie ist das sonst im Leben? Wie oft vertrauen wir jemanden, der uns sagt, wo es lang geht, ohne unseren eigenen Verstand zu gebrauchen? Was passiert, wenn wir blind „falschen Propheten“ vertrauen? Wer nicht selbst denkt, wer sich unreflektiert auf andere verlässt, kann Schaden nehmen. Jeder sollte wissen, wo oben und unten ist, wo er herkommt, wo er hingehört und worauf er zusteuert. Sonst landet er am Ende da, wo er überhaupt nicht hinwill. Das gilt für Reiseziele, aber auch für das gesamte Leben.
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