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Vaughan, Stevie Ray – Crossfire

Jimi Hendrix, Eric Clapton, Jeff Beck – die Frage nach dem besten Gitarristen der Welt ist nicht leicht zu beantworten. Wie so oft im Leben hängt auch diese Bewertung vom jeweiligen Standpunkt ab. Und auch die Zeit, in der man lebt, spielt eine wichtige Rolle.

Einer der besten: Stevie Ray Vaughan

Denn die entscheidet maßgeblich darüber, welchen dieser Gitarristen man möglicherweise sogar schon einmal live erlebt hat. Immerhin steht nachweislich fest: Immer wenn von d e n besten Gitarristen der Welt die Rede ist, wird neben Hendrix, Clapton oder Beck ein weiterer Gitarrenhero genannt: Stevie Ray Vaughan. Die Zeitschrift Guitar World bezeichnete ihn als achtbesten Gitarristen der Welt, das Musikmagazin Rolling Stone, für manchen so etwas wie eine Bibel des Rock, stufte Vaughan 2003 als siebtbesten Gitarristen der Rockgeschichte ein. Und das will eine Menge heißen.

Früh übt sich…

Schon mit neun Jahren griff Stevie Ray Vaughan zur Gitarre – ganz sicher ein Verdienst von Stevie Rays zwei Jahre älterem Bruder Jimmie, der schon damals als versierter Gitarrist galt. Mit 14 startete Stevie Ray eine lokale Clubkarriere, die aber nach kurzer Zeit stagnierte. Unbedingt wollte Stevie Ray in die Fußstapfen des „großen Bruders“ treten, schmiss mit 17 Jahren die Schule und folgte Jimmie nach Austin, Texas, wohin es seinen Bruder ein Jahr zuvor verschlagen hatte. In der dortigen aufstrebenden Bluesszene, wo Jimmie bereits Fuß gefasst hate, konnte sich auch Stevie Ray etablieren und spielte in verschiedenen Formationen.

Besser als Bruder Jimmie

Hier überflügelte er auch seinen älteren Bruder Jimmie: Denn mit der nach verschiedenen Umbesetzungen und Namenswechseln 1979 entstandenen Band „Double Trouble“. Danach ging alles ganz schnell: Mitglieder der Rolling Stones flogen Stevie Ray & Double Trouble nach New York ein, wo sie bei einer Party im Danceteria Club spielen sollten. In einem Club in Austin hörte Jerry Wexler, ehemaliger Billboard-Journalist, selbst Bluesmusiker und späterer Mitinhaber von Atlantic Records, die Band. Ihm gelang das Kunststück, Stevie Ray Vaughan & Double Trouble einen Platz im Line Up des Montreux Festivals 1982 zu sichern. Damit war die Gruppe die erste Band, die auf diesem Festival spielte, ohne eine eigene Platte veröffentlicht zu haben. Für Stevie Ray Vaughan war das Festival der berühmte Türöffner:

SRV und David Bowie

Unter den Zuhörern befand sich David Bowie , der Vaughan bat, bei

seiner Serious Moonlight Tour teilzunehmen, die 1983 Bowies Album „Let’s Dance“ featurte. Auf dem Album, eines der kommerziell erfolgreichsten Alben Bowies, ist Vaughan bei sechs Titeln zu hören. Äußerst kurzfristig sagte er seine Teilnahme an der Tour jedoch wieder ab. Er hatte seine eigene Karriere unmittelbar vor sich, so angeblich Bowie später fast schon anerkennend zur Absage.

Jackson Browne

Jackson Browne, ebenfalls in Montreux im Auditorium, bot Vaughan spontan kostenfrei sein „Down Town“-Aufnahmestudio an. Einen Schritt weiter ging John Hammond, immerhin Entdecker von Count Basie, Bob Dylan, Aretha Franklin und Bruce Springsteen, um nur einige zu nennen: Er nahm Stevie Ray Vaughan & Double Trouble für den Major CBS unter Vertrag und kümmerte sich höchstpersönlich als ausführender Produzent um das Debutalbum der Gruppe, das 1983 unter dem Titel „Texas Flood“ erschien. „Couldn’t Stand The Weather“ folgte 1984, verstärkt um Keyboarder Reese Wynans veröffentlichte die Band 1985 das dritte Album, „Soul To Soul“.

Tourstopp wegen Drogen und Alkohol

1986 tourte die Band, darunter auch in Deutschland. Hier wurden die Drogen- und Alkoholexzesse von Stevie Ray Vaughan überdeutlich sichtbar: Nach einem Zusammenbruch Vaughans musste die Tour abgebrochen werden. Vaughan stellte sich seiner Sucht und begab sich in den Entzug. Zwischenzeitlich veröffentlichte CBS das Doppelalbum „Live Alive“.

Nach der Entziehung: In Step

1989 meldete sich Stevie Ray Vaughan als „geheilt“ zurück. Im Album „In Step“ stellt sich der Gitarrist auch musikalisch seiner Sucht, verarbeitet auch die Zeit des Entzugs: Bereits der Albumtitel spielt auf das Entzugsprogramm für Alkoholiker an, nach dem zwölf Schritte notwendig sind, um die Sucht zu überwinden. Die Songs selbst widmen sich den Zwängen des Lebens, die zu Alkoholmissbrauch führen können.

Reflexion: Crossfire

In „Crossfire“ beschreibt Stevie Ray Vaughan auch ein Stückweit sein eigenes Scheitern an der Welt des Showbiz:

„Tag für Tag, Nacht für Nacht,
geblendet von den Neonlichtern,
Eile hier, Hektik da,
niemand kann Zeit erübrigen.
Das Geld ist knapp, nichts ist umsonst
Will denn niemand kommen und mich retten?
Ich bin gestrandet, gefangen im Kreuzfeuer.“

Verzweiflung

Deutlich spürbar wird die Verzweiflung, die ein Abhängiger erlebt, spürbar auch die Einsamkeit. Und vor allem: die Enttäuschung, dass sich manche Dinge ganz anders entwickeln, als man das ursprünglich erwartet hat:

„Zahn um Zahn, Auge um Auge,
Verkaufe deine Seele nur um zu kaufen, kaufen, kaufen
Du bettelst um einen Dollar, stiehlst ein Zehncentstück.
Ich brauche ein bisschen Freundlichkeit,
ein bisschen Mitgefühl.“

Auf den Kopf gestellt

Doch das alles scheint der Protagonist nicht zu bekommen. Im Gegenteil: Empathie ist nicht angesagt. Jeder kümmert sich nur um sich selbst, hat kein Interesse am Schicksal der anderen. Am Ende bleibt bittere Enttäuschung, weil sich alle Ideale ins Gegenteil zu verkehren scheinen:

„Rette die Starken, lass die Schwachen untergehen.
Halte nie die andere Wange hin.
Trau niemandem! Sei kein Narr
Was ist nur aus der goldenen Regel geworden?“

Auge um Auge, Zahn um Zahn

Nahezu unbemerkt enthält „Crossfire“ einige religiöse Versatzstücke und Bibelzitate: Das alttestamentliche „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ hat etwas mit gerechter Vergeltung zu tun: Wenn jemand schwerwiegende Fehler macht, dann ist es gerechtfertigt, dass er entsprechend dieser Fehler bestraft wird. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird jedoch zumeist übersehen, dass es sich auch um eine Begrenzung des Strafmaßes handelt: Es darf allenfalls Gleiches mit Gleichem vergolten werden. Ausgeschlossen ist es zum Beispiel, nach dem – bildlichen – Verlust eines Auges dem Verursacher das Leben zu nehmen.

Bergpredigt

Die Vorstellung, dass sich Jesus und damit auch seine Nachfolger, sprich: das Christentum den Schutz der Schwachen auf die Fahnen geschrieben hat, wird ad absurdum geführt. Der Protagonist im Song erlebt in seiner Not das genaue Gegenteil: Diejenigen, die eh stark genug sind, um für sich selbst zu sorgen, sind angesehen und werden vielleicht sogar hofiert; diejenigen, die dringend Hilfe benötigen, bleiben unbeachtet.

Vergeltung von Gutem und Bösem

Im Matthäusevangelium (5,38-42) gibt es einen eigenen Abschnitt, der sich mit der Vergeltung von Gutem und Bösem beschäftigt. Hier heißt es:

„Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“

Diese Aufforderung soll die Eskalation von Gewalt unterbrechen: Denn Gewalt erzeugt immer Gegengewalt; Gegengewalt erzeugt neue Gewalt. Eine Vorstellung, die nicht leicht zu teilen ist, die vor allem den Gegner nicht kurzfristig verändert. Martin Luther King sagte als Reflex auf dieses Bibelwort über den gewaltlosen (!) Protest:

Martin Luther King

„Er bewirkt zuerst etwas in denen, die sich an ihm beteiligen. Er gibt ihnen eine neue Selbstachtung; er aktiviert Quellen der Kraft und des Mutes, die sie bislang nicht bei sich vermutet hatten.“

„Crossfire“ stellt diese Lehre auf den Kopf. Die Erfahrung des Texters ist nämlich, dass sie schlichtweg nicht funktioniert. Wer sich nicht wehrt, der ist verloren.

Der Pakt mit dem Teufel

Eine weitere religiöse Passage ist der berühmt-berüchtigte Pakt mit dem Teufel, frei nach dem Motto: Gibst du mir Macht, Talent, magische Kräfte und vor allem Reichtum, bekommst du meine Seele im Tausch dafür. Dabei handelt es sich um ein uraltes Motiv, das Bestandteil vieler Sagen und Legenden ist und in der Literatur immer wieder aufgegriffen wird. Als Paradebeispiel möge der Pakt mit dem Teufel dienen, den Goethe in seinem „Faust“ darstellt, wenngleich dort der Teufel weitaus weniger furchterregend und nahezu allmächtig dargestellt wird als in älteren Sagen.

Kein Vertrauen, keine goldene Regel

Auf den Kopf gestellt wird auch das Vertrauen, das man einem Menschen üblicherweise entgegenbringt: Wer vertraut, ist, so der Song, ein Narr. Was bedeutet: Er wird schmerzlich die Erfahrung machen, dass sein Vertrauen enttäuscht wird. Denn:
Die goldene Regel, zusammengefasst in dem Sprichwort „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg‘ auch keinem andern zu“, findet keine Beachtung mehr.

Ein düsteres Bild, das „Crossfire“ zeichnet. Denn der Protagonist sieht sich gleich von allen Seiten bedroht – eine wesentliche Bedeutung des Wortes „Kreuzfeuer“.

Alle sind Verlierer, auch die vermeintlich Starken

Auffällig der Wechsel der Person, die der Text vornimmt:

„Ich bin gestrandet,
im Kreuzfeuer gefangen.“

verändert sich zu

„Wir sind gestrandet,
im Kreuzfeuer gefangen.“

Auch wenn es denkbar wäre, dass der Sänger hier zum stellvertretenden Sprecher einer ganzen Gruppe wird, so drängt sich doch eine andere Interpretation geradezu auf: Nicht nur die Schwachen, die keine Hilfe und Unterstützung erhalten, sind die Verlierer, sondern auch all diejenigen, die helfen könnten, es aber nicht tun. Sie stellen die Goldene Regel auf den Kopf. Sie verstoßen gegen die Menschlichkeit. Sie werden schuldig durch ihre Untätigkeit.

Ein letzter Aufschrei

Jemandem den Spiegel vorhalten, damit er seine Fehler erkennt und danach sein Verhalten ändert – das scheint die Funktion dieses Songs zu sein. Denn das Ende heißt es:

„Rette mich!“

Ein letzter Aufschrei, eine verzweifelte Bitte um Hilfe und Unterstützung – der Glaube an das Gute scheint doch noch nicht völlig ausgelöscht zu sein. Denn nur dann, wenn noch Hoffnung auf Rettung besteht, macht ein derartiger Hilferuf Sinn. Wobei durch die biblischen Zitate auch die Interpretation zulassen, dass sich dieser Hilferuf an Gott richtet: Wenn denn schon von den Mitmenschen keine Hilfe zu erwarten ist, dann bleibt immer noch die Möglichkeit, seine Sorgen und Ängste vor Gott zu tragen.

Brief von SRVs Mutter Martha

Zu weit hergeholt? In einem bewegenden Brief erklärt Martha Vaughan, Mutter von Jimmie und Steve Ray:

Viele Male hörte ich mit Tränen in den Augen und Freude und Dankbarkeit gegenüber Gott im Herzen zu, wie Stevie seinem Publikum erzählte, wie ihm eine zweite Chance gegeben wurde. Er dankte Gott immer dafür, dass er am Leben war und weiterhin tun konnte, was er liebte, nämlich seine Musik für die Welt zu spielen – etwas von dem zurückzugeben, womit er gesegnet war – und sein gottgegebenes Talent mit anderen zu teilen.

Stevie nahm Jesus Christus als seinen Retter an, als er noch recht jung war. […] Als ihm viele Jahre später klar wurde, dass er sein Leben und seine Gesundheit ruiniert hatte und am Ende seiner Kräfte war […] – fielen sie auf die Knie und riefen Gott um Hilfe. Und Gott hörte ihre Gebete.“

Bill Carter und Johnny Depp

„Crossfire“ stammt aus der Feder von Bill Carter, der Mitte der1990er Jahre gemeinsam mit Johnny Depp in der Band „P!“ spielte und seiner Frau Ruth Ellsworth. Für „In Step“ insgesamt erhielt Stevie Ray Vaughan einen von insgesamt sechs Grammys.

Schnell noch mit dem Hubschrauber weg…

Am 27. August 1990 ist Stevie Ray Vaughan Gast bei Eric Claptons „Journeyman WorldTour“ im Alpine Valley Music Theatre in East Troy, Wisconsin, wo er gemeinsam mit seinem Bruder Jimmie, Robert Cray, Buddy Guy und Clapton jammt. Als sich nach dem Konzert ergibt, dass in einem Hubschrauber noch ein Platz frei ist, nutzt Stevie Ray Vaughan diese Gelegenheit, um das Konzertgelände schnellstmöglich und bequem zu verlassen. Aufgrund von Nebel stürzt der Hubschrauber kurz nach dem Start ab. Stevie Ray Vaughan stirbt 35jährig. Mit ihm kommen der Pilot und Mitglieder aus Claptons Crew ums Leben.

Posthume Veröffentlichungen

Die Veröffentlichung des Albums „Family Style“, das Stevie Ray Vaughan gemeinsam mit seinem Bruder Jimmie als „The Vaughan Brothers“ aufgenommen hatte, erfolgt posthum 1990; ein weiteres Jahr später erscheint „The Sky Is Crying“, das mehrere Schaffensphasen Vaughans beleuchtet.

Schier unendliche Varitationen

Ähnlich wie Jimi Hendrix vor ihm zog Stevie Ray Vaughan zeitlebens dickere Gitarrensaiten als üblich auf und stimmte diese einen Halbton tiefer, was seinem Gitarrenspiel einen besonderen Reiz verleiht. Weil es ihm gelang, aus eigentlich begrenzten Bluesphrasierungen scheinbar unendlich viele neue Variationen zu erschaffen, brachte ihm dies nicht nur die Anerkennung vieler Bluesmusiker ein, sondern schuf auch eine Brücke zur afroamerikanischen Kultur, aus der er verschiedene Musiker als Vorbilder bezeichnete. Letztlich ist das seit den 1980er Jahren neu erwachende Interesse am Blues auch diesem Ausnahmemusiker zu verdanken.

Ehrungen

Am 3. Oktober 2023 wäre Stevie Ray Vaughan 69 Jahre alt geworden. Bereits 1991 erklärte Vaughans Heimatstaat Texas den 3. Oktober zum „Stevie Ray Vaughan Day“. Die Stadt Austin, Texas, lange Jahre Vaughans Wohnort, ließ 1994 hat eine Gedächtnisstatue für Stevie Ray Vaughan im Shores Park errichten.
Neben vielen anderen Ehrungen wurden Stevie Ray Vaughan & Double Trouble 2014 Mitglieder der „Musicians Hall of Fame“, 2015 wurde der Gitarrist in die „Rock ’n’ Roll Hall of Fame“ aufgenommen.

Der bei Classic Rock Radio gesendete Beitrag ist eine Kurzfassung dieses Textes.

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