Drücken Sie Enter, um das Ergebnis zu sehen oder Esc um abzubrechen.

Gerhard Stanke, Generalvikar im Bistum Fulda (2008-2019)

Kameras sind unerbittlich. Aber sie zeigen nur das, was „vor den Kulissen“ passiert. Was er mit seinen Gästen „hinter den Kulissen“ und „abseits der Kameras“ erlebt hat, erzählt Moderator Klaus Depta hier. Zum Beispiel mit

Gerhard Stanke, Generalvikar im Bistum Fulda (2008-2019)

Bei vielen Streitkräften ist ein General der ranghöchste Dienstgrad. Und nicht selten ist ein General Oberbefehlshaber der Truppen. Er entscheidet, was wann und wo passiert. In der katholischen Kirche ist das ähnlich, wenn auch nicht genauso. Denn die katholische Kirche bleibt eng bei der Etymologie des Wortes: So bedeutet das lateinische Wort „generalis“ soviel wie „allgemein“, während das Wort „vicarius“ am besten mit „Statthalter“ oder „Stellvertreter“ wiedergegeben wird. Insofern ist der Generalvikar nicht der Oberbefehlshaber oder der Letztentscheider in einem Bistum, sondern der Stellvertreter des Bischofs in allen anfallenden Dingen. Der Generalvikar ist das Alter Ego des Bischofs. Er leitet die bischöfliche Behörde, die Verwaltung eines Bistums. Eine Zweiteilung, wie sie ebenfalls bei Militär zu finden ist: Da ist der Kompaniechef Letztverantwortlicher eben einer Kompanie, während sein Spieß für die Verwaltung und die inneren Abläufe zuständig ist. Oder etwas weniger genau, dafür aber bildhaft formuliert: Der Bischof ist der Kapitän, der Generalvikar eine Art „Innenminister“. Ernannt wird ein Generalvikar von seinem jeweiligen Bischof. An ihn ist das Amt so eng gekoppelt, dass es mit der Emeritierung des Bischofs oder seinem Tod erlischt.

Von 2008 bis 2019 war Gerhard Stanke Generalvikar des Bistums Fulda. Ein Mann mit einer bewegten Lebensgeschichte: Geboren 1945 in Oberschlesien fiel sein Geburtsort nach dem Zweiten Weltkrieg an die Tschechoslowakei, was zu einer Vertreibung vieler Deutschen führte. Stankes Familie kam 1946 nach Osthessen, wo Gerhard Stanke sein Abitur absolvierte, später in Königstein, München und Fulda Theologie und Philosophie studierte, letztlich 1980 in Würzburg in Moraltheologie promoviert wurde. 1971 erhielt er die Priesterweihe, wurde 1980 zum Regens (= Leiter) des Bischöflichen Priesterseminars in Fulda ernannt und blieb dies bis 2002. Zwischen 1991 und 2004 war er zudem ordentlicher Professor für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät in Fulda.

Die wohl schwierigste und kräftezehrendste Aufgabe übernahm er 2002: Damals wurde er Vorsitzender des „Arbeitsstabes für die Prüfung von Vorwürfen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Geistliche“, war später weiterhin Mitglied dieses Gremiums. Ein furchtbarer Titel für einen Arbeitskreis, der weitaus furchtbarere Missstände aufdecken sollte. Für Stanke eine Aufgabe, die an die Substanz ging: Denn wenn es bislang auch im Bistum Fulda im Vergleich zu anderen Institutionen und Einrichtungen verhältnismäßig wenig Fälle sexuellen Missbrauchs durch Priester gab – um sogleich Vorwürfen entgegenzutreten: Jeder Fall ist einer zu viel! – , so waren diejenigen, deren Taten nun aufgedeckt wurden, zum Teil eben Menschen, denen Gerhard Stanke in seiner Zeit als Regens des Priesterseminars begegnet war. Menschen, die auch er ausgebildet und betreut hatte.

Wenn man eines über ihn sagen kann: Er ist ganz sicher ein Mann, der an das Gute im Menschen glaubt, an dessen Aufrichtigkeit, an seine ehrlichen Absichten. Wer ihn kennt, glaubt ihm, dass er Missbrauch verurteilt, aber ihm auch hilflos gegenüber steht. Männer wie Gerhard Stanke haben lange geglaubt, dass sie jemandem ins Gewissen reden können und ihn dadurch ändern. Zu stark war der Glaube an den Gehorsam, gerade auch im System Kirche. Zu wenig erforscht die Zusammenhänge, das man heute wie selbstverständlich nutzt, früher aber nicht kannte: dass es sich zum Beispiel bei Pädophilie um eine schwere Störung handelt, die eben nicht durch das Einfordern von Gehorsam in den Griff zu bekommen ist. Welche Enttäuschung, wenn jemand, dem man sein Vertrauen geschenkt hat, den man über Jahre kannte, dessen Werdegang man verfolgt, begleitet und gefördert hat, plötzlich „als anderer Mensch enttarnt“ wird, wenn klar wird, dass „dieser nette Kerl“ schreckliche Handlungen begangen hat. Taten, die anderen Menschen einen lebenslangen Schaden zugefügt haben. Vorkommnisse, von denen man nichts geahnt hat. Gerhard Stanke zu lesen, in seinen Gesichtszügen nach Emotionen zu suchen, ist schwierig, nahezu unmöglich. Beim Pokern gäbe er mit seinem Gesichtsausdruck eine gute Figur ab. Im Zusammenhang mit der Aufdeckung von Missbrauchsfällen war die ehrliche Erschütterung deutlich ablesbar.

Die Frage bleibt: Wie mag es in einem Menschen aussehen, dem quasi der Boden unter den Füßen, das Selbstverständnis für menschliches Zusammenleben – und dazu gehört unabdingbar die Aufrichtigkeit, aber auch der in Hierarchien so wichtige Aspekt des Gehorsams – entzogen wird? Wie mag ein Mensch fühlen, der vor Enttäuschung, vor Wut „kotzen möchte“, sich aber in der Öffentlichkeit äußerst bedacht, diszipliniert äußern muss? Es gehört zu den Spezifika von Gerhard Stanke, dass er über die Dinge, die in ihm vorgehen, nicht spricht, dass er davon nichts in der Öffentlichkeit zeigt.

Mit Gerhard Stanke verband mich über Jahre eine intensive Arbeitsbeziehung. Mit ihm leitete jemand die Bischöfliche Behörde, der zwar nicht per se auf Neues ansprang, aber der offen für Neues war. Trug man ihm einen Vorschlag mit Überzeugung vor und konnte er erkennen, dass die vorgetragene Idee nicht nur einem schnellen Gedanken entsprang, sondern mit ganzer Tatkraft umgesetzt werden würde, war er zwar selten gleich Feuer und Flamme. Dazu hätte er sein Pokerface fallen lassen müssen. Aber sein „Nun gut, probieren wir es mal“, war oft genug das erhoffte „Go“, auf das sich andere Vorgesetzte vielleicht nie eingelassen hätten.

Gerhard Stanke ist ein Mann des Ausgleichs. Einer, der immer nach tragbaren Kompromissen sucht. Eine sehr enge Mitarbeiterin Stankes brachte es einmal auf den Punkt: „Stanke will immer runde Ecken machen. Immer!“ Runde Ecken? In der Funktion eines Behördenleiters kann dies dazu führen, dass nicht jede Sachentscheidung tatsächlich ausschließlich von der Sache her bestimmt ist.

Ein Tipp: Natürlich können Sie sich in den Archiven des Hessischen Rundfunks und des Deutschlandfunks Ansprachen von Gerhard Stanke anhören. Leider zwängen ihn da die Formalia des Rundfunks oftmals mehr ein, als seinen Gedanken guttut. Deshalb: Wenn Sie – nach Corona – die Gelegenheit dazu haben sollten, besuchen Sie einen Gottesdienst oder eine andere Veranstaltung mit Gerhard Stanke. Er ist ein begeisternder Prediger und Redner, der besonders dann die Herzen der Menschen trifft, wenn er frei, ohne formale Zwänge sprechen kann. Seine Impulse sind im wahrsten Sinne des Wortes bedenkenswert, seine vorsichtig formulierten Ratschläge hilfreich, seine einzelnen Gedanken immer eine Bereicherung. Er ist einfach einer, dem man gerne zuhört. Sehr gerne.

Kommentare

Hinterlassen Sie ein Kommentar