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27. Februar – Schokolade in der Fastenzeit? Unbedingt! Oder?

Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.

27. Februar – Schokolade in der Fastenzeit? Unbedingt! Oder?

Mit den Neujahrsvorsätzen hat das schon nicht geklappt: Nach der übermäßigen Esserei an den Weihnachtstagen und dem Zuviel an Alkohol zum Jahreswechsel sollten die Pfunde im neuen Jahr nun endlich nur so purzeln. Weniger essen, weniger Alkoholisches trinken, mehr bewegen, vielleicht sogar es doch mal mit Sport versuchen – so lautete die Devise. Und was ist passiert? Wer jetzt verstohlen an die kleinen oder größeren Fettpölsterchen am Bauch und sonst wo denkt, sich vergegenwärtigt, dass die Hose immer noch zwickt, der weiß, was ich meine.

Aber jetzt: die Fastenzeit. Neues Spiel, neues Glück. An den drei tollen Tagen noch schnell der Welt einen Dienst erwiesen, nämlich Bier, Spirituosen, Süßigkeiten und all das, was sonst auch noch unweigerlich verdorben wäre, konsumiert – das ist ja auch der ursprüngliche Sinn der Fastnacht. Aber jetzt geht’s los. Spätestens seit Aschermittwoch wird nun wirklich gefastet. Und zwar rigoros. Am besten geht das mit den Geboten, die die Kirche schon vor Jahrhunderten erlassen hat. Und zwar mit Erfolg. Wobei Erfolg heißt: den Kopf freibekommen, von dem lassen, was zur Gewohnheit geworden ist und dessen Wert man nicht mehr wirklich zu schätzen weiß. Verzicht, um frei zu sein für etwas anderes. Klingt gut. Und wenn dabei noch ein paar Pfunde, ach was: etliche Kilos purzeln, ist das umso besser. Und andersherum gilt das genauso: Was dem Körper, dieser alten Hülle, guttut, ist auch für das Innere, für den Geist angenehm. Wer mit sich selbst im Einklang lebt, der fühlt sich nicht nur wohler, sondern der ist auch gesünder als andere. Wie sagte schon vor fast 2000 Jahren der römische Dichter Juvenal: „Mens sana in corpore sano“ – „ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“. (Wobei der Mann Satiriker war und das Zitat nicht nur verkürzt, sondern heute auch sinnentstellend verwendet wird. Aber egal!)

In der Theorie ist das mit dem Fasten völlig klar. Aber was heißt das praktisch? Bier ist nicht erlaubt, Süßigkeiten erst recht nicht. Und Fleisch sollte man sich schon aus Gründen des Tierwohls und des Klimaschutzes schenken. Äääh, schenken klingt blöd! Weglassen ist besser. Aber stimmt das eigentlich?

Nein, stimmt nicht. Schokolade ist nämlich als Fastenspeise höchst-päpstlich erlaubt. Und das kam so: Ursprünglich ist Xocolatl ein Getränk der alten Mayas und Azteken. Kein Wunder also, dass

auch deren Nachfahren in Mexiko dieses Getränk – unsere heutigen festen Schokoladentafeln waren noch nicht erfunden – äußerst gern zu sich nahmen. Allein schon wegen der aphrodisierenden Wirkung, die mit den Kakaobohnen in Verbindung gebracht wird. Wer sich das nicht vorstellen kann: Der Film „Chocolate – ein kleiner Biss genügt“ ist nicht nur ein Märchen für Erwachsene, sondern auch ein Lobgesang auf die Wirkung der Schokolade…, wenn sie denn richtig zubereitet wird. Als Fastenspeise in mexikanischen Klöstern erscheint sie in der Rückschau wenig geeignet. Nichtsdestotrotz: In Mexiko entbrennt im 16. Jahrhundert ein Streit, ob denn nun Xocolatl als Fastenspeise gilt oder nicht. Mexikanische Ordensfrauen sind sich sicher: In den vom Konzil von Trient enthaltenen verschärften Vorschriften für Orden gibt es zwar eine Reihe von Fastengeboten. Xocolatl wird dort aber nicht erwähnt. Dass man in Trient zu diesem Zeitpunkt vermutlich gar keine Xocolatl kannte, war den Damen natürlich egal. Anders ein mexikanischer Bischof: Der ist sich sicher, dass auch Xocolatl dem Fasten entgegensteht und verbietet das Getränk. Sein Verbot überlebt er allerdings nicht allzu lang: Da hat ihm wohl irgendjemand etwas ins Essen gemischt, was da eigentlich nicht hingehört. Ob die Klosterdamen etwa…? Ein Schwein, wer Böses dabei denkt.
Klar ist: Die Mexikaner kommen allein nicht mehr weiter. Also schicken sie 1569 einen Gesandten zu Papst Pius V., der entscheiden soll: Darf Xocolatl nun während der Fastenzeit getrunken werden oder nicht? Pius jedoch hat gerade ganz andere Sorgen: Er ist nämlich dabei, einen Kreuzzug zu planen. Da stört die mexikanische Anfrage nur. Xocolatl? Kennt er nicht. Schlauerweise hat der mexikanische Gesandte welche mitgebracht, bereitet sie zu und übergibt dem Papst eine Schale. Was dann kommt, kann man sich richtig bildlich vorstellen: wie der Papst, wegen der Störung seiner Kreise eh schon wenig amused, an der Flüssigkeit schnuppert, einen kleinen Schluck probiert, merkt, wie bitter das Zeug ist und es angewidert wieder ausspuckt. Oder so ähnlich. Überliefert ist in jedem Fall die Aussage: „Potus iste non frangit jejunum!“ – „Dieses Getränk bricht das Fasten nicht!“ Danke schön. Genau das wollte man hören. Nur am Rande sei vermerkt, dass den mexikanischen Ordensfrauen die Original-Xocolatl auch zu bitter war. Aber wenn sie den gerösteten Kakaobohnen eine erkleckliche Menge Rohrzucker und vielleicht ein paar Vanilleschoten beigaben, änderte sich ja an der Grundaussage nichts: Potus iste non frangit jejunum. Nach dem Zusatz von Zucker hatte niemand gefragt. Es ging ja um Xocolatl, um die Kakaobohnen…

Was die Damen damals spürten, wir heute aber längst wissen: In Xocolatl und auch in unserer modernen Schokolade sind Phenylalanin und Serotonin enthalten. Also Stimmungsaufheller, die in der dunklen Jahreszeit fast schon eine medizinische Notwendigkeit darstellen. Oder leiden Sie etwa nicht am Winterblues? Na also! Außerdem argumentierten die mexikanischen Ordensfrauen: Xocolatl helfe auch bei der Schwäche des Magens. Also bitte! Wer hat die nicht?
Als Mönche in Guatemala herausfinden, wie sie Schokolade verfestigen und Tafeln herstellen können, setzt die Schokolade zu ihrem Siegeszug um die Welt an. Was nun auch in der alten Welt zu einer Art Schokoladenstreit führt: Während die Dominikaner Schokolade wegen ihrer aphrodisierenden Wirkung verdammen, sind die Jesuiten dafür. Natürlich ist es nur ein Zufall, dass die Gesellschaft Jesu, wie die Ordensgemeinschaft der Jesuiten offiziell heißt, den Kakaohandel dominiert und an jeder Kakaobohne verdient. Ob das der Grund ist, dass weitere Päpste die Entscheidung von Pius V. bestätigten? Genaueres verliert sich in den Wirren der Geschichte…

Fazit: Schokolade ist auch in der Fastenzeit erlaubt, und das höchst-päpstlich! Wegen der enthaltenen Wohlfühlhormone ist sie fast schon medizinisch indiziert, in jedem Fall also fast schon lebensnotwendig. Und wenn man die Schokolade ganz bewusst isst, verhält man sich durchaus im Sinne des religiösen Fastens: sich einer Sache bewusstwerden und dann entsprechend handeln. Außerdem sind es eh nicht die Kakaobohnen, die ansetzen, sondern der Zucker. Je weniger Zucker, desto besser. Desto gesünder. Desto Fastenzeit-konformer.

Mit dem Bier ist das eine ähnliche Sache: Weil die Mönche damals in der Regel auch Selbstversorger waren, also abgesehen vom Beten auch in Klostergärten und auf umliegenden Äckern harte körperliche Arbeit leisteten, mussten sie sich – Fastenzeit hin oder her – auch kalorienreich ernähren. Ohne Sprit fährt auch der preiswerteste Wagen nicht! Und weil die alten Mönche ihre eigenen Bierbrauer waren, ging das mit dem Input ziemlich leicht: Bereits im Mittelalter brauten sie passend zur Fastenzeit ein besonders kalorienreiches Bier. So lässt sich die ansonsten stark reduzierte Kalorienzufuhr prächtig ausgleichen. Wer sich also bislang gewundert hat, warum die Starkbierzeit mit der Fastenzeit beginnt, hat hier seine Antwort.
Übrigens: Zumindest der Legende nach gab es auch für dieses gehaltvolle Bier, das auch als Bockbier und Doppelbock bekannt ist, einen päpstlichen Segen. Wenn Sie Lust haben, können Sie ja einmal einen Selbstversuch starten: ein Fass voller Bier auf einem Eselskarren durch winterliche Kälte, ungeschützt gegen Fröste, dann durch die italienische Frühjahrssonne und vor allem: kräftig geschüttelt, nicht gerührt! Um es vorwegzunehmen: Trinken können Sie diese Plörre nicht mehr. Als der Papst von diesem Bier kostete, soll er sogar die Leidensfähigkeit der bayerischen Mönche gelobt haben. Dass ein Braumeister in Kulmbach später sogar absichtlich Starkbier ausfrieren ließ und auf diese Weise einen herrlichen Eisbock erzeugte, konnte damals noch niemand ahnen…
Leider gilt hier: In der Fastenzeit wird Ihre Leidensfähigkeit nicht dadurch geprüft, dass Sie möglichst viel von einem bitteren Bier des Mittalters trinken, sondern dadurch, dass Sie es weglassen. Merke: Beim Bier hilft die offizielle Genehmigung durch den Heiligen Vater überhaupt nicht weiter. Sich bewusst für eine Umkehr im eigenen Leben entscheiden – mit dickem Kopf und Gehirnnebel gelingt das vermutlich eher nicht.

Falls Sie es einfach nicht schaffen, in der Fastenzeit von bestimmten Dingen die Finger zu lassen, habe ich Trost für Sie: Sie sind damit nicht allein. Immer schon haben sich Menschen etwas einfallen lassen, um sich selbst und den lieben Gott hinter das Licht zu führen. So haben Zisterziensermönche im Schwäbischen das in in der Fastenzeit verbotene Fleisch kleingehackt, mit Gemüse gemischt und mit einem dicken Teig ummantelt. Frei nach dem Motto: Was nicht zu sehen ist, ist bestimmt auch nicht da. Aus diesem Grund heißt die schwäbische Maultasche im Volksmund auch „Herrgottsb’scheißerle“. Ehrlich ist er schon, der Volksmund. Dabei hätten die frommen Männer wissen müssen: Wenn der Volksmund das weiß, weiß das der liebe Gott auch. Denn der sieht bekanntlich alles…
Und durchschaute garantiert auch den Trick eines Kardinals: Der taufte nämlich angeblich ein leckeres Schwein auf den Namen „Karpfen“. Sie ahnen es: Karpfen gleich Fisch. Und Fisch in der Fastenzeit ist ja erlaubt. Überhaupt: Da Fische und Vögel laut biblischer Schöpfungserzählung am selben Tag erschaffen wurden, … Den Rest können Sie sich denken.

Seitens der Kirche ist klar: Alles, was aus Mehl besteht, ist Fastenspeise. Das gilt dann nicht nur für Fladen, sondern auch für Dampfnudeln und Kaiserschmarrn. Und sogar für Pizza, wenn man den richtigen Belag wählt. Brezel zum Starkbier? Ja klar! Wer sich an die Theorie hält, ist bezüglich der kirchlichen Vorschriften fein raus. Schließlich ist man ja rege und findig. Mit Fasten und dem eigentlichen Sinn der Fastenzeit, der Bewusstmachung und der Umkehr, hat das aber dann nichts mehr zu tun. Und dass sich ihre Speckröllchen umkehren, sprich: schrumpfen, passiert garantiert auch nicht.

Womit nun endlich klar wird: Die Fastenzeit hat etwas mit dem eigenen Kopf zu tun. Aber nicht damit, welche Schlupflöcher und Hintertürchen Sie finden. Sondern damit, dass Sie es ehrlich mit sich selbst meinen. Und wirklich etwas in Ihrem Leben verändern wollen. Nur dann haben Sie etwas davon. Ansonsten geht der ganze Katzenjammer demnächst von Neuem los. Spätestens nach den gebrochenen Neujahrsvorsätzen im nächsten Jahr.

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