Die Scorpions, Tag der Deutschen Einheit und Erntedank (3. Oktober)
Frage an die Älteren unter uns: Wo waren Sie am 3. Oktober 1990? Sie wissen es nicht mehr? Kleiner Tipp: Schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer rund um das Brandenburger Tor, Menschen, die glückstrunken auf der Berliner Mauer tanzen, andere, die sich in ganz Deutschland in den Armen liegen. Na, erinnern Sie sich?
Wer jetzt gleichgültig oder gelangweilt mit den Schultern zuckt, hat entweder
Ende der Teilung Deutschlands
ein schlechtes Gedächtnis, oder ist schlichtweg zu jung, um sich an die Teilung Deutschlands zu erinnern. Mittlerweile ist ja eine ganze Generation ohne diese „Teilungserfahrung“ aufgewachsen. Deshalb also an dieser Stelle: Als die Führung der DDR am 3. Oktober 1990 den Vertrag zum Beitritt der DDR zur Bundesrepublik unterschrieb, ging eine 45jährige Teilung Deutschlands zu Ende. Eine Teilung, die Familien zerriss, manchmal Straßenseiten voneinander trennte, ja sogar einzelne Bauernhöfe in zwei Teile zerschnitt. Eine Teilung, die für die meisten Menschen unüberwindlich war. Von denjenigen, die trotzdem die Sperrmauern zu überwinden versuchten, bezahlten das etliche mit ihrem Leben. Konsequent ersetzt der 3. Oktober als Freude über das Ende der Teilung die beiden Feiertage, die es vorab in den beiden Teilen Deutschlands gegeben hatte: den 17. Juni im Westen als Erinnerung daran, dass 1953 Freiheitsbestrebungen im Osten im Keim erstickt wurden, und den 7. Oktober, der in der ehemaligen DDR als „Tag der Republik“ gefeiert worden war.
Nationalhymne
Wer heute die deutsche Nationalhymne mitsingt, merkt sofort: Am Anfang steht das Wort „Einigkeit“, erst dann folgen „Recht und Freiheit“. Noch einen Schritt später folgt quasi der Adressat, also der, auf den sich das Ganze bezieht: Einigkeit und Recht und Freiheit nämlich „für das deutsche Vaterland“. Eine ganz bewusste Reihenfolge, die der Text hier liefert.
So, wie sich die Gründungsväter der Bundesrepublik erhofft hatten, ist die Einigkeit erreicht: Dass die deutsche Spaltung überwunden wurde, ist vor allem dem Wandel im Ostblock mit Perestroika und Glasnost zu verdanken. Wenn es so etwas gibt wie einen ewigen Dank, dann gebührt der Michail Sergejewitsch Gorbatschow, damals Präsident der UdSSR und damit
Michail Gorbatschow… und auch Ronald Reagan
der Schutz- und Kontrollmacht der DDR. Da konnte der damalige US-Präsident Ronald Reagan bei seinem Besuch West-Berlins am 12. Juni 1987 noch so vehement fordern: „Mr. Gorbachev, open this gate. Mr. Gorbachev, tear down this wall!” – ohne die Einwilligung Gorbis, wie er voller Dankbarkeit und Liebe genannt wurde, hätte es die deutsche Wiedervereinigung nicht gegeben.
Vorbilder für ihre Nachfolger
Eine Wiedervereinigung, die für eine Reihe von Jahren sogar das Ende des Kalten Krieges zwischen Ost und West bedeutete. An die Bushs, Clintons, Obamas, Trumps, Bidens, an die Jelzins, Medwedew und Putins dieser Welt gewandt, muss man wirklich sagen: Ihre Vorgänger haben Großartiges geleistet für den Frieden in unserem Land, in Europa und in der Welt. Und jeder Erstklässler versteht: Wenn ich von einem „Kuchen“ weniger Geld in die Rüstung stecke, bleibt viel mehr für das eigene Volk übrig. Insofern war das Ende des Kalten Krieges auch eine Maßnahme, die den kleinen Leuten, im Westen, wie auch im Osten, zugutekam. Den kleinen Leuten! Nicht nur den Rüstungsfabrikanten!
Hans-Dietrich Genscher: der Genschman
Rückblicke im TV machen das, was 1990 geschah, wieder lebendig. Und lösen dieselben Emotionen aus wie damals: Wie der unvergessene Hans-Diedrich Genscher vom Balkon der Prager Botschaft Hunderten, die sich dorthin geflüchtet hatten, endlich verkünden konnte: „Ich bin zu Ihnen gekommen, um Ihnen zu mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise…“ Der Rest ging in einem gigantischen Jubel unter. Dass der „legendäre Genschman“ Tage vorher, völlig unüblich, mit Blaulicht und Sirene in einem Polizeiwagen quer durch New York zur russischen Botschaft gefahren war, dass er dort die Hilfe des sowjetischen Außenministers Eduard Schewardnadse erbat, um in der Prager Botschaft eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, dass der Georgier
Mit dem Polizeiwagen durch New York
seine Unterstützung zusagte, entsprechende „Anweisungen“ Richtung Erich Honecker und Co gab und damit den Anstoß zur deutschen
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Das den Friedensgebeten und Montagsdemos in Leipzig und anderen Orten der DDR neuen Auftrieb gab. Und letztlich am 9. November 1989 zu einer weltweit übertragenen Pressekonferenz führt, bei der DDR-Politbüro-Mitglied Günter Schabowski um 18.53 Uhr einen Zettel aus der Tasche zieht und, wie es scheint, ohne den Inhalt genau zu kennen oder zu verstehen, die unverzügliche Öffnung der DDR-Grenze Richtung Westen mitteilt. 9. November 1989, 18.53 Uhr – ein Datum für die Geschichtsbücher. Bis dann alle Fragen geregelt sind, wie sich die Wiedervereinigung rechtlich gestaltet, dauert es noch ein bisschen. Aber das ist egal. Was neben der Einheit selbst bleibt ist auch die Reihung derer, die anscheinend Unmögliches Wirklichkeit werden lassen: Superman, Batman und Spiderman… und eben der Genschman!
Die Perversion der Gegenwart
Damals ist der Geist der Veränderung in Europa ist überall spürbar. Alle Menschen sind Schwestern und Brüder – nie war dieser Gedanke so real wie in dieser Zeit. Als dann endlich die deutsche Wiedervereinigung vollzogen ist, mischen sich Kirchenglocken in den Jubel der Menschen. Als Dankgebet, dass die Unfreiheit überwunden ist. Aber auch als Mahnung, dass Freiheit immer in Gefahr steht, wieder verloren zu gehen. Wie wir es wenige Jahrzehnte später tatsächlich wieder erleben. Da zählen schlagartig nicht mehr „die kleinen Leute“, da sind die Gewinne der Mächtigen und Großen wieder wichtiger: Mit Parolen wie „Make America great again!“, mit „Make Britain great again“ und mit „Wir holen uns unser Land zurück“ pervertiert die Politik die Errungenschaften, die die Welt rund um das Jahr 1990 ausgezeichnet hat.
Armselig, kleingeistig, narzisstisch und egoistisch
Während Ronald Reagan noch das Einreißen der Mauer in Deutschland forderte, beginnt ein ihm nachfolgender US-Präsident mit unglaublich viel Geld den Bau einer neuen Mauer, ein anderer anti-europäischer Präsident vertieft den natürlichen Wassergraben rund um seine Insel durch politische Alleingänge. Wie arm und klein ist das doch gegenüber der Größe, die die Politiker in Ost und West rund um das Jahr 1990 aufwiesen! So arm, dass diese Totengräber von Demokratie, Freiheit, Frieden und Engagement für die „kleinen Leute“ hier nicht namentlich benannt werden. Ist ihre Art der Politik noch „narzisstisch“ oder ist das schon „narr-zistisch“? Die Antwort wird die Geschichte geben!
Wind of Change
Als am 3. Oktober 1990 feiert nicht nur Deutschland. Aber Deutschland feiert ganz besonders. Eben mit einem schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer rund um das Brandenburger Tor, mit Menschen, die glückstrunken auf der Berliner Mauer tanzen, Wildfremden, die sich in ganz Deutschland in den Armen liegen. Während sich unvergessliche Szenen abspielen, wird ein Song zur Begleitmusik der bewegenden Fernsehbilder zum 3. Oktober 1990: “Wind of Change“ von den Scorpions ist immer und immer wieder zu hören. Der Song konserviert die Gefühle und Emotionen, die mit der Überwindung der deutschen Spaltung verbunden sind. Wie nichts Anderes in diesem Moment trifft der Song eben den Puls der Zeit. Nicht speziell den der Wiedervereinigung.
Scorpions in der Sowjetunion
Denn damit hat der Song nur indirekt zu tun. Bereits im Jahr zuvor nahmen die Scorpions bei ihrer Tour durch die Sowjetunion die gewaltigen Veränderungen wahr, die Perestroika und Glasnost bewirkten: ein Wandel, der den gesamten Ostblock ergriff, der den Kalten Krieg beenden und die deutsche Wiedervereinigung möglich machen sollte. Ein Geist der Veränderung, der Europa durchzieht, ein Geist, der klarmacht, dass eben alle Menschen Brüder sind, so der Song. Gemeinsam mit den Kirchenglocken wird „Wind of Change“ zu einem Danklied, dass der Fluch der Diktatur überwunden ist. Und zu einer musikgewordenen Erinnerung daran, dass auch jenseits des Vorhersehbaren Träume Wirklichkeit werden können.
Bullshit, Mr. Hasselhoff!!!
Nur am Rande: Baywatch-Schauspieler David Hasselhoff behauptet, anfangs erst augenzwinkernd, dann nicht mehr ernstzunehmend, sein „Ive been looking for freedom“ habe zum Fall der Mauer beigetragen. Bullshit, Mr. Hasselhoff. Der Song handelt von einem Jüngling, der zwar in einem reichen Elternhaus auswächst, stattdessen aber lieber durchs Land zieht und sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser hält. Ob er dabei auch als Strandwächter, als Baywatcher, arbeitet, ist nicht überliefert. Das hatte Marc Seaberg auch gar nicht im Sinn, als er den Song bereits 1979 aufnahm. Von wegen „Hasselhoffs Song“. Nur eine Neueinspielung des Originals! Ohne besonderen politischen Gehalt. Und sicher völlig losgelöst von der Wiedervereinigung Deutschlands. Das gilt bei Tony Marschall und seiner im selben Jahr veröffentlichten deutschen Version „Auf der Straße nach Süden“ übrigens genauso.
Feiertag festgelegt im Einigungsvertrag
Soweit Arbeitnehmer nicht im Service, Gesundheits- und sonstigen Bereitschaftsdiensten beschäftigt sind, haben diese in diesem Jahr ein wenig Pech: Denn in diesem Jahr fällt der Tag der Deutschen Einheit wieder einmal auf einen Sonntag, zum fünften Mal seit seiner Einführung. Das Ereignis selbst war den Unterzeichnern des Vertrags wichtiger als der alle paar Janre entfallende „arbeitsfreie Tag unter der Woche“. Schon am 22. August 1990 stimmte das Parlament der DDR der Selbstauflösung, dem Einigungsvertrag mit der Bundesrepublik und dem darin beschrieben Beitritt zu. In Artikel zwei, Absatz zwei des Einigungsvertrags wird der 3. Oktober zum staatlichen Feiertag, zum „Tag der Deutschen Einheit“, bestimmt.
Deshalb verliert der 3. Oktober in diesem Jahr zwar seinen Titel als „letzter bundesweiter Feiertag vor Weihnachten“ an den Pfingstmontag. Aber schon im nächsten Jahr, das steht fest, wird er ihn sich wieder zurückerobern. Und wird ihn bis einschließlich 2026 erfolgreich verteidigen, falls Sie soweit vorausplanen möchten.
Erntedank
Weil wir es vorhin schon von den Kirchenglocken hatten, sei wenigstens am Rande daran erinnert: Üblicherweise begeht die Katholische Kirche den ersten Sonntag im Oktober – und damit den heutigen Tag – als Erntedankfest. Da ist es Brauch, Gott für die eingebrachte Ernte, für „seine guten Gaben“ zu danken. Ein Brauchtum, dass in früheren, bäuerlicheren Zeiten in unserer Gesellschaft wohl eine größere Bedeutung hatte als heute. Möglicherweise steht diesem Fest in Zukunft eine Renaissance bevor. Denn so ganz langsam begreifen auch die letzten bei uns, dass der Strom nicht aus der Steckdose, die Milch nicht vom Kühlregal stammt.
Die Ernte einfahren – auch in Sachen Umwelt
Wir leben in Zeiten, in denen uns unsere Umwelt dazu zwingt, sie wichtiger zu nehmen und ernster mit ihr umzugehen, als wir das zuletzt getan haben. Und der „Geist der Veränderung“, dieses Mal in Sachen Umwelt, ist schon spürbar. Weltweit übrigens, wenn auch noch nicht bei jedem. Vielleicht sollten wir den anstehenden Veränderungen in Sachen Umweltschutz genauso offen gegenüberstehen wie die Menschen vor rund 30 Jahren der Wiedervereinigung. Denn auch wenn die Inhalte unterschiedlich sind, gilt bei beiden: Irgendwann fährt man die Ernte für seine Arbeit ein, für sein Durchhalten, für seine Bemühungen. Deshalb ist der heutige 3. Oktober so oder so ein Tag, an dem wir feiern und danken können.
Momentaufnahmen, kurze Episoden in den Medien, flüchtige Eindrücke – und alles rauscht einfach vorbei? „Auch das noch“ zeigt die Skripte (leicht überarbeiteter) Rundfunkbeiträge aus dem öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk. Manche wurden sogar speziell für Heaven On Air geschrieben. Frei nach dem Motto: einfach mal einen Moment innehalten.
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